Von L.A. nach Vegas: Full Speed durch die Wüste

Von L.A. nach Vegas: Full Speed durch die Wüste

| Text: Anja Herrlitz | Fotos: Max Menning

„The Speed Project“ – das ist ein inoffizielles Straßenrennen über 550 Kilometer von Los Angeles durch die Wüste nach Las Vegas. Die Berliner Kraft Runners waren zum zweiten Mal dabei und liefen ein Durchschnittstempo von unter vier Minuten den Kilometer.

„The Speed Project“ – das ist ein inoffizielles Straßenrennen für Lauf-Crews in den USA: Es geht non-stop über 550 Kilometer von Los Angeles durch die Wüste nach Las Vegas. Die Berliner Kraft Runners waren zum zweiten Mal dabei, kamen als drittschnellstes Team an, liefen ein Durchschnittstempo von unter vier Minuten und hatten eine unvergessliche Zeit.

Das Motto: Geil Ballern!

„Geil ballern“ ist das Motto der Kraft Runners. Es steht einerseits dafür, beim Laufen so richtig Gas zu geben. Andererseits drückt es aber auch das Lebensgefühl der Crew aus: Spaß haben bei dem, was man macht. Auch wenn man bei absoluter Dunkelheit durch die Wüste rennt. Um dich herum nichts als Dunkelheit, das Jaulen von wilden Hunden oder das Rasseln einer Klapperschlange. Unter deinen Füßen Kies und Sand. Du allein mit dir – und sonst nichts. Du hörst deinen Atem, viel lauter als sonst. Klingt aufregend? Ist es! Klingt nach einem einmaligen Erlebnis? Ist es! Klingt nach: Muss man mal gemacht haben? Zumindest für die Gruppe Berliner Läufer gilt auch das.

Tag und Nacht: Einer läuft immer

Empfohlenes Video zu diesem Artikel

Hier findest du ein externes Video von YouTube, das diesen Artikel ergänzt. Du kannst es dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Indem ich mir das Video anzeigen lasse, erkläre ich mich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an die Plattform YouTube übertragen werden können. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Und der Lauf allein durch die stockdunkle Wüste war nur ein Teil eines viel größeren Abenteuers: The Speed Project. Eine Gruppe laufverrückter Sportler rund um den gebürtigen Hamburger Nils Arend, der jetzt in den USA lebt, suchte vor einigen Jahren nach Herausforderungen – abseits der großen durchorganisierten Städtemarathons. So liefen sie von Malibu im Norden von Los Angeles nach Huntington Beach im Süden. Rund 110 Kilometer.

Und kamen dann 2014 auf eine noch verwegenere Idee: Wie wäre es, von LA nach Las Vegas zu laufen. Rund 550 Kilometer. Als Staffel, einer läuft immer. Auf Asphalt und unbefestigten Wegen. Tag und Nacht. Durch die Mojave-Wüste und das Death Valley. Klingt verrückt, aber genau das tat Nils Arend mit fünf Freundinnen und Freunden. Nach 41 Stunden kamen sie in Las Vegas an.

Die Einladung aus den USA

Davon erzählten sie dem Berliner Marco Prüfer, als der 2016 auf einer Hochzeit in Los Angeles und mehrmals mit dem dortigen Nike Running Club unterwegs war. „Das Ding fand ich so geil und inspirierend“, erzählt er. Und rief gleich Eugen Fink an. Die beiden sind die Gründer der Berliner Laufcrew „Kraft Runners“, die sich jeden Dienstag in Berlin am Cafe Kraft treffen, um gemeinsam mit vielen anderen beim Laufen richtig Gas zu geben – „geil ballern“, wie sie es nennen.

„Ich wollte unbedingt auch so etwas machen“, erzählt Marco. Und so kam es, dass sie mit Freunden wenige Wochen später, nur knapp zwei Wochen nachdem sie den Berlin-Marathon gelaufen waren, als Staffel von Berlin nach Hamburg rannten. „Das haben wir auf Instagram gespielt und fleißig verlinkt, sodass Nils Arend auf uns aufmerksam geworden ist. Sie haben uns für das Speed Project 2017 eingeladen. Als wir die Nachricht im Instagram-Postfach gesehen haben, dachten wir zuerst, es sei ein Fake“, erzählt Marco lachend.

Unvergessliche Erinnerungen größer als Erschöpfung

Doch schnell war ihnen klar: Die Einladung ist echt – und fingen an zu checken: Wollen wir das machen? Können wir das finanziell stemmen? Haben wir noch genug Urlaubstage? Kurz darauf stand fest: Im Frühjahr sind die Berliner mit acht Mann und Frau dabei. Nach 39:29:01 Stunden erreichten sie als zweites Team von rund 20 Las Vegas. „Danach waren einige von uns echt k.o. und krank, und wir haben uns gesagt, so einen Scheiß machen wir nie wieder“, erzählt Marco. „Aber letztendlich hatten alle von uns wahnsinnige Bilder von dem Lauf im Kopf, die viel stärker waren als die Erschöpfung. Und so waren wir dieses Jahr wieder dabei.“

Eine Woche vor dem Start reiste die Crew am 23. März nach Los Angeles: zehn Läufer, ein Foto- und ein Videograf und dazu noch sechs Freunde. Nachdem sie die ersten Tage relaxt hatten, fingen drei Tage vor dem Rennen die Vorbereitungen an. Und dabei profitierten sie von den Erfahrungen, die sie im vergangenen Jahr gemacht hatten. „Im letzten Jahr hatten wir unglaublich viel an Verpflegung für das Rennen, das wir dann gar nicht angerührt haben. Mehrere Liter Erdnussbutter, Melonen, Nudeln, Reis und noch viel mehr“, erzählt Eugen lachend. „Aber wenn man immer wieder läuft und dazwischen nur kurz schläft, schlagen solche Sachen einem auf den Magen.“ Deshalb gehörten in diesem Jahr vor allem Riegel und Bananenbrote zur Verpflegung. „Und Chips, die wir noch extra gesalzen haben. Wir haben im letzten Jahr gemerkt, wie wichtig die Salzzufuhr ist.“

Das Wohnmobil als Pausenraum

Und noch eine wichtige andere Sache musste vor dem Lauf erledigt werden: Mit einem Wohnmobil und zwei kleineren Wagen würden alle Crew-Mitglieder fahren, die gerade nicht liefen. „Im letzten Jahr hatten wir an das Wohnmobil mit Tapeband ‚Kraft‘ geklebt. Dieses Mal wollten wir den Wagen auffälliger branden“, erzählt Eugen.

Und dafür ließen sie extra einen Tape-Artist aus Philadelphia anreisen, der ihnen half, den Wagen in drei Tagen in ein wahres Kunststück zu verwandeln. „Wir haben letztlich länger den Wagen beklebt als wir gelaufen sind“, blickt Marco lachend zurück. Eine Tatsache, die manche für wahnsinnig halten, die aber definitiv den Geist dieser Reise wiederspiegelt. „Natürlich haben wir das Rennen ernst genommen und wollten auch schneller sein als im Jahr zuvor“, betont Eugen.

„Aber gleichzeitig predigen wir seit Monaten unser neues Motto ‚Bock‘ und das sollte auch bei diesem Rennen im Vordergrund stehen. Egal was kommt und passiert, es muss halt Laune machen.“ Die Kraft Runners laufen gern und schnell, genauso gerne feiern sie aber auch. Und legen Wert auf ein tolles Gemeinschaftsgefühl, bei dem sich jeder auch um die anderen kümmert. Es geht ihnen kurz gesagt darum, einfach eine gute Zeit zu haben.

Das Ausruhen zwischen den Etappen ist entscheidend

Und deswegen machten sie in diesem Jahr so einiges anders als bei ihrem ersten Start beim „The Speed Project“. Sie waren fitter. „Und wir hatten dieses Jahr viel weniger während des Laufs zu tun, weil wir einen für die Fotos und einen für Videos dabei hatten. Instagram haben wir ein bisschen nebenbei gemacht“, erzählt Eugen. Und dadurch, dass auch mehr Leute dabei waren, konnte man sich beim Autofahren und Navigieren mehr abwechseln. So blieb mehr Zeit, um zwischendurch mal ein wenig zu schlafen oder einfach das Rennen und die Stimmung zu genießen. „Am zweiten Tag waren wir zum Beispiel in einem der kleineren Autos zu siebt unterwegs, haben einfach geile Musik gehört und hatten die beste Stimmung. Im Jahr davor waren wir auf diesem Streckenabschnitt einfach nur k.o.“, erinnert sich Marco.

Was sich nach großem Spaß anhört, war sicherlich auch einer. Daneben aber auch ein knallharter Lauf. Das inoffizielle Rennen hat im vierten Jahr bereits einen gewissen Kultstatus erreicht. Es gibt keine offizielle Seite, auf der man sich anmelden kann, die Gründer erreichen zahlreiche Anfragen, aber nicht jeder wird eingeladen. 40 Teams waren dieses Jahr am Start. Regeln für den Lauf gibt es keine, außer, dass immer einer des Teams laufen muss. Will man in die offizielle Wertung, müssen in einem Team mindestens vier Männer und zwei Frauen am Start sein.

Ausgeklügelte Renntaktik, fantastischer Teamspirit

Start des Rennens ist um vier Uhr morgens am Santa Monica Pier in Los Angeles. „Am Anfang sind wir jeder zehn Kilometer gelaufen, weil wir Lust und Energie hatten“, erzählt Marco. „Danach haben wir die Strategie gewechselt und sind kürzere Distanzen gelaufen, um schneller zu sein und besser regenerieren zu können.“ Während das Wohnmobil immer vorfuhr, begleiteten die kleineren Autos die Läufer oder fuhren den nächsten Läufer an den Wechselpunkt. Teilweise wurden Läufer auch von Pacern begleitet. „Wenn man in der Mittagshitze läuft und die Strecke einfach immer nur geradeaus geht, kann sich das ganz schön ziehen. Dann hat es total gepusht, wenn einer neben einem hergelaufen ist“, erklärt Eugen.

Denn das Laufen bei 30 bis 35 Grad im Schatten war wirklich anstrengend. „Nach einem Kilometer war man total durchgeschwitzt und hätte direkt einen halben Liter Wasser trinken können“, erzählt Marco. Für viele war es deshalb angenehmer, nachts zu laufen. Auch wenn es dann stockdunkel war und man mit wilden Hunden und Klapperschlangen rechnen musste. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine Klapperschlange gehört habe“, meint Eugen. „Trotzdem war der Lauf in der Nacht etwas ganz Besonderes. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.“ Und auch Marco hat sich ein Teilabschnitt ganz besonders in das Gedächtnis eingeprägt: „Am zweiten Tag bin ich in den Sonnenaufgang reingelaufen. Vegas war nur noch zwölf Stunden entfernt. Ich war komplett ohne Musik unterwegs, weil ich die Geräusche um mich herum aufsaugen wollte. Der Sonnenaufgang hat so lange gedauert, dass ich Angst hatte, mein Lauf könnte vorbei sein, bevor die Sonne rauskommt. Das war der geilste Moment.“

Emotionale Zielankunft in Las Vegas

Unbeschreiblich war aber auch das Gefühl, in Las Vegas anzukommen. Nach Stunden der Ruhe und Einsamkeit auf und neben den Straßen zwischen Los Angeles und Las Vegas erwartete die Berliner diese Stadt, die wohl mit keiner anderen auf der Welt vergleichbar ist. Wo immer Trubel herrscht, wo es niemals ruhig ist. Wo man schon mal das Zeitgefühl verliert, weil eigentlich immer Tag zu sein scheint. Größer können Gegensätze wohl kaum sein.

„Wir hatten Bengalos dabei und haben kurz vor dem Ziel diskutiert, ob wir sie anzünden sollten. Oder ob wir riskieren, festgenommen zu werden, wenn wir in den USA mit brennenden Fackeln und grölend über die Straße laufen“, erzählt Marco schmunzelnd. Letztlich siegte die Euphorie über die Vernunft. Mit zwei brennenden Bengalos und jeder Menge Bier rannte die Crew zusammen die letzten Meter zum berühmten Schild „Welcome to fabulous Las Vegas“, dem Ziel des Rennens.

In 36:45 Stunden waren sie rund 2:45 Stunden schneller als im Jahr davor und erreichten das Ziel als Dritte. Die Sieger „Sunchasers“ aus Paris waren in 35:49 Stunden so schnell wie kein anderes Team zuvor und erreichten nach einem harten Zweikampf das Ziel nur zehn Minuten vor den Bostoner „Tracksmith“.

60 Kilometer für jeden der Kraft Runner – und ein Kilometer-Schnitt von 3:51 Minuten!

Knapp 60 Kilometer hatte jeder der Berliner in den Beinen, bei einer Durchschnittspace von 3:51 Minuten pro Kilometer. „Krass fand ich, dass wir so viel fitter waren als im Jahr davor“, meint Eugen. Und deswegen wurde im Ziel auch ausgelassen gefeiert – wie eigentlich auch während des ganzen Rennens. „Wir haben 36 Stunden Party gefeiert, weil das für uns einfach dazu gehört. Wir haben Bock auf gute Stimmung, es geht nicht nur ums Laufen“, meint Marco. Und Eugen fügt hinzu: „So ein Trip wird nur zum Erlebnis, wenn die Gruppenkonstellation stimmt, wenn der ‚Good Vibe‘ vorhanden ist, man rücksichtsvoll miteinander umgeht und füreinander da ist.“ Die ausgiebige Feier wurde dann aber doch auf den nächsten Tag am Pool verlegt, abends waren viele zu müde dafür.

Für ein Highlight zum Ende des Trips sorgte dann noch Paul Schmidt. Nachdem er mit seinen Kumpels erst das Rennen gerockt hatte, heiratete er in Las Vegas in einer Kapelle noch seine Freundin. Ein wundervolles Ende und gleichzeitig ein unvergesslicher Start für die beiden ins Eheleben.

Ob es eine dritte Auflage für die Kraft Runners beim „The Speed Project“ geben wird? Eugen und Marco lachen. „Eigentlich haben wir ja letztes Jahr schon gesagt, dass wir das nicht mehr machen“, meint Eugen. Dann waren sie doch wieder an Start. Völlig ausschließen würden sie es deshalb nicht. „Aber ich glaube wir sind jetzt durch mit dem Thema“, meint Marco. „Wir hätten aber schon Bock, was Eigenes auf die Beine zu stellen und vielleicht Europa mit einem coolen Lauf zu erobern.“ Nicht auszuschließen also, dass es nächstes Jahr eine weitere irre Geschichte über die Kraft Runners zu erzählen gibt.