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Fit und glücklich
Kein Stress: Eine gute Fitness ist wichtiger als das Optimalgewicht

Studien haben nun gezeigt, dass das ideale Körpergewicht für Gesundheit und Laufleistung gar nicht so entscheidend ist, wie wir dachten. Viel wichtiger ist, regelmäßig körperlich aktiv zu sein.

Als Eliud Kipchoge Ende September 2022 in abermals neuer Weltrekordzeit über die Berliner Marathonstrecke flog, konnten wir bestaunen, welche körperlichen Dimensionen für solche Laufleistungen nötig sind.

Bei 1,67 Metern Größe bringt der Kenianer gerade einmal 52 Kilo auf die Waage – ein Body-Mass-Index (BMI: Körpergewicht durch Quadrat der Körpergröße) von 18,6. Sein Körperfettanteil dürfte unter acht Prozent liegen. Gesund erreichbar sind solche Werte nur mit besonderer genetischer Prägung. Wer diese Voraussetzungen nicht hat und versucht, es mit der Trainingspensum und restriktiver Energieaufnahme zu erreichen, geht ein hohes Risiko ein, seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu schaden.
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Denn dann bewegt man sich in Bereichen, in denen Immunsystem, Wärmehaushalt und Energiestoffwechsel sozusagen am Rande des Abgrunds stehen. Nicht von ungefähr ist ein BMI von 18,5 als unteres Gewichtslimit definiert. Unterschreitet man das, weil sich der Gehirnstoffwechsel durch Energiemangel verändert, droht das Abgleiten in den Strudel einer Magersucht. Es ist gut zu wissen, dass es ohnehin kein lohnenswertes Ziel ist, in puncto Gewicht und Körperfett afrikanischen Weltklasseläufern nachzueifern.

Abnehmen gehört zu den häufigsten Gründen fürs Laufen

Es ist schön, dass heute gut trainierte „normale“ Menschen ohne ausgemergelte Statur aktiv im Stadtpark und sogar bei Marathonevents zu sehen sind. Jene, die nicht nur aus „Haut und Knochen“ bestehen, sondern ihr gern als Problemzone bezeichnetes Pölsterchen tragen.

Nach wie vor zählt die Veränderung des Körpergewichts zu den häufigsten Motivationsfaktoren, regelmäßig laufen zu gehen. Aber wie realistisch und sinnvoll sind diese Körpergewichtsziele, die wir uns setzen und als ideal erachteten, in Bezug auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit? Wir reden hier natürlich nicht vom notwendigen Abbau massiven Übergewichts mit BMI-Werten über 30. Sondern es geht um jene zwei, drei Kilogramm, die man allzu gern von den Hüften bzw. von „Bauch, Beine, Po“ verbannt hätte, um vermeintlich noch fitter und gesünder zu sein.

Fett ist nicht gleich Fett

Wichtig ist: Fett ist nicht gleich Fett. Fett ist ein „Zwitter“ – einerseits als Energielieferant, Enzymbestandteil, Mem­branbaustein und Wärmeisolator unverzichtbar. Andererseits als Ballast, Gefäßverstopfer und Figurkiller gehasst. Männer deponieren überschüssiges Fett vorwiegend im Bauch, Frauen an Hüften und Oberschenkeln. Dieses Depotfett ist vom Unterhautfettgewebe zu unterscheiden, das selbst gertenschlanken Weltklassemarathonis jede Menge Energie für Ultrabelastungen bereitstellt.

Für gesundheitliche Risiken sowie die körperliche Leistungsfähigkeit sind besonders das Muskel-Fett-Verhältnis und die Lokalisation des Depotfetts ausschlaggebend. In diesem Kontext wird oft zwischen „Apfel- und Birnentyp“ unterschieden. Der typische „Apfel“ ist der meist männliche „Kugelbäuchler“ mit dürren Gliedmaßen. Er hat viel Eingeweidefett (Viszeralfett) im Bauchraum eingelagert, das deutlich höhere gesundheitliche Risiken birgt als die Fettverteilung des vorwiegend femininen „Birnentyps“ mit Depots im Hüft- und Oberschenkelbereich.

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Viszerales Fett gilt als Risikofaktor für viele Krankheiten

Das in und um die Bauchorgane eingelagerte Viszeralfett produziert „Adipokine“. Das sind Botenstoffe, die den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel sowie das Hungergefühl beeinflussen. Zudem fördern sie Entzündungsprozesse und die Ausbildung einer Insulinresistenz (Vorstufe der Diabeteserkrankung). Umgekehrt wirken die von aktiven Muskeln ausgesendeten Botenstoffe (Myokine) überwiegend als Adipokin-Gegenspieler.

Wer also Viszeralfett ab- und Muskulatur aufbaut, potenziert den Benefit. Ein Überschuss an viszeralem Fett gilt unabhängig vom Körpergewicht als starker Risikofaktor für Typ2-Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall und verschiedene Krebsarten. Etwas für die körperliche Fitness zu tun, sollte also primär dem Abbau von Viszeralfett dienen und nicht dem Erreichen eines besonderes niedrigen BMI.

Weder das Körpergewicht noch der BMI sagen etwas über die Konstitution des Körperinneren aus. Athletische Sportler mit viel Muskulatur und wenig Körperfett liegen oft mit einem BMI von über 25 im offiziellen Übergewichtsbereich. Das macht die Schwächen einer Fokussierung auf den BMI und das von der Waage angezeigte Körpergewicht deutlich.

Der Body-Mass-Index berücksichtigt einzig Körpergewicht und -größe. Entscheidend ist aber, wo welche Art von Fett am Körper sitzt, und das lässt sich aktiv durch Sport und Ernährungbeeinflussen.

Das „Tofi-Phänomen“

Beide liefern keinerlei Informationen über den relevanten Viszeralfettanteil. Und umgekehrt lässt sich von einem schlanken Äußeren keinesfalls auf ein ebensolches Inneres schließen. Viele optisch schlank erscheinende Personen, die alle Gewichts- und BMI-Ideale erfüllen, erweisen sich beim Blick ins Körperinnere als Risikopatienten. Diese „Tofis“ (thin outside – fat inside) Genannten weisen kaum Muskulatur, aber einen hohen Viszeralfett-Anteil auf. Wenig Bewegung, ungesunde Ernährung und Rauchen fördern die Viszeralfettbildung.

Das Tofi-Phänomen beweist, dass die Gleichung „schlank gleich gesund“ ebenso wenig aufgeht wie die Gleichsetzung von leichtem Mehrgewicht und Fitnessverlust. Was zählt, ist die körperliche Aktivität. Sie entscheidet über die hormonelle Aktivität im Fett- und Muskelgewebe, über die Abläufe energieliefernder Stoffwechselprozesse und über die Balance entzündungsfördernder und -hemmender Prozesse. Ungleichgewichte im Entzündungsgeschehen stellen ein großes Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen bis hin zu schweren Herzkreislauf- und Tumorleiden dar.

Ausdauersport + Krafttraining = ideal

Erst in den letzten Jahren hat die Forschung ergründet, wie gravierend der Einfluss von Bewegungsmangel auf entzündungsfördernde Verschiebungen im Hormonstoffwechsel ist. Die Untersuchungen zeigen, dass regelmäßiger Ausdauersport, der um Muskeltraining ergänzt wird, einen deutlich stärkeren Positiveffekt auf Gesundheits- und Fitnessparameter hat als das unbedingte Verbannen von ein, zwei Kilo zu viel am Körper. Zumal der mit dem Abnehmen verbundene psychische Stress seinerseits Entzündungen begünstigt.

Je nach Trainingsintensität und Körpermaßen liegt der zusätzliche Energieverbrauch beim Laufen zwischen etwa 450 und 950 Kilokalorien pro Stunde. Und etwa 2000 Kilokalorien für einen Marathon. Selbst ein Läufer mit sehr niedrigem Körperfettanteil kann diesen Mehrbedarf allemal aus seinem Unterhautfettgewebe rekrutieren. Ein Spitzenläufer mit nur 60 Kilogramm Gewicht und 8 Prozent Körperfett verfügt über ein Gesamtfettdepot von fast 5 Kilogramm. Das entspricht über 40.000 Kilokalorien oder dem Energieverbrauch von etwa 20 Marathons. Lässt man diesen Hochleistungsbereich außer Betracht, liegt ein gesunder Körperfettanteil bei Männern zwischen 10 und 20, bei Frauen zwischen 20 und 30 Prozent. Die genauen Werte sind von genetischer Veranlagung, Alter, Ernährung und Trainingszustand abhängig.

Körperfettanteil bei Frauen und Männern

  Körperfettanteil    
  Normal Spitzenläufer/in Gesundheitsgefahr
Frauen 20-30 % 15-20 % ab Werten <13 %
Männer 10-20 % 8-13 % ab Werten <6 %

Lieber das Training verbessern als Kilos verlieren

Wenn männliche Spitzenmarathonis Körperfettanteile deutlich unter acht Prozent, ihre weiblichen Pendants unter 15 Prozent aufweisen, sind das Regionen, in denen grundsätzlich Störungen der fettabhängigen Körperfunktionen drohen, besonders eine Schwächung des Immunsystems. Daher sollten die Werte aus dem Hochleistungssport auch von ambitionierten Freizeitaktiven nicht als Trainings- und Ernährungsziele definiert werden. Ohne entsprechende Veranlagung sind sie nicht leistungsfördernd und gesundheitlich riskant.

Die große Zahl von Aktiven, die kein marathonisches Gardemaß auf die Waage bringen, sollten ihren Fokus lieber in die Trainingsoptimierung und nicht so sehr auf eine angestrebte Gewichtsnorm legen. Das ist wissenschaftlich untermauert. Bereits 2011 hat die „Columbia Aerobics Center Longitudinal Study“, eine über elf Jahre angelegte Analyse mit 14.000 Männern mittleren Alters gezeigt, dass die Verbesserung der Fitness einen deutlich höheren präventiven Wert gegenüber Herzkreislauferkrankungen und früherem Ableben hat als der Abbau von moderatem Übergewicht. Probanden, die ihre Fitness verbesserten, lebten gesünder und länger, sogar wenn sie etwas an Gewicht zulegten. Dagegen erhöhte ein Fitnessverlust das Herzkreislauf- und Ablebensrisiko selbst dann, wenn eine Gewichtsreduktion gelang.

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Braunes Fett mindert Risiko für gefährliche Fettdepots

Neuere Erkenntnisse untermauern die Argumente für einen aktiven Lebensstil ohne Fixierung auf ein bestimmtes Idealgewicht. Die Differenzierung zwischen gefährlichem Eingeweide- und energielieferndem Unterhautfett muss um eine weitere Fettvariante ergänzt werden. Es geht um das „braune Fett“, das seine Farbe einem hohen Gehalt an Mitochondrien („Zellkraftwerken“) verdankt.

Wenn es um Ausdauerleistung geht, wird zu Recht die Bedeutung einer hohen Mitochondriendichte in den Muskelzellen betont. Denn in den Muskel-Mitochondrien erfolgt der Energie (ATP) liefernde Endabbau von Fetten und Kohlenhydraten. Im braunen Fett fällt den „Kraftwerken“ eine andere Aufgabe zu. Hier verheizen sie Fett, um Wärme zu erzeugen. Bis vor wenigen Jahren galt die Lehrmeinung, dass diese „braune Thermogenese“ nur als Warmhaltemechanismus im Säuglingsalter bedeutsam sei und sich das braune Fett mit dem Heranwachsen auf kleine, bedeutungslose Areale in der Hals-/Schlüsselbeinregion reduziert.

Erst neue bildgebende Verfahren haben große individuelle Unterschiede in den schmelzbaren Braunfettanteilen aufgedeckt. Je mehr braunes Fett, umso geringer ist das Risiko für die Bildung der gefährlichen weißen Fettdepots im Bauch. Der Kracher dabei: Wieviel „schlankes“ Braunfett gebildet wird, scheint von körperlicher Aktivität und Qualität der Ernährung maßgeblich beeinflusst zu werden.

Die Reduktion von Eingeweidefett im Bauchraum durch Sport und Ernährung senkt auch ohne Gewichtsreduktion Krankheitsrisiken und steigert die Leistungsfähigkeit.

Auch die Nahrungsqualität ist wichtig

Wer glaubt, eine exorbitante Steigerung des Energieverbrauchs in Kombination mit drastischer Kalorienrestriktion sei der einzige Erfolg verheißende Weg zum gesunden Traumgewicht, liegt falsch. Großstudien aus Spanien und an der Berliner Charité zeigen, dass es bei der Gesundheits- und Leistungsverbesserung primär nicht um Gewichtsreduktion geht, sondern die entscheidenden Wirkungen von Fettart, -menge und -verteilung ausgehen.

Neben vernünftiger Trainingsbelastung gilt es dabei nicht auf strikt unterkalorische Ernährung zu setzen, sondern vielmehr Nahrungsqualität in den Fokus zu nehmen. Zielführend ist eine an regionale Verhältnisse angepasste mediterrane Ernährung. Das bedeutet: pflanzlich dominiert mit hochwertigen Ölen, Fisch und fettarmen Milchprodukten, Zurückhaltung bei rotem Fleisch und Verzicht auf Wurstwaren, hochverarbeitete Lebensmittel und zuckrige Softdrinks.

Für Hobbysportler und -sportlerinnen gilt nicht das gleiche wie für Proifs

Dass für die Leistungen der Weltklassemarathonis Körpergewicht, Fettanteil, Training und Ernährung im Optimalbereich liegen müssen, ist unwidersprochen. Aber für die normalsterbliche Laufgemeinde kann guten Gewissens die Empfehlung gegeben werden: Anstatt seine Energien auf die Waage zu fokussieren und sich wegen dieser „verdammten“ ein oder zwei Kilo zu kasteien, ist es sinnvoller, seinen Tatendrang in Freude bringende Körperaktivität zu investieren.

Die Kombination aus Ausdauer- und Muskeltraining verbessert automatisch das Muskel-Fett-Verhältnis und verbannt heikles Viszeralfett. Dass sich das nicht sofort in weniger Kilos auf der Waage niederschlägt, sollte niemanden frustrieren. Es entspricht der logischen Erwartung und ist der unterschiedlichen Gewebsdichte von Muskeln und Fett geschuldet. Wer einen Liter Fett abbaut, verliert 0,92 Kilo. Baut er das gleiche Volumen Muskelgewebe auf, beträgt der Massezuwachs 1,06 Kilo. In der Realität wird das aber kaum so passieren, da Fett nicht 1:1 in Muskelmasse umgewandelt wird. Nachhaltig gesunde Gewichtsveränderung ist ein längerfristiger Prozess. Der Abbau von Viszeralfett durch den Sport geht flotter, was motivieren sollte – auch wenn auf der Waage nicht gleich etwas zu sehen ist.