Russland am Doping-Pranger: Leichtathleten droht Olympia-Ausschluss

| A. Schirmer, T. Burmeister, R. Jarkowski (dpa) I Foto: Shutterstock I (letzte Aktualisierung: 10.11., 12:19 Uhr)
Ausschluss Russlands aus der IAAF, lange Sperren gegen Trainer und Athleten. Der am Montag vorgestellte Untersuchungsbericht der WADA hat es in sich.

WADA-Ermittler Richard Pound war selbst über das Ermittlungsergebnis zum Vorwurf des flächendeckenden Doping in Russland entsetzt: „Es ist schlimmer, als wir dachten.“ Seine Kommission empfiehlt im 323 Seiten starken Untersuchungsbericht den Ausschluss von Russlands Leichtathleten aus dem Weltverband. Die Affäre ins Rollen gebracht hatte Ende 2014 eine ARD-Dokumentation von Hajo Seppelt.

Russlands Leichtathleten droht der Ausschluss von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Wegen der ausufernden Dopingaffäre empfiehlt die Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA einen Rauswurf der einst so großen Sportnation aus dem Internationalen Leichtathletik-Verband IAAF. Zugleich sprach sich das dreiköpfige Gremium am Montag in seinem Bericht dafür aus, fünf russische Athleten sowie fünf Trainer auf Lebenszeit zu sperren. Den 323 Seiten starken WADA-Bericht gibt's hier zum Downlaod.

Folgende Athleten, Trainer und Ärzte sollen laut WADA-Empfehlung lebenslang gesperrt werden: Maria Sawinowa-Farnossowa (800 Meter, Olympiasiegerin 2012, Weltmeisterin 2011) Jekaterina Poistogowa (Mittelstreckenläuferin, Bronze über 800 Meter bei den Olympischen Spielen 2012), Anastassija Basdyrewa (400 und 800 Meter, russische Meisterin),Kristina Ugarowa (1500 Meter), Tatjana Mjasina (Mittelstreckenläuferin), Alexej Melnikow (Cheftrainer Langstreckenlauf), Wladimir Kasarin (Trainer von u.a. Maria Sawinowa-Farnossowa), Wladimir Mochnjew (Trainer Mittelstrecke), Viktor Tschegin (Cheftrainer Gehen), Sergej Portugalow (Chefarzt im Russischen Leichtathletik-Verband).

Schwere Vorwürfe werden dem russischen Sportminister Witali Mutko gemacht. Er solle persönlich angeordnet haben, „bestimmte Dopingproben zu manipulieren“. Russland wies die Forderung der WADA nach harten Strafen postwendend als politisch motiviert zurück. Zugleich erklärte Sportminister Mutko in Moskau, dass die WADA zwar Empfehlungen aussprechen, aber niemanden selbst von Wettbewerben ausschließen könne. Außerdem soll dem Kontroll-Labor in Moskau die Akkreditierung entzogen werden und dessen Direktor abgelöst werden. Grigori Rodschenkow gab zu, die Beseitigung von 1417 Dopingproben angewiesen zu haben.

Pound: "Russland scheint ein staatlich unterstütztes Dopingsystem unterhalten zu haben"

Angesichts der immer größeren Dimension der Verfehlungen und kriminellen Umtriebe in der Welt-Leichtathletik schaltet sich nun auch Interpol ein. Die Weltpolizei kündigte, die internationalen Untersuchungen zu koordinieren. „Es ist schlimmer, als wir dachten. Das ist ganz schön verstörend. Russland scheint ein staatlich unterstütztes Dopingsystem unterhalten zu haben. Ich denke nicht, dass eine andere Schlussfolgerung möglich ist“, sagte Richard Pound, der Vorsitzende der WADA-Kommission, auf der Pressekonferenz in einem Nobelhotel am Genfer See. Es sei enttäuschend, die Art und Weise und das ganze Ausmaß der Affäre zu sehen. Man müsse zu der Schlussfolgerung kommen, „dass es wahrscheinlich nur geschehen konnte, weil jeder (in Russland) es wusste und einverstanden war“.

Die IAAF kündigte in einer Stellungnahme an, den Bericht zu prüfen und eine Suspendierung des russischen Verbandes für künftige Wettbewerbe zu erwägen. „Das sind alarmierende Informationen“, lautete der Kommentar von IAAF-Präsident Sebastian Coe. Der Brite gab den Russen bis Ende der Woche Zeit, um auf den Bericht zu antworten. Das Internationale Olympische Komitee reagierte mit großer Betroffenheit. „Das ist ein zutiefst schockierender Report und sehr traurig für den Weltsport“, erklärte das IOC am Montagabend in einem Statement. „Der Schutz des sauberen Athleten hat für das IOC oberste Priorität.“ Auf die Verletzung von Anti-Doping-Regeln durch Athleten oder ihr Umfeld werde das IOC mit seiner bekannten „Null-Toleranz-Politik“ reagieren.

Das Pound-Gremium war eingesetzt worden, um die in einer ARD-Dokumentation erhobenen Vorwürfe über Doping und Korruption im russischen Spitzensport zu untersuchen. In dem Film von Hajo Seppelt „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“ waren am 3. Dezember 2014 geheime Aufzeichnungen in Bild, Ton und Schrift mit Hinweisen auf staatlich unterstütztes Doping präsentiert worden. „Die Kommission gratuliert der ARD zu diesem Bericht, der ein sehr gutes Stück journalistischer Berichterstattung darstellt“, lobte Pound. Ein Interview mit Hajo Seppelt lest ihr hier!  Dem Gremium gehören zudem der Sportrechts-Experte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger, dem Pound dankte: „Günter Younger hat einen großartigen Job gemacht. Ohne seine professionelle Hilfe wären wir nicht so schnell so weit gekommen.“

In voller Länge: Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht

Empfohlenes Video zu diesem Artikel

Hier findest du ein externes Video von YouTube, das diesen Artikel ergänzt. Du kannst es dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Indem ich mir das Video anzeigen lasse, erkläre ich mich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an die Plattform YouTube übertragen werden können. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ist der WADA-Report ein wichtiger Meilenstein. „So beunruhigend und erschreckend die Vorkommnisse sind, so wichtig und dringend erforderlich war es für den gesamten Sport, dass diese Untersuchung die Fakten ans Licht brachte und dass nun auch harte Konsequenzen folgen“, sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper. „Die Leichtathleten haben nun die Radfahrer abgelöst“, konstatierte der anerkannte Dopingexperte Fritz Sörgel. Der Biochemiker forderte, dass ähnliche Untersuchungen auch in anderen Ländern wie Jamaika gemacht werden sollten.

Der frühere IAAF-Vizepräsident Helmut Digel hält die russische Affäre für einen Wendepunkt, nachdem der Sport sich entscheidend veränder könnte. „Der Doping-Fall des kanadischen Sprinter Ben Johnson 1988 und auch der FIFA-Skandal sind dagegen harmlos“, meinte der Tübinger Sportsoziologe. Der Schaden für die IAAF seien immens groß. „Die Leichtathletik steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise, deren Reichweite noch nicht zu ermessen ist“, sagte Digel. Entsetzt zeigte sich auch der deutsche Leichtathletik-Präsident. „Der WADA-Bericht übersteigt meine Befürchtungen bei weitem“, sagte Clemens Prokop. „Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Wenn alle Vorwürfe stimmen, muss den WADA-Empfehlungen gefolgt werden.“

Ex IAAF-Chef Diack in Frankreich vor Gericht

Neben dem Skandal um Russlands Leichtathleten wirft der Korruptionsvorwurf gegen den früheren IAAF-Präsidenten Lamine Diack einen dunklen Schatten über die olympische Kernsportart. Ihm wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. Die französische Justiz hat Anklage gegen den 82-Jährigen aus Senegal erhoben. Diack war von 1999 bis zum August 2015 Chef der IAAF. Die Ethikkommission des Internationalen Olympischen Komitees empfahl am Montag die Suspendierung des IOC-Ehrenmitglieds Diack.

Völlig verblüfft war Digel angesichts der Korruptionsvorwürfe gegen Diack. „Das hat mich in der Tat überrascht, weil er nicht nur ein derartiges Betrugssystem betrieben hat, sondern auch der Drahtzieher in diesem System gewesen sein soll“, sagte Digel. Weder das Council des Weltverbandes noch die Exekutive habe davon gewusst. „Wir haben uns immer als Verband verstanden, der engagiert gegen Doping kämpft.“

Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse

3. Dezember 2014: Alles beginnt mit dem Dokumentarfilm „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“. Das Image des russischen Sports wird durch Enthüllungen der ARD über systematisches Doping, Vertuschung von Kontrollen und Korruption auf schockierende Weise beschädigt. Die Dokumentation präsentiert geheime Aufzeichnungen in Bild, Ton und Schrift mit Hinweisen auf ein staatlich unterstütztes Doping sowie auf einen offenbar im Hintergrund wirkenden Betrugs- und Vertuschungsapparat.

4. Dezember: Nach den jüngsten Anschuldigungen über Betrug, Doping und Korruption im russischen Spitzensport kündigt IOC-Präsident Thomas Bach ein konsequentes Durchgreifen an.

11. Dezember: Papa Massata Diack, der Sohn von IAAF-Präsident Lamine Diack, lässt seine Tätigkeit als Marketingberater ruhen. Valentin Balachnitschew zieht sich von seinem Amt als IAAF-Schatzmeister zurück.

12. Dezember: Der Direktor der Anti-Doping-Abteilung im Leichtathletik-Weltverband, der Franzose Gabriel Dollé, legt sein Amt nieder.

16. Dezember: Der frühere WADA-Chef Richard W. Pound leitet die dreiköpfige Kommission zur Aufklärung der Doping-Vorwürfe gegen den russischen Spitzensport. Dem Gremium gehören zudem Sportrechtsexperte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger an.

25. Dezember: Die russischen Behörden überlassen den Ermittlern 3000 Proben zur Laboranalyse.

20. Januar 2015: Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada belegt fünf Geher wegen der Einnahme unerlaubter Substanzen mit drastischen Strafen. Drei der Leichtathleten sind Olympiasieger.

23. Januar: Russlands Leichtathletik-Nationaltrainer Valentin Maslakow erklärt seinen Rücktritt.

30. Januar: Die russischen Leichtathletik-Stars Julija Saripowa werden von der Rusada gesperrt.

4. Februar: Das IOC will den Dopingfall der Hindernisläuferin Julija Saripowa gründlich prüfen und dann über eine mögliche Aberkennung ihrer olympischen Goldmedaille befinden.

16. Februar: Im Hinblick auf die Serie von Dopingfällen im russischen Spitzensport räumt IAAF-Chef Diack eine „ernsthafte Krise“ ein.

17. Februar: Wegen des Dopingskandals tritt der Chef des russischen Leichtathletikverbandes, Balachnitschew, zurück. Neuer Präsident wird Wadim Selischenko.

24. März: Drei Monate nach den gravierenden Doping-Enthüllungen in der russischen Leichtathletik verkündet der neue Cheftrainer Juri Borsakowski vollmundig den Beginn einer neuen doping-freien Ära.

21. April: Das russische Leichtathletik-Team muss trotz der jüngsten Doping-Skandale keinen Ausschluss von Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen befürchten. Entsprechende Forderungen seien „ein Witz“, sagt Weltverbands-Präsident Diack.

2. Juni: Kremlchef Wladimir Putin fordert von den Sportverbänden eine verstärkte Aufklärungsarbeit.

6. August: Die Dopingsperre gegen die ehemalige Weltklasse-Marathonläuferin Lilija Schobuchowa ist um 14 Monate verlängert worden. Die Russin darf bis März 2016 nicht starten.

16. Juli: Aufgrund von Doping-Ermittlungen zieht der russische Leichtathletik-Verband vorläufig sein komplettes Geher-Team von internationalen Wettkämpfen zurück. Die WM findet Ende August in Peking ohne die mit Abstand erfolgreichste Geher-Nation statt.

2. August: ARD und „Sunday Times“ haben eine Liste mit 12.000 Bluttests von rund 5000 Läufern ausgewertet. Darunter sollen 800 Sportler mit dopingverdächtigen Werten sein, die von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gestartet sind.

19. August: Der Brite Sebastian Coe wird zum neuen IAAF-Präsidenten gewählt. Er löst Diack ab, der fast 16 Jahre lang amtierte.

4. November: Diack wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. Die französische Justiz erhebt Anklage gegen den 82-Jährigen aus Senegal.

5. November: Fünf russische Leichtathleten werden wegen Verstößen gegen Anti-Doping-Regeln gesperrt.

6. November: Diack soll in seiner Amtszeit mehr als eine Million Euro für die Vertuschung positiver Doping-Proben kassiert haben. Dies erklärt die französische Staatsanwältin Eliane Houlette.

9. November: Die WADA-Ermittlungskommission empfiehlt den Ausschluss Russlands aus der IAAF und lebenslange Sperren gegen Athleten und Trainer.