WM: Katharina Heinig und Fate Tola im Marathon

| Text: Jörg Wenig | Fotos: Imago, Wilhelmi, photorun.net
Bei der Leichtathletik-WM in London treten Katharina Heinig und Fate Tola an der Tower Bridge im Marathon für Deutschland an.

Morgen werden bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften an der Tower Bridge in London beide Marathon-Rennen gestartet. Während bei den Männern keine deutschen Läufer auf dem mehrmals zu durchlaufenden Rundkurs an der Themse vertreten sind, nominierte der Deutsche Leichtathletik-Verband zwei Frauen, die morgen um 15:00 Uhr deutscher Zeit auf den Stadtkurs durch die britische Metropole gehen werden: Fate Tola und Katharina Heinig. Sowohl im Männer als auch im Frauenrennen werden aber die aktuell besten Marathonläufer der Welt nicht am Start sein.

Fate Tola kann es unter die ersten 15 schaffen

Für Fate Tola werden die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London eine Premiere sein: Zum ersten Mal läuft die aus Äthiopien stammende Läuferin im deutschen Nationaltrikot bei einer interkontinentalen Meisterschaft - und das über die prestigeträchtige Marathondistanz.

Fate Tola konzentrierte sich frühzeitig in ihrer Karriere auf den Straßenlauf und dabei besonders auf die Marathondistanz. Ihre beiden größten Siege über die klassische Distanz gelangen ihr in Wien: 2011 und 2012 hieß die Siegerin des Vienna City Marathon jeweils Fate Tole. Ihre Bestzeit lief sie dann in Berlin 2012: Als Fünfte erreichte sie 2:25:14.

Nach einer Babypause meldete sich Fate Tola, die mit dem früheren deutschen Topläufer Musa Roba Kinkal, der ebenfalls aus Äthiopien stammt, verheiratet ist und in Gelnhausen (Hessen) wohnt, im Frühjahr 2015 zurück. Beim Wien-Marathon brach sie im letzten Teil des Rennens jedoch ein und musste sich mit Rang sieben in 2:34:43 zufrieden geben. Damals unter der deutschen Marathon-Rekordlerin Irina Mikitenko (2:19:19) trainierend, lief sie dann in Berlin 2:28:24. Damit hatte sie die deutsche Olympia-Norm unterboten. Doch der deutsche Pass kam im vergangenen Sommer zweieinhalb Wochen zu spät für die Nominierung.

In Frankfurt zeigte Fate Tola dann gute zwei Monate nach den Spielen von Rio olympische Form. Sie belegte überraschend Rang zwei und wurde mit 2:25:42 Stunden zur viertschnellsten deutschen Marathonläuferin aller Zeiten. Vor ihr stehen in der deutschen Alltime-Liste nur Irina Mikitenko (2:19:19), Katrin Dörre-Heinig (2:24:35) und Uta Pippig (2:25:37).

Langfristig hat sich Fate Tola auf ihren Start bei der WM in London vorbereitet. Nur zweimal ging sie in diesem Jahr an den Start und blieb dabei ungeschlagen: Nach dem Sieg beim HAJ Marathon Hannover im April mit 2:27:48 Stunden folgte noch ein Erfolg über 10 km in Würzburg (32:47 Minuten).

Die Konkurrenz wird in London bei der WM hochkarätig sein. Insofern darf man von der derzeit stärksten deutschen Marathonläuferin nicht zu viel erwarten. Eine Platzierung im Bereich von Rang 10 bis 15 wäre sicher ein Erfolg für Fate Tola.

 

Katharina Heinig hofft auf einen Platz unter den besten 20

Katharina Heinig gelang beim BMW Berlin-Marathon im vergangenen September ein Durchbruch: Sie steigerte sich von 2:33:56 auf 2:28:34 Stunden und war damit die beste deutsche Frau. Der Weg zu diesem Erfolg war allerdings schwierig und mit einigen Hindernissen versehen.

Katharina Heinig kommt aus einer Läufer-Familie. Ihre Mutter Katrin Dörre-Heinig gehörte in den 80er- und 90er-Jahren zu den besten Marathonläuferinnen der Welt. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul gewann sie die Bronzemedaille, Dritte war sie dann auch drei Jahre später bei den Weltmeisterschaften in Tokio. Dreimal triumphierte Katrin Dörre-Heinig beim London-Marathon, viermal in Osaka und einmal in Berlin, wo sie 1994 einen Streckenrekord von 2:25:15 Stunden aufstellte. Katharina Heinigs Vater Wolfgang hatte als Coach seine Frau in die Weltspitze geführt und war über Jahre hinweg als Bundestrainer tätig. Bis 2013 betreute er auch seine Tochter, dann übernahm seine Frau diese Rolle.

Einen deutlichen Aufwärtstrend verzeichnete Katharina Heinig zunächst 2014. Sie lief persönliche Bestzeiten über 10 km, im Halbmarathon sowie im Marathon. Doch eine langwierige Fersenverletzung machte ihr zu schaffen. 2015 entschloss sich die Läuferin zu einer Operation, die das Risiko barg, dass sie ihre Karriere nicht würde fortsetzen können. Es ging alles gut, und in Barcelona meldete sich Katharina Heinig im Februar 2016 mit einer Halbmarathon-Bestzeit von 72:55 Minuten zurück.

Doch die folgenden beiden Höhepunkte im Jahr 2016 entpuppten sich als Desaster für Katharina Heinig. Das große Ziel war der olympische Marathon in Rio. Ungewöhnliche Wetterbedingungen beim Zürich-Marathon machten eine Qualifikation jedoch unmöglich. Eiseskälte und Schneefall führten dazu, dass Katharina Heinig das Rennen aufgeben musste. Die Folgen einer Lebensmittelvergiftung schwächten sie dann bei den Europameisterschaften im Juli erheblich, so dass sie im Halbmarathon nicht über Platz 55 in 77:15 Minuten hinauskam.

Doch danach ging es aufwärts in Berlin: Zunächst gewann sie die Adidas Runners City Night, dann kam der starke Lauf beim BMW Berlin-Marathon. Um sich voll auf ihren ersten WM-Start konzentrieren zu können, verzichtete Katharina Heinig in diesem Frühjahr auf einen weiteren Marathonlauf. Statt dessen brachte sie einen Leistungsnachweis für die WM-Nominierung über die Halbmarathondistanz.

„Ich möchte in London ein wirklich gutes Rennen zeigen. Es wäre toll, wenn ich unter die besten 20 käme. Aber das ist ein Meisterschaftsrennen mit einer Startzeit um 14 Uhr im Sommer - da kann alles passieren“, sagt Katharina Heinig, die an diesem Sonnabend bei der Adidas Runners City Night in Berlin noch ein letztes Testrennen vor der WM laufen wird. Bei dem 10-km-Lauf auf dem Kurfürstendamm geht sie als Titelverteidigerin an den Start. Es ist schwierig einzuschätzen, was für Katharina Heinig acht Tage später in London möglich ist. Ein Rang unter den Top 30 wäre beim WM-Debüt ein gutes Ergebnis.

Offenes Rennen an der Spitze erwartet – Mare Dibaba favorisiert

An der Spitze kann sich ein offenes und knappes Rennen entwickeln. Denn die beiden zurzeit besten Marathonläuferinnen der Welt sind nicht am Start: Mary Keitany (Kenia) und Tirunesh Dibaba (Äthiopien) hatten beim London-Marathon im April mit Zeiten von 2:17:01 beziehungsweise 2:17:56 Stunden für Furore gesorgt. Während Keitany frühzeitig ihren Verzicht auf die WM bekannt gegeben hatte, wurde Dibaba zunächst vom äthiopischen Verband für die Marathondistanz nominiert. Inzwischen steht sie jedoch nicht mehr im Marathon sondern über 10.000 Metern auf der Startliste.

Drei Läuferinnen gehen mit Bestzeiten von unter 2:20 Stunden ins Rennen. Darunter ist die Titelverteidigerin Mare Dibaba. Die amtierende Weltmeisterin aus Äthiopierin, die in ihrer Karriere zweimal ihre Bestzeit von 2:19:52 rannte, war zudem Dritte beim Olympia-Marathon in Rio 2016. Einen noch etwas schnelleren persönlichen Rekord weist ihre Landsfrau Aselefech Mergia mit 2:19:31 auf. Bereits zweimal Weltmeisterin im Marathon war Edna Kiplagat. Die Kenianerin triumphierte zunächst 2011 in Daegu (Südkorea) und dann zwei Jahre später in Moskau. Die 37-Jährige, die eine Bestzeit von 2:19:50 aufweist, meldete sich im April mit einem Sieg in Boston in 2:21:52 Stunden in der Weltspitze zurück.

Doch es werden noch eine Reihe von weiteren Läuferinnen in den Kampf um die Medaillen eingreifen. Mit drei ursprünglich aus Kenia stammenden Athletinnen ist der Bahrain in London vertreten. Darunter ist mit Eunice Kirwa auch die Olympia-Zweite von Rio. Vor zwei Jahren hatte sie zudem bei der WM in Peking Bronze im Marathon gewonnen. Kirwa hat eine Bestzeit von 2:21:17 Stunden. Birhane Dibaba (Äthiopien) steigerte sich in diesem Jahr beim Tokio-Marathon als Zweite auf 2:21:19, und die WM-Zweite von 2015, Helah Kiprop (Kenia), erreichte bisher 2:21:27. Flomena Cheyech Daniel (2:21:22) ist die dritte Kenianerin im Londoner WM-Marathonrennen.

Zu beachten sein wird auch die Japanerin Yuka Ando, die bei ihrem glänzenden Marathondebüt in Nagoya im März als Zweite auf Anhieb eine Topzeit von 2:21:36 erreichte. Vielleicht kann auch Shalane Flanagan (USA/2:21:14) noch eine Rolle spielen, nachdem sie vor einem Jahr im Olympia-Marathon einen starken sechsten Rang belegt hatte.

Das Männer-Rennen: Die besten fehlen - Kenenisa Bekele außer Form, Kipchoge und Kipsang laufen in Berlin

Ohne den Titelverteidiger Ghirmay Ghebreslassie (Eritrea), der vor zwei Jahren in Peking sensationell Gold gewann, und den Olympiasieger von Rio 2016, Eliud Kipchoge (Kenia), wird in London der Marathon der Männer gestartet. Kipchoge wird dafür ebenso wie der aktuelle Jahresweltbeste Wilson Kipsang (Kenia), der in Tokio im Februar 2:03:58 Stunden gelaufen war, am 24. September in Berlin auf Weltrekordjagd gehen (2:02:57 Stunden). Ebenfalls zurückgezogen hat Kenenisa Bekele. Sein Name fehlt im finalen Aufgebot des äthiopischen Leichtathletik-Verbandes. Äthiopische Medien berichten, dass der 5.000-m- und 10.000-m-Weltrekordler mangels Form auf seinen Start in London verzichtet.

Es gab schon besser besetzte Marathon-WM-Rennen als jenes, was am kommenden Sonntag stattfindet. Die Favoriten kommen dabei einmal mehr aus Kenia und Äthiopien. Nach der Absage von Kenenisa Bekele rückt der Mann noch stärker in den Fokus, der den Äthiopier im April beim London-Marathon hinter sich ließ und dieses hochklassige Rennen überraschend gewann: Daniel Wanjiru. Der Kenianer hat eine Bestzeit von 2:05:21 Stunden und siegte an der Themse im Frühjahr mit 2:05:48.

Zwei der drei äthiopischen WM-Starter haben in diesem Jahr bereits bedeutende Rennen gewonnen: Tamirat Tola siegte beim Dubai-Marathon im Januar mit einem Streckenrekord von 2:04:11, und Tsegaye Mekonnen, der in Dubai 2014 mit dem inoffiziellen Junioren-Weltrekord von 2:04:32 Stunden triumphiert hatte, meldete sich mit einem Sieg in Hamburg zurück. Dort gewann er bei ungünstigen Wetterbedingungen in 2:07:26 und verwies nach einem spannenden Duell den Olympiasieger von 2012 und Weltmeister von 2013, Stephen Kiprotich (Uganda), auf Rang zwei. Kiprotich gehört am Sonntag in London zu jenen Läufern, die die Kenianer und Äthiopier gefährden können. Er hat bewiesen, dass er bei einem Meisterschaftsrennen im Sommer alle schlagen kann. Nach den beiden Goldmedaillen 2012 und 2013 wurde er bei der WM 2015 Sechster.

Eine gute Rolle spielen kann auch der aus Kenia stammende Europarekordler: Kaan Kigen Özbilen hat die türkische Staatsbürgerschaft und lief im vergangenen Jahr die aktuelle kontinentale Bestmarke von 2:06:10 Stunden. Zu beachten ist auch Callum Hawkins. Der Brite, der bisher noch nicht unter 2:10 Stunden lief (Bestzeit: 2:10:52), überraschte beim Olympia-Marathon in Rio mit Rang neun.