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Frau Schmitts Kolumne
Läufst du noch oder fakest du schon?

| Text: Heidi Schmitt | Foto: Adobe Stock/Creativa Images

Heidi Schmitt ist Läuferin und Autorin aus Leidenschaft. In ihrer Kolumne auf laufen.de schreibt sie über das, was sie beim Laufen erlebt. Diesmal: Über die Teilnahme an Läufen, die es gar nicht gibt.

2026 will ich mal wieder an ein paar Laufveranstaltungen teilnehmen. Der „Urban Lights Run“ in Berlin könnte mir gefallen. Dort läuft man im Frühjahr nach Einbruch der Dunkelheit mit bunten Lichtern ausgestattet 10 Kilometer durch die Hauptstadt.

Start und Ziel sind am Brandenburger Tor, auf der Strecke liegen praktisch alle Sehenswürdigkeiten – von Museumsinsel bis Hackescher Markt. Ich habe Videos davon gesehen, es ist ungeheuer stimmungsvoll – tausende Läuferinnen und Läufer mit all den glitzernden Lichtern!

„Urban Lights Run“? Gibt es gar nicht!

Die Sache hat vielleicht nur einen kleinen Haken – den „Urban Lights Run“ gibt es gar nicht. Ich hab ihn mir einfach ausgedacht. Die Clips habe ich mir selbst erstellt, hat nur 3 Minuten gedauert, KI sei Dank. Wenn ich es recht überlege, muss ich dort sowieso nicht antreten, ich kann mir ja ein Video generieren, das mich in einer leuchtenden Menge zeigt, wie ich am Brandenburger Tor über die Ziellinie laufe und mir jemand eine Medaille umhängt.

Wahrscheinlich würde ich in dem Clip ein bisschen weinen, das kommt immer gut in den sozialen Medien. Praktisch wäre, wenn ich dann noch ein paar Profile anlege für den „Urban Lights Run“, damit die Leute sehen, dass es den Lauf auch gibt. Und damit die KI-Antworten bei Google das auch bestätigen.

Was ist echt? Was ist Fake?

Ich weiß allerdings nicht so genau, warum ich das alles tun sollte. Vielleicht, um etwas vorwegzunehmen, was es demnächst immer häufiger geben wird. Finstere Gesellen haben bereits heute schon eine große Freude dran, farbenprächtige Profile von Fake-Laufveranstaltungen zu erstellen – in Michigan meldeten sich unzählige Läuferinnen und Läufer für die „Color 5 Mile“ an, die es nicht gab, nie geben sollte. Die Startgebühren verschwanden im Dunkeln.

Um sich davor zu wappnen, hilft nur aufmerksame Recherche. Aber auch die Betrügereien von Läuferseite sind heute verblüffend unaufwendig – ein Reel zu erstellen, das mich irgendwo beim Zieleinlauf zeigt, mit Urkunde und Medaille, ist ein Klacks. Wer sucht schon nach Ergebnislisten? Bereits beim Schreiben spüre ich die ganze Blödigkeit dieser Aktivitäten, die uns künftig immer öfter heimsuchen werden. Was real ist und was Fake – es wird immer schwerer zu erkennen.

Wir sind selbst schuld ...

Am Ende haben wir uns das Schlamassel allerdings selber eingebrockt. Seit Jahren haben wir uns eingeredet, dass nur ein dokumentierter Lauf wirklich stattgefunden hat. Uhr und Smartphone – beides muss unbedingt immer mit. Zahlen, Videos und Fotos beweisen, dass wir uns ordentlich abgemüht haben.

Und jetzt? Beweisen sie plötzlich nichts mehr. Das alles lässt sich schneller manipulieren, als wir unsere Schuhe zugeschnürt haben. Doch das muss uns gar nicht betrüben. Denn eins kann KI nicht faken: Unsere unerschütterliche Erinnerung an einen großartigen Lauf. An den kurzen Regen gleich nach dem Start, über den wir lachend geflucht haben. Die tolle Band bei Kilometer 15, bei der wir am liebsten stehengeblieben wären.

An den Geruch nach Energy Drink und Banane bei Kilometer 30. Und an das Gefühl, was wir hatten, als uns im Ziel die Beine zitterten und uns die Tränen kamen und wir wussten gar nicht, wieso eigentlich. Das Vergängliche, Flüchtige, das wir nur in unseren Herzen festhalten und niemandem als Beweis vorlegen, es hat wieder mehr Bedeutung. Und das ist, bei Licht besehen, doch eine gute Nachricht.

Heidi Schmitt …

… ist Läuferin und Autorin aus Frankfurt, schreibt und läuft im stetigen Wechsel. Am liebsten über und bei Volksläufen in der Provinz, wo Läuferinnen und Läufer zwar selten mit einer Medaille, dafür aber mit Streuselkuchen belohnt werden. Auf laufen.de schreibt sie ganz offen, was sie denkt. Und wer mehr Frau Schmitt will, wird hier fündig: