Hidden Run
Das heiße Mailand laufend erkundet

| Text und Fotos: Christian Ermert

Bei den Hidden Runs des Rheinenergie-Marathons Köln melden sich Läufer für eine Tagesreise an, ohne zu wissen, wohin es gehen wird. Bei der jüngsten Ausgabe reisten fast 60 Teilnehmer für einen Tag zum Sightrunning ins fast 40 Grad heiße Mailand. Wir waren dabei.

Hidden Run. Seit 2006 lädt der Rheinenergie-Marathon Köln regelmäßig Läufer ein, mit ihm auf Reisen zu geheimen Zielen zu gehen. Die Teilnehmer melden sich an, ohne zu wissen, wohin die Reise für einen Tag gehen wird. Der Zielort wird dann laufend erkundet. Gestern ging es für fast 60 Teilnehmern ins fast 40 Grad heiße Mailand. Wir waren dabei.

Fast 40 Grad: Abkühlung auf Abluft-Schächten aus der Unterwelt

Die Hunde liegen im Schatten der Parks. Die meisten Menschen arbeiten in ihren klimatisierten Büros. Man versucht, sich so wenig im Freien zu bewegen wie irgendwie möglich. Auf den Straßen Mailands sind vor allem Touristen unterwegs.

Und fast 60 von denen spazieren nicht ganz langsam und im Schatten zu den Sehenswürdigkeiten Mailands – wie es bei der schwülen Sommerhitze angemessen wäre. Nein, die Hidden Runner aus Köln rennen durch die Stadt.

Herausforderung: Selfies mit klitschnassen Fingern schießen

Wahrscheinlich halten die Mailänder uns für völlig plemplem. In der Mittagshitze rennen? Sich dabei nicht auf die schattigen Parks beschränken, von denen es in Mailand sehr schöne gibt, sondern sich zwischen Autos, Vespas und Fußgängern durchquetschen? Und dann noch mit schweißnassen Fingern versuchen, vernünftige Handyfotos zu machen? Die müssen doch spinnen, diese Deutschen.

Aber falls die Mailänder das denken sollten – anmerken lassen sie es sich nicht. Anfeuerungsrufe, Daumen hoch und Applaus gibt’s an vielen Stellen unseres Kurses durch die City. Freundliche Nicht-Beachtung noch öfter. Selbst als es im Schatten der supermodernen Bürogebäude, die an einigen Stellen in der norditalienischen Wirtschaftsmetropole entstehen, baustellenbedingt eng wird, und wir uns zwischen schicken Anzugmännern und Kostümfrauen durchschlängeln, reagiert niemand mit Unmut.

Start am neuen Generali-Büroturm in Mailand

Obwohl an dieser Stelle unsere Shirts schon triefend nass sind. Seit einer guten Stunde laufen wir durch Mailand. Gestartet sind wir am hypermodernen, 177 Meter hohen Büroturm der Generali-Versicherung. Der italienische Konzern hat diesen Hidden Run ermöglicht und sein brandneues Hochhaus für uns geöffnet. Zum Duschen, Essen, Trinken und vor allem zum Abkühlen. Denn natürlich hat die Versicherung ihr Gebäude so klimatisiert, dass es sich dort immer auch in Anzug und Krawatte angenehm arbeiten lässt.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg durch die Hitze der Stadt. Gruppenfoto am Mailänder Dom, eine Runde um die Kathedrale, deren Bau am Ende des 14. Jahrhunderts im gotischen Stil begonnen wurde und die als größter Marmorbau der Welt gilt. Dann geht es in die beeindruckende „Galleria Vittorio Emanuele II“ – ein Einkaufszentrum aus dem 19. Jahrhundert. Hier ist es schattig, die Leute trinken Espresso, speisen fein zu Mittag, in den Shops gibt es edle Mode von Prada, Armani, Versace, Gucci und Louis Vuitton. Und wir? Rennen in unseren verschwitzten T-Shirts einfach mitten durch. „Hier könnte man eigentlich was Besseres machen als Laufen“, sagt Nine. Schuhe kaufen? „Zum Beispiel.“

Sie ist begeisterte und erfolgreiche Triathletin, war schon mal Fünfte beim Ironman in Frankfurt, hat drei Kinder und betreibt in Siegen ein Modegeschäft. Auf Instagram berichtet sie unter „leben_in_der_wechselzone“ aus ihrem Leben und hat mittlerweile über 11.000 Follower. Leute wie sie kennenzulernen, ist auch ein Reiz der Hidden Runs, die der Köln Marathon seit 2006 jedes Jahr mindestens einmal anbietet.

An Orten laufen, in die man sonst nie kommen würde

Der größte Spaß dabei ist aber die Spannung, eine Laufreise für einen Tag zu buchen, ohne zu wissen, wo es hingehen wird. Da sind sich die Teilnehmer einig. Und das ist ihnen die fast 170 Euro wert, die so ein Hidden Run kosten kann. Das Ziel jeden Hidden Runs bleibt so lange geheim wie irgendwie möglich. Bei Busreisen dämmert es den Teilnehmern erst während der Fahrt, wohin es gehen könnte. Manche Hidden Runs – wie dieser nach Mailand – starten aber am Flughafen. Dann erfahren die Teilnehmer natürlich vor dem Abheben, wohin die Reise sie führen wird.

Und an diesem frühen Mittwochmorgen stand „Mailand“ auf den Tickets. Dementsprechend groß war die Begeisterung – auch wenn so mancher um drei Uhr morgens aufgestanden ist, um pünktlich am Köln-Bonner Flughafen zu sein. Kai beispielsweise ist aus Schwerte bei Dortmund gut 100 Kilometer angereist. Er ist Gründungsmitglied der Pace Pack Runners, einer Running Crew aus Hagen, immer auf der Suche nach neuen Lauferlebnissen. Und begeistert vom Hidden Run. „Da kommt man auch schon mal an Orte, an denen man noch nie war“, schwärmt der 56-Jährige, der zuvor noch nie in Italien war.

Allerdings: An einem Hidden Run teilzunehmen, ist gar nicht so einfach. Man muss schon wissen, wie man an die Startplätze kommt, die meistens auf 60 bis 80 Teilnehmer beschränkt sind. Kein Wunder, dass die meisten schon bei mehr als einem Hidden Run dabei waren. Mit der Routine steigt die Wahrscheinlichkeit, das heiß begehrte Ticket ins Blaue zu ergattern.

Wie es geht, erklärt Judith aus Köln. „Ich habe mir den Termin des Anmeldestarts ins Handy eingetragen und mich automatisch daran erinnern lassen.“ Ganz wichtig: Deutlich vor dem offiziellen Verkaufsstart auf der Webseite sein und sich eintragen, sobald die Anmeldung online geht. Das passiert meistens vor dem eigentlich angekündigten Termin. Für die Mailand-Reise sollte die Anmeldung um 11:11 Uhr öffnen, um 11:12 Uhr waren schon alle Tickets weg.

„Aus technischen Gründen müssen wir immer ein paar Minuten früher starten“, erklärt Kölns Marathon-Chef Markus Frisch, der in Mailand die Gruppe sicher durch das Straßengewirr Mailands zu allen Highlights navigierte. Mehr Teilnehmer will der Köln-Marathon zu seinen Hidden Runs aber auch nicht zulassen. „Dann könnten wir das nicht mehr Bordmitteln stemmen“, sagt Markus Frisch. Mehr als 60, 80 Läuferinnen und Läufer lassen sich kaum einfach so durch eine fremde Stadt lotsen. „Uns geht es – wie den Teilnehmern – vor allem um den Spaß und darum, was Neues kennenzulernen“, erklärt Frisch.

Trotz Verletzung mitgereist, um die Läufer anzufeuern

Und Spaß hatten in Mailand sogar die Teilnehmer, die mitgereist waren, obwohl sie verletzungsbedingt gar nicht laufen konnten. So wie Nicole aus Köln. Seit ihrem 26. Marathon, den sie dieses Frühjahr gelaufen ist, plagt sie ein Überlastungssyndrom am Schienbein. Laufverbot ist die Folge. Trotzdem ist sie mit ihrem Mann Jörg nach Mailand gereist und hat einen ganz wichtigen Job für alle Hidden Runner übernommen: Wasser kaufen und an zwei Stellen auf der Strecke an die durstigen Hitzeläufer verteilen.

Für sie ist das Ehrensache angesichts der vielen tollen Lauferlebnisse, die sie mit ihrem Mann schon hatte. Im Herbst 2018 haben die beiden sogar innerhalb eines Marathons zum zweiten Mal geheiratet. Beim Las Vegas-Marathon (es war der 20. für beide) in den USA sind sie kurz in eine der „Wedding Chapels“ abgebogen, für die das Spielerparadies in Nevada legendär ist, und haben dem Standesbeamten das Ja-Wort nochmal gegeben – am 11.11. und fünf Jahre nachdem sie in Köln zum ersten Mal geheiratet haben. Aber das ist eine andere Geschichte …