Auf der Laufmaschine von Mannheim nach Paris

| Interview: Christian Ermert | Fotos: DSHS Köln/privat
Von Mannheim nach Paris. 700 Kilometer auf originalgetreuen Nachbildungen eines Laufrades von 1818. Das haben Frank Hülsemann und Achim Schmidt versucht.

Von Mannheim nach Paris. 700 Kilometer auf dem Laufrad. Diese Herausforderung sollen angeblich ein paar Männer um den Karlsruher Tüftler Karl Drais vor 200 Jahren bewältigt haben. Im März 1818 überführten sie die gerade von Drais erfundenen Laufmaschinen nach Paris, um sie dort zu präsentieren. Auf ihre Spuren haben sich im März zwei Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln begeben: Dr. Frank Hülsemann und Dr. Achim Schmidt haben versucht, auf Rekonstruktionen der aus Holz, Eisen, Leder und Pferdehaaren gebauten Laufmaschine in zwei Wochen von Mannheim nach Paris zu fahren. Ohne moderne Ausrüstung, in der Bekleidung und mit dem Schuhwerk des 19. Jahrhunderts. Geschafft haben sie es nicht. Achim Schmidt musste wegen eines grippalen Infektes sowie Sitzbeschwerden aufgeben. Frank Hülsemann hat circa zwei Drittel der Strecke auf der Laufmaschine zurückgelegt. Den Rest ist er im Begleit-Wohnmobil gefahren, in dem er eigentlich nur übernachten wollte. In unserem Interview verrät er sein Fazit der Tour: Auch Drais und seine Männer können vor 200 Jahren nicht die ganze Strecke gefahren sein, sondern müssen die Laufmaschinen auf dem Großteil des Weges in Pferdekutschen transportiert haben.

Wer Radfahren kann, kann auch Laufradfahren

Frank, was würdest du sagen: Bist du nach Paris gelaufen oder gefahren?
Frank Hülsemann: Es war natürlich eine Mischung aus beiden, aber Laufrad fahren hat mehr mit Laufen zu tun als mit Radfahren. Man muss zwar die Balance halten wie auf dem Fahrrad, aber die Bewegung ähnelt dann doch mehr dem Laufen.

Muss man fürs Laufradfahren eine spezielle Technik lernen?
Frank Hülsemann:
Grundsätzlich nicht. Wer Radfahren kann, kann auch Laufradfahren. Die meisten unserer Kinder gehen ja längst den umgekehrten Weg, nähern sich mit Laufradfahren dem Radfahren an. Als die Laufräder im 19. Jahrhundert ganz neu waren, war das aber völlig anders. Es war ja das erste Zweirad überhaupt. Die Menschen kannten keine Fahrräder und mussten das Laufrad fahren ganz neu lernen. Aber wenn man mit einem Laufrad weite Strecken in möglichst kurzer Zeit zurücklegen will, hilft es natürlich, an seiner Technik zu feilen. Ich bin in den zwei Wochen auch besser geworden.

Wie sieht die ideale Technik aus?
Frank Hülsemann:
Entscheidend ist, dass man in eine Gleitphase kommt, in der man rollt. Das ist aber nicht ganz so einfach wie auf einem modernen Fahrrad. Du musst jedes Mal, wenn du dich mit dem Fuß auf der einen Seite abstößt, mit der Lenkstange ein bisschen gegenlenken, um nicht ins Schlingern zu geraten. Diesen Rhythmus muss man automatisieren, dann kann man schnell fahren.

Wart ihr schneller als die Männer um Karl Drais bei ihrer Fahrt 1818?
Frank Hülsemann:
Das versuche ich grade herauszufinden. Wie schnell wir waren, weiß ich anhand der GPS-Daten ganz genau. Wie schnell die damals unterwegs waren, lässt sich aber nur schwer bestimmen. Drais hat geschrieben, er sei „auf regennassen, aber guten Landstraßen in einer Stunde zwei Stunden Weges gelaufen“. Aber was heißt das? Damals ging man davon aus, zu Fuß in einer Stunde 3,7 Kilometer zu schaffen. Also war Drais sieben bis acht Stundenkilometer schnell – auf nasser Straße. Auf trockener Straße dürfte er doppelt so schnell gewesen sein.

Extrem wetterabhängiges Fortbewegungsmittel

Also war man Anfang des 19. Jahrhunderts bei optimalen Bedingungen auf einem Laufrad mit circa 14, 15 km/h unterwegs. Habt ihr dieses Tempo auch erreicht?
Frank Hülsemann:
Auf asphaltierten Straßen schon. Die Poststraßen, auf denen Drais 1818 unterwegs war, sind ja heute meist gut ausgebaute Landstraßen. Wir wollten aber nicht so viel auf Asphalt fahren, um unserem historischen Vorbild so nahe wie möglich zu kommen. Deshalb sind wir auf Feld- und Waldwegen neben den Straßen ausgewichen. Wenn die nass und ein bisschen matschig waren, hat sich die Geschwindigkeit auch bei uns auf sieben oder acht km/h verringert.

 

Die Erfindung des Karl Freiherr von Drais

Das wurde aus den Laufrädern

Nach ihrer Erfindung 1817 wurde ein paar Jahre lang in Europa Laufrad gefahren. Bald wurden sie allerdings im Straßenverkehr verboten, weil die Laufradfahrer angesichts der schlechten Straßen auf die Bürgersteige auswichen. Das war gefährlich für die Fußgänger. Danach gab es Laufmaschinen zum Ausleihen als Freizeit-Attraktion in vielen städtischen Parkanlagen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Pedalantrieb erfunden und die Entwicklung des Fahrrades begann. Karl Drais bleibt aber derjenige, der herausgefunden hat, dass ein Zweirad nicht umkippt, sobald man es in Bewegung setzt. Eine entscheidende Erkenntnis in der Entwicklung moderner Fahrräder, die für die Menschen des frühen 19. Jahrhunderts ganz neu war.

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Im Schnee läuft gar nichts

Wie viele Kilometer seid ihr denn jeden Tag gefahren?
Frank Hülsemann:
Je nach Wetter hat unsere Kilometerleistung pro Tag extrem geschwankt. An guten Tagen haben wir 60 Kilometer geschafft, an schlechten nur 16. Obwohl wir täglich bis zu zehn Stunden im Sattel saßen, war es unmöglich, die ganze Strecke in 14 Tagen zu schaffen. Wir hatten ja auch einen Wintereinbruch mit Schnee. Und auf Schnee kann man gar nicht Laufrad fahren. Nach dieser Erfahrung glaube ich nicht, dass Drais und seine Männer die Reise nach Paris komplett auf ihren Laufrädern absolviert haben. Warum sollten die auch den ganzen Weg durch einsame Landschaften gefahren sein? Ihnen ging es darum, ihre Erfindung in Paris der damaligen Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Da kann es doch sein, dass sie die Laufräder in die Kutsche gepackt und kurz vor Paris wieder ausgepackt haben, um zu zeigen, dass es die gibt und wie man darauf fährt. Die Dinger funktionieren, aber sind für lange Strecken nicht wirklich geeignet.

Ist Laufradfahren von der Anstrengung her vergleichbar mit Laufen oder Radfahren?
Frank Hülsemann:
Von der Herz-Kreislauf-Belastung her nicht. Wir haben zwar auf guten Wegen den einen oder anderen Jogger überholt. Unser Tempo entsprach ja fast einem Schnitt von vier Minuten pro Kilometer. Aber auch mit der besten Technik kannst du nicht so schnell fahren, dass dein Puls deutlich über 130 Schläge pro Minute steigt. Das zeigt andererseits aber auch, dass die Fortbewegung mit einer Laufmaschine deutlich effektiver ist als Laufen oder Gehen. Mit weniger Belastung ist man schneller.

Und wie haben die Jogger reagiert, als sie plötzlich von euch auf solch altertümlichen Gefährten überholt wurden?
Frank Hülsemann:
Positiv. Es wurde viel gelacht, die Daumen gingen hoch, manche haben auch Selfies mit uns gemacht und die sofort bei Facebook oder Instagram gepostet.

Was mache ich hier eigentlich?

Was war die größte Herausforderung bei dem Unternehmen?
Frank Hülsemann:
Das lange Sitzen auf den nur mit Pferdehaaren gepolsterten Holzsätteln. Achim hatte so große Sitzprobleme, dass er kaum noch Wasser lassen konnte. Bei mir war es nicht ganz so schlimm, aber schmerzhaft war das schon. Ein bisschen gefährlich war das Bergabfahren. Wir hatten Etappen mit 200, 300 Höhenmetern und bergab kommt man schon auf Geschwindigkeiten, die an 20 km/h sind. Und die Bremsen an unseren Laufrädern bestanden ja aus einem Hanfseil, an dem du ziehen musst, damit ein Holzklotz am Hinterrad schleift und so das Gefährt bremst. Das funktioniert zwar, aber ist natürlich nicht so effektiv wie moderne Fahrradbremsen. Der kritischste Moment war aber der Tag mit dem Wintereinbruch. Ich hatte das Laufrad schon vier Stunden lang durch den Wald geschoben, als ich bemerkte, dass ich mich völlig verfahren hatte. Am Ende musste ich eine 20 Meter eine Böschung hinauf. Wenn man sich im Schneematsch abrackert, eine 25-Kilo-Laufmaschine da hoch zu schaffen, dann abrutscht und unter der Maschine zu liegen kommt, fragt man sich schon, was man da eigentlich macht.