Asics-Gründer
So helfen alte Werte modernen Läufern in der Krise

| Interview: Christian Ermert | Fotos: Asics

Laufen hilft Menschen bei der Krisenbewältigung. Das wusste Kihachiro Onitsuka schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als er in Japan Asics gründete. Warum die Werte, die er seinem Unternehmen ins Stammbuch geschrieben hat, in der Corona-Krise so aktuell wie selten sind, hat uns einer seiner Nachfolger verraten.

Vor 71 Jahren wurde die japanische Sportartikelfirma Asics von Kihachiro Onitsuka gegründet. Das Unternehmen hieß damals Onitsuka Tiger und ist als Asics längst zu einem der wichtigsten Hersteller von Laufschuhen weltweit aufgestiegen. Der Start erfolgte in schweren Zeiten. 1949 war der Zweite Weltkrieg gerade mal vier Jahre vorbei, das japanische Kaiserreich hatte ihn an der Seite von Nazi-Deutschland verloren. Die Großstädte Nagasaki und Hiroshima wurden durch zwei US-amerikanische Atombomben vernichtet, insgesamt starben über 3,7 Millionen Japaner. Angesichts der aktuellen Corona-Krise erklärt Asics-Vizepräsident Gary Raucher im Interview mit Blick auf die Gründungsphase seines Unternehmens, wie der Sport und speziell das Laufen Menschen in schwierigen Zeiten helfen kann. Er sagt auch, wie Kihachiro Onitsuka, der heute 102 Jahre alt geworden wäre, immer noch auf das Unternehmen wirkt, obwohl er 2007 verstorben ist. Und warum die Werte, die der Asics-Gründer seinem Unternehmen ins Stammbuch geschrieben hat, in der Corona-Krise so aktuell wie selten sind.

Gary Raucher, wer eine verantwortliche Position bei einem Unternehmen wie Asics hat, muss doch sicher selbst auch Läufer sein, oder?
Gary Raucher: Ich laufe zwar, würde mich aber noch nicht als Läufer bezeichnen. Ich war immer Tennisspieler, bin einmal pro Woche gelaufen, um gut in Form zu sein. Die Corona-Krise hat allerdings auch mich verstärkt zum Laufen gebracht. Die Tennisplätze waren ja alle geschlossen, und so hat sich mein Laufpensum auf drei- bis viermal pro Woche erhöht.

Da geht es dir wie vielen Sportlern in diesen Tagen. Wenn man in den Parks unterwegs ist, hat man den Eindruck, als ob mehr Menschen liefen als je zuvor …
… ja, das beobachten wir bei Asics auch. Und wir sehen, dass derzeit Menschen aus zwei verschiedenen Richtungen zum Laufen kommen. Da sind auf der einen Seite diejenigen, die ihren normalen Sport wegen der Corona-Beschränkungen nicht ausüben können. Aber auf der anderen Seite haben in den vergangenen Monaten auch viele Leute mit dem Laufen begonnen, die vor Corona kaum körperlich aktiv waren. Die Sorge um ihre körperliche und mentale Gesundheit treibt sie in Corona-Zeiten an, sportlich aktiv zu werden

Für einen der wichtigsten Hersteller von Laufschuhen ist das keine so schlechte Nachricht.
Klar. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt sehen wir aber auch, dass unsere Philosophie genau richtig ist. Wir haben schon immer das Zusammenspiel von einem gesunden Körper und mentaler Fitness in den Vordergrund gerückt.

Bei Asics für das Marketing in Europa verantwortlich: Vizepräsident Gary Raucher

Asics steht für „Anima sana in corpore sano“ – die uralte lateinische Redewendung, die beschreibt, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper steckt.
Ja, und sie ist gerade in Zeiten wie diesen wichtig, auch wenn bei uns daraus schon länger der modernere Slogan „Sound mind, sound body“ geworden ist. Die Botschaft ist: Sport und besonders das Laufen hat sehr positive Effekte auf die körperliche und mentale Fitness. Und wir glauben fest daran, dass Laufen den Menschen hilft, besser durch Krisen zu kommen. Gerade jetzt ist Laufen notwendiger denn je. Unsere Gesellschaft war ja schon vor Corona sehr gestresst. Jetzt ist der Stress noch größer. Die Verunsicherung der Menschen ist groß. Politik, Wirtschaft, Gesundheit – nichts scheint mehr stabil. Und dann ist auch noch die persönliche Freiheit wegen Corona stark eingeschränkt – in dieser Situation ist Laufen eine großartige Möglichkeit, sich wieder frei zu fühlen und Stress zu reduzieren, indem man in der Natur aktiv ist.

Das hat auch Asics-Gründer Kihachiro Onitsuka angetrieben, der die Firma in einer Zeit startete, als die Welt und vor allem Japan sehr schwere Zeiten erlebten …
Er hat immer daran geglaubt, dass Sport Menschen in schweren Zeiten Mut macht. Sein Ziel war es, die jungen Menschen im Nachkriegs-Japan für den Sport zu begeistern. Und diesem Erbe fühlen wir uns bis heute verpflichtet. Sogar in den dunkelsten Stunden, wenn Menschen Angst haben und gestresst sind, wenn sie kurz davor sind, ihre Hoffnung zu verlieren, kann Sport helfen, den Optimismus und die Zuversicht wiederzufinden.

Asics-Gründer Kihachiro Onitsuka wäre am 29. Mai 2020 102 Jahre alt geworden

Am 29. Mai 2020 hätte Kihachiro Onitsuka seinen 102. Geburtstag gefeiert. Wie präsent Ist er bei Asics noch nach seinem Tod vor 13 Jahren?
Sehr. Jedes Jahr an seinem Geburtstag erinnern wir alle Mitarbeiter verstärkt an die sechs Werte, die er mit seiner Firma gelebt hat und die wir weiter leben und von unseren Mitarbeitern verlangen: Sei ausdauernd. Sei höflich und zuvorkommend. Sei immer gut vorbereitet. Arbeite im Team. Respektiere die Regeln. Lerne aus Fehlern. Interessanterweise sind das genau die Werte, die auch den Menschen helfen werden, durch die Corona-Krise zu kommen und das Virus am Ende zu besiegen. Deshalb ist die aktuelle Situation ein spezieller Moment für unsere Marke. Wir bleiben optimistisch, was die Zukunftsaussichten für das Laufen und für unser Unternehmen betrifft.

Und die Krise ist eine gute Gelegenheit, mehr Laufschuhe und Running-Equipment zu verkaufen?
Für uns ist es wichtig, dass die Menschen mit dem richtigen Equipment unterwegs sind, das ihnen hilft, ihren Sport so gesund und gut wie möglich auszuüben. Aktuell sieht man viele Leute, die mit dem Laufen anfangen und dabei irgendwelche Sachen und Schuhe anhaben, die sie wohl hinten im Schrank gefunden haben. Uns ist es wichtig, zu vermitteln, dass Laufen mit den richtigen Schuhen und dem passenden Equipment nicht nur mehr Spaß macht, sondern auch dabei hilft, die typischen Läuferverletzungen zu vermeiden.

Aber Corona hat doch sicher viele negative Folgen für Asics, oder?
Ja klar, Büros und Shops wurden geschlossen, unsere Mitarbeiter mussten zu Hause arbeiten und gleichzeitig ihre Kinder betreuen. Und natürlich hat die Schließung der Geschäfte weltweit unseren Warenabsatz negativ beeinflusst. Gleichzeitig sind unsere Produkte in den Online-Shops aber viel stärker nachgefragt als vor Corona. Das kompensiert zwar noch nicht die Verluste, die wir durch die Schließung der Shops erlitten haben, aber wir sehen auch, dass der Verkauf von Produkten fürs Laufen in der ganzen Krise immer gut war, während uns beispielsweise der Tennissektor viel größere Sorgen bereitet hat.

Was lernt Asics aus der Krise?
Vor allem haben wir gelernt, dass die Verlagerung von Verkäufen aus dem stationären Handel hin zum Online-Shopping durch Corona sich noch schneller vollzieht als erwartet. Für uns heißt das, dass wir digitales Marketing und digitalen Verkauf in unserem Unternehmen noch mehr in den Fokus rücken müssen.

Dennoch bleibt doch gerade bei Laufschuhen der stationäre Handel wichtig. Schließlich kann man nur dort erleben und erfühlen, ob ein Schuh wirklich zum eigenen Fuß und zu meinem Typ als Läufer passt …
… wir werden weiter Menschen ermuntern, in die Shops zu gehen, um dort mit einer exzellenten Beratung herauszufinden, welche Produkte zu ihnen passen. Aber gleichzeitig arbeiten wir daran, digitale Methoden zu entwickeln, mit denen die Menschen online ähnlich gute Erfahrungen machen können. Aber auch dabei wollen wir mit unseren Partnern aus dem Sportfachhandel ganz eng zusammenarbeiten. Das ist extrem wichtig, auch weil wir herausgefunden haben, dass über 80 Prozent der Läufer mit Schuhen laufen, die nicht optimal zu ihnen passen. Das zeigt, dass bei der Beratung noch viel Arbeit vor uns liegt. Auch um die Verletzungsquote bei Läufern zu senken. Denn viele Verletzungen entstehen, weil die Menschen in Schuhen laufen, die nicht zu ihnen passen.

Wird die Laufszene nach der Krise denn noch die gleiche sein wie vorher?
In der Krise entdecken viele Menschen die Vorzüge des Laufens. Und viele von denen werden sich dann auch als Läufer bezeichnen. Die Zahl der Läufer wird wachsen. Und das ist eine gute Nachricht. Ich selbst bin ein gutes Beispiel: Ich laufe zwar, würde mich aber nicht als Läufer bezeichnen. In der Krise bin ich dem ein bisschen näher gekommen – obwohl ich mich immer noch als Tennisspieler sehe.