HaSpa Marathon Hamburg
Zwei Streckenrekorde und das schnellste Debüt aller Zeiten: Yehualaw und Kotut triumphieren − über 300 Fotos von der Strecke

| Text: Norbert Hensen | Fotos: Norbert Wilhelmi

Der HaSpa Marathon Hamburg 2022 war ein Rennen der Rekorde: Mit 2:04:47 und 2:17:23 Stunden wurden neue Streckenrekorde bei den Männern und bei den Frauen aufgestellt.

Die große Favoritin Yalemzerf Yehualaw (Äthiopien) und Cybrian Kotot (Kenia) bei den Männern, der auf der Zielgeraden Stephen Kissa (2:04:48 h/Uganda) in Schach hielt, sind die Marathon-Sieger in der Hansestadt.

Die erst 22 Jahre Läuferin aus Äthiopien pulverisierte nicht nur den alten Streckenrekord um rund vier Minuten, sie lief in Hamburg das schnellste Marathon-Debüt aller Zeiten. Neben den Prämien für den Sieg (25.000 Euro) und den Streckenrekord (15.000 Euro) hatte Marathon-Chef Frank Thaleiser für den Debüt-Rekord nochmals 25.000 Euro ausgelobt.

Gut, dass Thaleiser die Summe für den Debüt-Rekord versichern ließ. „Wir hatten natürlich gehofft, dass Yalemzerf Yehualaw eine solche Leistung zeigen kann, deshalb habe ich die Versicherung abgeschlossen, die wirklich nicht günstig ist", so Thaleiser. Es hat sich gelohnt. Seit dem Sieg von Eliud Kipchoge im Jahr 2013 habe er keine Athletin oder einen Athleten mehr in Hamburg so fokussiert erlebt wie die junge Äthiopierin.

Bei 9 Grad Celsius, 75 Prozent Luftfeuchtigkeit und teilweise böigen Winden (bis 50 km/h) wurden die Top-Läuferinnen und Läufer sowie über 15.000 weitere Marathon-, Halbmarathon- und Staffel-Teilnehmer*innen (von ca. 20.000 gemeldeten Startern) bei strahlendem Sonnenschein auf die wunderschöne Strecke durch Hamburg geschickt.

Yalemzerf Yehualaw: „Ich habe noch Potenzial“

Mit großer Spannung war das Debüt der erst 22 Jahre alten Äthiopierin erwartet worden. Mit einer Halbmarathon-Bestzeit von 63:51 Minuten (2021) als zweitschnellste Läuferin aller Zeiten und ihrem erst zwei Monate alten Weltrekord über 10 Kilometer von 29:14 Minuten (27.2.2022, Castellón/Spanien) angereist, brachte nie eine Läuferin bessere Zugangsleistungen für ein Marathon-Debüt mit.

Dass sie sich auch in Hamburg von ihrer besten Seite zeigen wollte, demonstrierte sie vom ersten Meter an. Es wurde ein nie gefährdeter Start-Ziel-Sieg der aktuell wohl talentiertesten Langstrecklerin der Welt.

32:39 Minuten (10 km), 68:30 Minuten (Halbmarathon) und 1:37:34 Stunden (30 km) – das sind die unglaublichen Zwischenzeiten auf dem Weg zum „Debüt-Weltrekord“. Mit 2:17:23 Stunden ist Yehualaw nun die sechstschnellste Marathonläuferin aller Zeiten. Nebenbei stellte sie noch einen Landesrekord für Äthiopien auf. Und es war zudem die schnellste jemals in Deutschland erzielte Marathonzeit einer Frau.

Frank Thaleiser ist sich sicher: „Sie wird in den nächsten Jahren auch den Weltrekord verbessern.“ Darauf will sich die Hamburg-Siegerin noch nicht festlegen, aber auch sie spürt, dass noch mehr geht. „Erstmal habe ich heute mein Ziel erreicht, aber ich weiß, dass ich viel mehr Potenzial habe.“

Sie läuft schon als junges Mädchen – täglich. „Es gibt viele starke Läuferinnen und Läufer in Äthiopien, das motiviert mich. Auch in meiner Gruppe sind so starke Athleten, das macht mich stark.“

Die junge Läuferin humpelte ein bisschen nach dem Rennen. „Nichts Schlimmes“, sagte sie. „Es fiel mir sehr leicht heute, ich hatte keine Probleme.“ Yalemzerf Yehualaw weiß um ihre Stärke. Und sie kümmert sich nicht darum, wie schnell Läuferinnen vor ihr waren. Sie wurde nach Paula Radcliffe gefragt, die viele Jahre den Marathon-Weltrekord hielt und deren Debüt-Rekord sie steigerte. „Ich kenne sie leider nicht…“ Aber Paula Radcliffe kennt spätestens jetzt den Namen der jungen Äthiopierin.

Die zehn schnellsten Marathonläuferinnen aller Zeiten:

  • 2:14:04 Brigid Kosgei (KEN/Chicago, 13.10.2019)
  • 2:15:25 Paula Radcliffe (GBR) London, 13.04.2003
  • 2:17:01 Mary Keitany (KEN) London, 23.04.2017
  • 2:17:08 Ruth Chepngetich (KEN) Dubai, 25.01.2019
  • 2:17:16 Peres Jepchirchir (KEN) Valencia, 06.12.2020
  • 2:17:23 Yalemzerf Yehualaw (ETH) Hamburg, 24.04.2022
  • 2:17:41 Worknesh Degefa (ETH) Dubai, 25.01.2019
  • 2:17:43 Joyciline Jepkosgei (KEN) London, 03.10.2021
  • 2:17:45 Lonah Chemtai Salpeter (ISR) Tokio, 01.03.2020
  • 2:17:56 Tirunesh Dibaba (ETH) London, 23.04.2017

Kotut entthront Kipchoge als Streckenrekordler

Hamburg war schon einmal die Wiege einer großen Marathon-Karriere: Kenias Superstar Eliud Kipchoge lief hier 2013 sein Marathon-Debüt, das er damals in 2:05:30 Stunden gewann. Kipchoge hat in den Jahren danach den Weltrekord auf ein neues Niveau gehoben. 2018 stellte er in Berlin mit 2:01:39 Stunden die noch gültige Bestzeit auf. Ein Jahr später absolvierte der Kenianer in Wien als erster Mensch (in einem allerdings nicht regelkonformen Rennformat) die 42,195-Kilometer-Distanz in weniger als 2 Stunden (1:59:40 h).

Die Parallele zur jungen Äthiopierin Yehualaw liegt auf der Hand. „Ich bin sicher das Yalemzerf Yehualaw eine ähnliche Entwicklung nehmen wird wie Eliud Kipchohge", so Thaleiser, der davon überzeugt ist, dass der Hamburg-Marathon auch heute noch davon profitiert, dass Kipchoge hier seine Marathon-Karriere begonnen hat.

Seinen Streckenrekord ist Eliud Kipchoge seit dem 24. April 2022 aber los. Gleich vier Athleten unterboten Kipchoges 2:05:30 Stunden. Cybrian Kotut (Kenia) und Stephen Kissa (Uganda) waren die beiden Läufer, die aus der großen Gruppe der Eliteläufer übrig blieben. Erst auf dem roten Teppich vor dem Ziel an der Messe Hamburg fiel die Entscheidung. Kotut behielt mit 2:04:47 zu 2:04:48 Stunden knapp die Oberhand. Dahinter folgten Workineh Tadesse (Äthiopien/2:05:07 h) und Victor Kiplangat (Uganda/2:05:09 h).

„Das waren sehr gute Bedingungen heute, die Pacemaker haben auf den ersten 30 Kilometern gegen den Wind geholfen. Und hinten raus hat er mir etwas geholfen“, sagte der glückliche Sieger aus Kenia im Ziel.

Florian Röser überraschend bester deutscher Läufer

Für die deutschen Läuferinnen und Läufer ging es neben guten Platzierungen vor allem um die Normen für zwei internationale Meisterschaften in diesem Jahr. Da es bei der EM in München eine Teamwertung gibt, können dort bis zu sechs Athleten und Athletinnen nominiert werden. Für die WM können maximal drei Läufer*innen an den Start gehen.

Überraschend kam Florian Röser als bester Deutscher nach 2:15:03 Stunden ins Ziel. Der Läufer vom TV Konstanz absolvierte in Hamburg sein Marathon-Debüt. Nachdem Philipp Pflieger (SCC Berlin) mit Rückenproblemen nach gut 30 Kilometern aus dem Rennen gegangen war und auch Johannes Motschmann (SCC Berlin) muskuläre Probleme hatte, konnte Röser die beiden erfahreneren Läufer hinter sich lassen.

„Johannes tauchte plötzlich vor mir auf, ich wusste aber gar nicht genau, an welcher Stelle ich lag“, sagte Florian Röser. Sein Ziel, die EM-Norm (2:14:30 h) zu unterbieten, verfehlte der Debütant nur knapp. Der 29-Jährige war 2021 Sechster der Halbmarathon-DM in 63:11 Minuten. Danach entstand der Gedanke, es auch mal auf der Marathon-Distanz zu versuchen.

„Vor vier Wochen hatte ich noch Magen-Darm-Probleme, hinten raus haben heute ein paar Körner gefehlt. Aber ich bin superglücklich mit der Ergebnis. Das war nicht mein letzter Marathon“, so Röser. Die Halbmarathon-Marke hatte er nach 67:05 Minuten passiert.

Röser promoviert an der Uni Konstanz im Fach Volkswirtschaft, er trainiert nach eigenen Angaben „semiprofessionell“. Trotzdem glaubt er, dass er sich in den kommenden Jahren weiter steigern kann. „In der Vorbereitung bin ich ca. 130 bis 140 Kilometer pro Woche gelaufen – da ist sicherlich noch Luft nach oben.“ Florian Röser hat früher Fußball gespielt, erst als er 2012 zum Studium an den Bodensee kam, fing er mit dem Laufen an.

Sein erster Stadt-Marathon war ein tolles Erlebnis für ihn: „Die Stimmung war der Wahnsinn, das habe ich vermisst nach den Elite-Rennen der vergangenen Monate – es hat einfach nur Spaß gemacht.“

Johannes Motschmann mit muskulären Problemen

Johannes Motschmann kam nach 2:17:08 Stunden ins Ziel. Nach seinem flotten Rennen vor wenigen Wochen beim Halbmarathon in Berlin (61:45 min) war er mit hohen Erwartungen in den Marathon gestartet. „Irgendwie habe ich bei Kilometer zehn schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, sagte der 27-Jährige. „Der linke Oberschenkel war irgendwann so schwer und verkrampft, dass ich ihn kaum noch heben konnte.“

Zeitweise musste Motschmann nach Kilometer 35 sogar stehen bleiben. „Ich bin froh, mich durchgekämpft zu haben“, sagte er. Dank seiner Zeit von 2:12:18 Stunden vom Rotterdam-Marathon im Herbst 2021, sollte es für eine EM-Nominierung reichen.

Nur wenige Sekunden hinter Motschmann kam Tim Ramdane Cherif (LG Telis Finanz Regensburg) nach 2:17:31 Stunden ins Ziel. Damit steigerte er seine Bestzeit um fast drei Minuten.

Sein Vereinskollege Filimon Abraham (LG Telis Finanz Regensburg), der seinen ersten Marathon auf der Straße lief, kam nicht ins Ziel. Er war lange Zeit in der Gruppe um Pflieger und Motschmann dabei, hatte aber nach Kilometer 35 massive Probleme, so dass er aus dem Rennen gehen musste.

 

Diese Läufer haben zum Zeitpunkt 24. April 2022 die EM- oder WM-Norm erreicht:

Weltmeisterschaften in Eugene/USA (15.-24.7.2022): Einzel-Norm Männer*: 2:11:30 Stunden

Europameisterschaften in München (15.-21.8.2022): Einzel-Norm Männer*: 2:14:30 Stunden (Team-Norm: 2:16:00 h)

 

2:06:27 Amanal Petros (TV Wattenscheid)
Valencia, 5.12.2021

2:08:49 Richard Ringer (LC Rehlingen)
Siena, 11.4.2021

2:10:48 Simon Boch (LG Telis Finanz Regensburg)
Dresden, 21.3.2021

2:10:59 Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid)
Hannover, 3.4.2022

2:11:03 Tom Gröschel (TC Fiko Rostock)
Valencia, 5.12.2021

2:12:18 Johannes Motschmann (SCC Berlin)
Rotterdam, 24.10.2021

2:13:02 Konstantin Wedel (LG Telis Finanz Regensburg)
Sevilla, 20.2.2022

2:14:43 Frank Schauer (Tangermünde Elbdeichmarathon)
Hannover, 3.4.2022

2:15:01 Philipp Pflieger (LT Haspa Marathon Hamburg)
Berlin, 26.9.2021

2:15:03 Florian Röser (TV Konstanz)
Hamburg, 22.4.2022

2:15:04 Erik Hille (LG Telis Finanz Regensburg)
Hannover, 3.4.2022

2:15:05 Marcus Schöfisch (Lauftraining.com, Leipzig)
Hannover, 3.4.2022

2:15:07 Nic Ihlow (Lauftraining.com, Leipzig)
Hannover, 3.4.2022

Hendel hofft auf Start im deutschen Nationaltrikot bei EM

Aus nationaler Sicht war auch das Frauen-Rennen hochinteressant. Kristina Hendel (LG Braunschweig), die aktuell darauf wartet, ihre Startberechtigung für Deutschland zu erhalten, blieb in 2:27:29 Stunden klar unter der Norm für EM und WM. Und auch Deborah Schöneborn schaffte es noch unter 2:30 Stunden. Nach längerer Verletzungspause war sie mit ihrem Rennen (2:29:51 h) zufrieden.

Hendel hat bereits die deutsche Staatsbürgerschaft, wartet aber aktuell noch darauf, dass sich der kroatische und deutsche Verband einigen. „Ich denke, das wird in den nächsten Tagen oder Wochen passieren, so dass ich im August für Deutschland in München starten kann.“

2021 war sie ihren ersten Marathon in Essen (2:27:31 h) – in Hamburg kämpfe sie bis zum letzten Meter, um diese Zeit zu unterbieten. „Ich war sehr fokussiert, der Wind war teilweise stark, aber ich habe einfach nur versucht, meinen Tempomachern zu folgen.“ Das hat gut funktioniert: um genau zwei Sekunden unterbot sie ihre Bestzeit.

Hinter ihr kam Deborah Schöneborn als zweitschnellste deutsche Läuferin ins Ziel. „Mit 2:29:51 Stunden bin ich sehr zufrieden, die Vorbereitung war nicht einfach. Drei Monate konnte ich im Winter aufgrund meiner Knieverletzung kaum laufen“, sagte Debbie Schöneborn.

Als sich das Knie dann auch im Rennen kurz meldete, war das zum Glück nur eine Schrecksekunde. „Ich werde mich nun gut erholen und dann startet die Vorbereitung für den Sommer – wir hoffen wie alle Läuferinnen und Läufer natürlich, dass die Startzeit bei der EM in München noch nach vorne verlegt wird“, sagte Deborah Schöneborn.

Derzeit ist geplant, dass der EM-Marathon am 15. August 2022 zur Mittagszeit stattfinden soll. „Da denkt man nicht an die Athleten, wir wissen, dass es eine hohe Ausfallquote geben wird, wenn es ein Hitzerennen geben sollte.“

Als drittschnellste deutsche Läuferin verpasste Jana Soethout (2:34:28 h) die EM-Teamnorm um knapp 30 Sekunden.

 

Diese Läuferinnen haben zum Zeitpunkt 24. April 2022 die EM- oder WM-Norm erreicht:

Weltmeisterschaften in Eugene/USA (15.-24.7.2022): Einzel-Norm Frauen*: 2:29:30 Stunden

Europameisterschaften in München (15.-21.8.2022): Einzel-Norm Frauen*: 2:32:00 Stunden (Team-Norm: 2:34:00 h)

 

2:25:59 Katharina Steinruck (Eintracht Frankfurt)
Enschede, 18.4.2021

2:26:50 Miriam Dattke (LG Telis Finanz Regensburg)
Sevilla, 20.2.2022

2:26:50 Domenika Mayer (LG Telis Finanz Regensburg)
Hannover, 3.4.2022

2:26:55* Deborah Schöneborn (LG Nord Berlin)
Valencia, 6.12.2020

2:27:03 Rabea Schöneborn (LG Nord Berlin)
Enschede, 18.4.2021

2:27:29 Kristina Hendel (LG Braunschweig)
Hamburg, 22.4.2022

2:28:02 Laura Hottenrott (PSV Grün-Weiß Kassel)
Enschede, 18.4.2021

2:29:16 Melat Kejeta (Laufteam Kassel)
Sapporo, 7.8.2021

2:29:51* Deborah Schöneborn (SCC Berlin)
Hamburg, 22.4.2022

2:32:26 Anja Scherl (LG Telis Finanz Regensburg)
Fürstenfeld/AUT, 23.5.2021

*Deborah Schöneborn lief am 6.12.2020 in Valencia 2:26:55 Stunden und hat damit aufgrund des etwas früher beginnenden WM-Qualifikationszeitraumes die WM-Norm erfüllt. Für die EM hat sie bei Olympia in Sapporo die Team-Norm erfüllt. In Klammern die Vereinsnamen der jeweiligen Athletinnen und Athleten zum Zeitpunkt der erbrachten Leistung.