Auf wilden Wegen: Mit Joey Kelly in Tansanias Steppe

Auf wilden Wegen: Mit Joey Kelly in Tansanias Steppe

| Christian Ermert I Fotos: Thomas Stachelhaus
Eine Frau rennt gegen fünf Männer durch Afrikas Wildnis. Und nur Joey Kelly ist stärker.

Eine Frau rennt gegen fünf Männer durch Afrikas Wildnis. Und nur Joey Kelly ist stärker. Das ist die Geschichte von Ulrike Mayer-Tancic, die Mehlwürmer und Heuschrecken gegessen hat, bei den Massai zu Gast war, Giraffen und Gnus bewundert und mehr als 300 Kilometer lang der Regenzeit getrotzt hat.

Mitten in Tansanias Steppe

Stell dir mal vor, du machst abends nach Feierabend einen langen Lauf. Sagen wir mal 15 Kilometer, oder vielleicht 20. Und es regnet dabei die ganze Zeit in Strömen. Worauf freust du dich danach am meisten? Klar, auf eine warme Dusche. Und danach ein leckeres Essen. Jetzt stell dir mal vor, du läufst nicht bloß 20, sondern 65 Kilometer. Bist den ganzen Tag auf den Beinen und bekommst nichts zu essen außer zwei Energieriegeln. Es regnet in Strömen, die Straßen verwandeln sich in verschlammte Pisten. Und abends kommst du nicht in deiner wunderbar gemütlichen, warmen Wohnung an, sondern in einer Hütte aus Lehm.

In der brennt ein Feuer, der Rauch muss durch ein Loch im Strohdach abziehen. Der Fußboden besteht aus Erde. In der Hütte wohnen Vater, Mutter und vier Kinder. Vor der Tür tummeln sich Kühe, Hühner und Ziegen. Über die Türschwelle schwappen immer wieder kleine Wellen aus Regenwasser, in dem die Ausscheidungen der Tiere schwimmen. Das Dorf ist von einem hohen Wall aus Dornengestrüpp umgeben. Um die Löwen draußen zu halten. Nichts hält die Fliegen ab, die dir ständig ums Gesicht schwirren und bevorzugt Ohren, Nasenlöcher, Augen und Mundwinkel ansteuern.

Härtetest gegen Joey Kelly

Genau das hat Ulrike Mayer-Tancic im vergangenen Winter bei den Massai in Tansania erlebt. Zusammen mit vier Männern ist die 50-Jährige aus Krailling bei München vergangenen Winter in Ostafrika angetreten, um zu zeigen, dass sie mindestens genauso hart ist wie Survival und Extremsport-Profi Joey Kelly. Initiiert wurde die Aktion vom Fernsehsender RTL. Zum zweiten Mal suchte Stern-TV Sportler, die sich dem Härtetest mit dem Ex-Musiker stellen.

Als einzige Frau war die nur 1,68 Meter große und 51 Kilo leichte Läuferin im Oktober 2015 zum Casting bei Joey Kelly in Lohmar bei Köln angetreten. Dass sie laufen kann weiß sie. Schließlich trainiert sie neben ihrem Job als Schulsekretärin an einem Münchner Privat-Gymnasium jede Woche 80 bis 100 Kilometer, um beim Marathon fit zu sein. Ihre persönliche Bestzeit steht bei 3:02 Stunden, gelaufen vor sechs Jahren. Da war sie schon 44. Und bei den Master-Leichtathleten ist die Bayerin, die nebenbei mit ihrer Firma „Wildgams“ moderne, von bayerischen Trachten inspirierte Mützen, Stirnbänder und andere modische Accessoires selbst produziert und verkauft, eine große Nummer: Bei der Senioren-WM hat sie im Marathon in ihrer Altersklasse W50 Silber gewonnen, ein Jahr zuvor war sie Senioren-Europameisterin bei den Frauen insgesamt.

Casting schockt die Teilnehmer

Doch das, was sie beim Casting für das Rennen gegen Joey Kelly erlebte, schockte sie. Die neun Männer, die sich zusammen mit ihr um einen der fünf Plätze in der Challenge beworben hatten, mussten zum Einstieg einen 15-Kilometer-Lauf mit einem fünf Kilogramm schweren Sandsack absolvieren. „Damit kannst du nur laufen, wenn du ihn dir in den Nacken legst und an beiden Griffen festhältst. Ich habe mir die Finger so aufgescheuert, dass am Ende keine Haut mehr über dem rohen Fleisch war“, erzählt Ulrike Mayer-Tancic, die von allen nur Rieke genannt wird. Im Nachhinein sei diese extreme Strapaze aber der beste Auftakt in ihr afrikanisches Abenteuer gewesen, den sie hätte haben können: „Immer wenn es hart wurde, habe ich an den Sandsack gedacht und mir gesagt, dass es nicht schlimmer kommen kann“, sagt Rieke.

Aufs Sandsack-Schleppen folgte eine Box-Session mit Kickbox-Europameister Ingo Mertens, dann zog die Gruppe in eine Kletterhalle um, wo es auf Zeit nach oben ging, bevor um 20 Uhr eine 70 Kilometer lange Mountainbike-Tour mit 1000 Höhenmetern durch das Bergische Land folgte. „Im Herbst fährt man da natürlich die ganze Zeit durch die Dunkelheit“, erzählt Rieke. „Bis irgendwann die Ansage von Joey kam, dass jetzt Pause gemacht wird.“

Die ersten Männer geben auf

Da war es schon nach Mitternacht. Die ersten Männer hatten aufgegeben. Der Rest der Gruppe legte sich mit Schlafsäcken in einen Wald bei Remscheid. „Nach einer Stunde Schlaf ging es morgens um 3 Uhr an den Start zum Röntgenlauf“, erinnert sich Rieke. Das ist ein Ultralauf über 63 Kilometer. Aber für die Kelly-Truppe reichte an diesem Tag auch ein Marathon, um die Bewerber auf jene fünf zu reduzieren, die zum ultimativen Abenteuer mit Joey aufbrechen sollten. Am Ende blieben übrig: Detlef Beuß (49) aus Wittstock in Brandenburg, Manuel Müller (38) aus Mannheim, Timo Späth (39) aus Coburg, Dirk Eylers (39) aus Oyten in Niedersachsen und eben die 50-jährige Rieke. Sie war also nicht nur die einzige Frau in dem Quintett, sondern auch die älteste Teilnehmerin.

Ziel: Kilimandscharo

Nach dem Casting sollten die fünf eigentlich erst am Flughafen erfahren, wo die Challenge stattfinden würde. Aber weil man ins tropische Afrika ja nicht ohne medizinische Vorbereitung reisen kann – Stichwort Impfungen und Malaria-Prophylaxe – waren die Fernsehleute von RTL gezwungen, zumindest das grobe Reiseziel vorher bekanntzugeben. So konnten die Teilnehmer zusammen mit ihren Ärzten die medizinische Versorgung für Ostafrika planen. Dennoch staunten die fünf am Flughafen nicht schlecht, als auf den Tickets als Ziel „Kilimandscharo“ stand. Der Flughafen liegt in Tansania, am Fuß von Afrikas höchstem Berg. Schon beim Landeanflug hat man einen tollen Blick auf den 5895 Meter hohen, schneebedeckten Gipfel. Die nächste Überraschung folgte nach dem Ausstieg aus der Maschine: Die Regenzeit war entgegen der Prognosen längst nicht vorbei. Dunkle Wolken am Himmel, immer wieder Regengüsse.

Keiner wusste, was ihn erwartete. Wie lange jeden Tag gelaufen wird? Völlig unklar. Wie viele Tage die Challenge insgesamt dauern sollte? Das war das Geheimnis von Joey Kelly und dem RTL-Team. Die Teilnehmer kannten nur die Regeln: Jeder muss im Rucksack alles tragen, was er braucht. Das RTL-Team sorgt für Wasser und Zelte. Jeder bekommt morgens zwei Energieriegel als Verpflegung. Gelaufen wird nur bei Tageslicht. Im Dunkeln ist das wegen der vielen Wildtiere in Tansania zu gefährlich. Alles wird fürs Fernsehen aufgezeichnet. Und falls einer der Teilnehmer vor oder gleichzeitig mit Joey Kelly das Ziel erreicht, bekommt derjenige 10.000 Euro.

Regenzeit ist noch nicht vorbei

Dafür kam allerdings schon bald nur noch eine in Frage: Rieke. Bereits am ersten Tag fiel Dirk Eylers so weit aus der Gruppe zurück, dass er aus dem Rennen genommen wurde. Nach den ersten 57 Kilometern durch die Savanne waren nur noch vier Herausforderer übrig. Am zweiten Tag erwischte es auf den 51 Kilometern Timo Späth. Er gab mit Magenproblemen auf. An diesem zweiten Tag war das Begleitteam mit den Jeeps schon früh im Schlamm stecken geblieben. Die drei verbliebenen Herausforderer um Joey Kelly liefen weiter. Begleitet von ortskundigen Guides, um zum Ziel zu finden. Dieses befindet sich beim anfangs beschriebene Massai Dorf. Nach dem Aufwärmen in der Massaihütte erreicht ein Begleitmotorrad mit den Zelten die Gruppe. Die Teilnehmer bauen im strömenden Regen ihre Zelte auf und fallen hungrig in den Schlafsack.

Schwierigkeiten mit dem schweren Rucksack

Am dritten Tag gerät dann aber auch Rieke in echte Schwierigkeiten. Ihr Hauptproblem ist der schwere Rucksack. Denn obwohl sie viel leichter ist als die männliche Konkurrenz, muss sie das gleiche schleppen wie alle anderen. „Da hat mir oft nur der Gedanke an den Sandsack und die aufgescheuerten Hände beim Casting geholfen, um durchzuhalten.“ Doch an diesem dritten Tag mit einer Gesamtdistanz von 65 Kilometern fällt ihr das noch schwerer. „Joey hat gegen Ende immer wieder betont, dass wir nach einer halben Stunde im Ziel sind. Und dann ging es doch immer wieder eine ganze Stunde weiter.“ Rieke kämpft. Die Schwäche erwischt sie voll, als das Ziel schon zum Greifen nah ist. „50 Meter vor dem Ende der Etappe ist mir schlecht geworden.“ Sie hält kurz an, aber schleppt sich dann doch ins Lager, wo das Team übernachten soll.

Abendessen für 1000 Euro

Diese Schwäche hatte viel damit zu tun, dass zwei Energieriegel einfach zu wenig sind, wenn man zwölf Stunden auf den Beinen ist und 65 Kilometer läuft. An diesem Abend nehmen die drei verbliebenen Teilnehmer das Angebot von RTL an, für 1000 Euro ein Abendessen zu kaufen – am ersten Abend hatte sich das Team für 500 Euro bereits Toast mit Tomatenmark gegönnt. „Mir war klar geworden, dass ich am Ende – auch wenn ich bis dahin durchhalten würde – niemals im Spurt gegen Joey gewinnen kann“, sagt Rieke. Und da die 1000 Euro fürs Abendessen nicht von den Teilnehmern bezahlt werden müssen, sondern von den 10.000 Euro Preisgeld abgezogen werden, war schnell klar, dass es Abendessen geben würde.

Woraus dieses Dinner bestehen sollte, erfuhr Rieke aber erst, als es serviert wurde: Eine Pfanne Reis mit gebratenen Heuschrecken. So eine Art Paella Insekta. „Aber das hat gar nicht so schlecht geschmeckt“, erinnert sich Rieke. Vor allem hat es ihr Kohlenhydrate und Eiweiß geliefert, um sich über Nacht regenerieren zu können.

Nur noch Rieke und Joey Kelly im Rennen

Und so läuft sie an der Seite von Joey Kelly immer weiter bis an den Rand des Ngorongoro-Kraters, während auch die beiden verbliebenen Männer vorzeitig aufgeben. Detlef Beuß scheitert nach großem Kampf an Tag vier mit riesigen Blasen an den Füßen. Manuel Müller hat einen geschwollenen Fuß und große Schmerzen und erhält vom Arzt, der immer dabei war, vor der fünften Etappe Startverbot. Rieke aber findet sogar Zeit, die Natur zu genießen. „Am beeindruckendsten war es, durch Herden von Zebras, Gnus und Giraffen zu laufen.“ Und was war mit den Raubtieren? „Löwen und Leoparden haben wir unterwegs keine gesehen, die haben wir erst bei der Safari nach dem Ende des Rennens im Tarangire-Nationalpark beobachten können.“

Denn nach sechs Tagen und insgesamt 301 Kilometern ist das Rennen zu Ende. Am Ufer des Lake Natron, der für seine Flamingo-Schwärme weltberühmt ist, liegen sich Joey Kelly und Rieke in den Armen. Und Rieke ist überglücklich, auch wenn ihre Prophezeiung wahr wird, am Ende nicht schneller sein zu können als Joey Kelly. „Ich bin so froh, dass ich diese Herausforderung gemeistert habe.“ Und was bleibt? In erster Linie die Erinnerung an gastfreundliche Menschen und an eine fantastische Natur. Und: Ein Flugticket ins australische Perth, wo vom 26. Oktober bis 6. November die Weltmeisterschaften der Masters-Leichtathleten stattfinden. Dort will Ulrike Mayer-Tancic um den Sieg im Marathon laufen. Was dann wieder ein Abenteuer ist. Aber ein ganz anderes als das in Tansania.