Ghirmay Ghebreslassie: Von Platz zwei in Hamburg auf den WM-Thron

| Jörg Wenig/dpa I Fotos: Getty Images for IAAF
Ein Teenager hat den Marathon-Stars bei der WM die Show gestohlen: Ghirmay Ghebreslassie (Eritrea; 19) setzte sich in 2:12:28 Stunden durch.

Ein Teenager hat den Marathon-Stars bei der WM die Show gestohlen: Ghirmay Ghebreslassie (Eritrea; 19) setzte sich in Peking mit 2:12:28 Stunden durch, während Weltrekordler Dennis Kimetto und Ex-Weltrekordler Wilson Kipsang (Kenia) schon vor der 35-Kilometer-Marke aus den Rennen gingen. Ghebreslassie gewann die erste Goldmedaille überhaupt bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften für Eritra. In der Bildergalerie findet ihr Motive der Lauf-Wettbewerbe vom ersten WM-Tag, u.a. vom 10.000-Meter-Finale mit Mo Farah und Arne Gabius.

Mit einer faustdicken Überraschung begannen die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking: Der neue Marathon-Weltmeister heißt Ghirmay Ghebreslassie und kommt aus Eritrea. Der erst 19-Jährige, der keine Verbindung mit dem äthiopischen Superstar Haile Gebrselassie hat, gewann das Rennen in 2:12:28 vor Yemane Tsegay (Äthiopien/2:13:08) und Munyo Mutai (Uganda/2:13:30). Während der Italiener Ruggero Pertile in 2:14:23 einen starken vierten Platz belegte, war es kein Tag der großen Favoriten. Mit Ausnahme von vielleicht Yemane Tsegay hätte man keinen der ersten vier Läufer auf diesen Plätzen erwartet. Dieses Ergebnis zeigt auch die Unberechenbarkeit eines Meisterschaftsrennens im Hochsommer.

So beendeten Weltrekordler Dennis Kimetto und sein kenianischer Landsmann Wilson Kipsang das Rennen vorzeitig. Titelverteidiger und Olympiasieger Stephen Kiprotich (Uganda) wurde hinter Shumi Dechasa (Bahrain/2:14:36) immerhin Sechster mit 2:14:43. Auf Rang sieben folgte der aktuelle Boston-Marathon-Sieger Lelisa Desisa (Äthiopien) mit 2:14:54. Deutsche Läufer waren im Marathon nicht am Start.

Für Ghirmay Ghebreslassie, der seine Bestzeit im April als Zweiter des Hamburg-Marathons mit 2:07:47 Stunden aufgestellt hatte, war es der erste Medaillengewinn seiner Karriere. „Es ist die erste Marathon-WM-Goldmedaille in Eritreas Leichtathletik-Geschichte, und das ist natürlich etwas ganz besonderes für mich“, erklärte der jüngste Marathon-Weltmeister in der Historie dieser Titelkämpfe. Es war aber nicht die erste Goldmedaille für Eritrea bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften, denn Zersenay Tadese, der bisher bekannteste Läufer des Landes, hatte mehrfach die Halbmarathon-WM für sich entschieden.

Die Eltern waren gegen die Laufkarriere

Für Ghebreslassie waren weder die Hitze noch die Luftbelastung in Chinas Hauptstadt ein Problem. „Die Bedingungen sind sehr gut. Ich komme aus einem Land, wo es immer heiß ist“, meinte er. Bei 35 Kilometer hatte Ghebreslassie die Führung übernommen und konnte bei Kilometer 38 auch Tsegay abhängen, der mit leichten Magenproblemen zu kämpfen hatte. Der erste große Erfolg bei einem Titelkampf wird auch seine Eltern davon überzeugen, dass ihr Sohn auf dem richtigen Weg ist. „Meine Eltern wollten, dass ich ein großer Student und nicht ein großer Läufer werde“, sagte Ghebreslassie. „Dieser Sieg wird auch für sie eine Überraschung sein.“ Nächstes Ziel für ihn sind die Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. „Ich möchte in Rio und noch ein paar anderen Rennen starten“, kündigte er nach dem erst vierten Marathon seines Lebens an. „Ich habe nicht viel Erfahrung, werde aber hart arbeiten, dass das möglich wird.“

Der neue Weltmeister, der seine Bestzeit im April als Zweiter des Hamburg-Marathons mit 2:07:47 Stunden aufgestellt hatte, feierte in seinem vierten Marathon den ersten Medaillengewinn seiner Karriere. Ohnehin hat der Teenager gute Erinnerungen an Deutschland. Seine Halbmarathon-Bestzeit hatte er 2013 bei seinem Sieg beim Paderborner Osterlauf mit 60:09 Minuten aufgestellt. Deutsche Läufer waren beim WM-Marathon nicht am Start.

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Temperaturen bis zu 30 Grad

Nach einem erwartungsgemäß langsamen Beginn bei rund 24 Grad (später im Rennen waren es mehr als 30) wurde der 5-Kilometer-Punkt in 16:06 Minuten passiert. Dies entspricht einem Tempo von 2:16 Stunden. In der Folge zog sich das Feld von 66 Läufern etwas auseinander, 37 Athleten formten eine lang gezogene Spitzengruppe. Nach gut 17 Kilometern zeigten sich die großen Favoriten erstmals ganz vorne: Der Boston-Marathon-Sieger Lelisa Desisa (Äthiopien), der Weltrekordler Dennis Kimetto sowie dessen Landsleute Wilson Kipsang und Mark Kiptoo (alle Kenia) liefen in einer gut 20-köpfigen Spitzengruppe. In der Folge waren es dann aber zunächst zwei Italiener, die das Tempo bestimmten und sich zeitweise wenige Sekunden absetzen konnten: Der amtierende Europameister Daniele Meucci und Ruggero Pertile.

An der 25-Kilometer-Marke, die die Spitze der Gruppe nach 1:19:16 Stunden erreichte (das Tempo lief nun auf eine Endzeit von 2:13:50 h hinaus), zeichnete sich schon ab, dass der Traum der Kenianer, in Peking alle drei Medaillen zu gewinnen, sich nicht erfüllen würde. Weltrekordler Kimetto, der in Berlin im vergangenen Jahr 2:02:57 Stunden gelaufen war, lag ganz am Ende der Gruppe und fiel kurz darauf ebenso zurück wie sein Landsmann Mark Kiptoo, der im vergangenen Jahr den Frankfurt-Marathon gewonnen hatte und in Peking am Ende Rang 22 belegte. Und es sollte noch schlimmer kommen für die Kenianer bei der ersten Langstrecken-Entscheidung dieser WM: Der zweifache London-Marathon-Sieger und ehemalige Weltrekordler Wilson Kipsang fiel einige Kilometer später auch noch zurück und beendete das Rennen ebenso vorzeitig wie Dennis Kimetto.

Außenseiter kann Solo nicht beenden

An der Spitze setzte sich währenddessen zunächst ein Außenseiter ab: Tsepo Ramonene aus Lesotho, der mit einer Bestzeit von 2:16:21 Stunden ins Rennen gegangen war, hatte an der 30-km-Marke (1:35:02 h) einen Vorsprung von 13 Sekunden, den er zunächst noch auf 20 Sekunden ausbauen konnte. Erwartungsgemäß konnte er diese Position jedoch nicht halten und fiel noch auf Rang 14 zurück.

Nicht erwartet hatte man jedoch, dass es dann Ghirmay Ghebreslassie (Eritrea) war, der an die Spitze lief und Ramonene kurz nach der 35-km-Marke überholte. Die Verfolgergruppe war auseinander gebrochen. Einem Läufer gelang es, noch einmal zu dem Läufer aus Eritrea aufzuschließen: Yemane Tsegay. Man hätte annehmen können, dass der erfahrene 30-Jährige, der bei seinem Sieg in Rotterdam 2012 mit 2:04:48 Stunden seine Bestzeit aufgestellt hatte, in diesem Jahr Zweiter beim Boston-Marathon war und bei vergangenen Weltmeisterschaften bereits die Ränge vier (2009) und acht (2013) belegt hatte, nun das Rennen für sich entscheiden würde. Doch dem war nicht so. Tsegay schaute sich immer wieder um und schien Probleme zu haben. Nach wenigen Minuten konnte er nicht mehr mithalten mit dem Überraschungsmann dieses Rennens, Ghirmay Ghebreslassie.

Pannen vom Start bis ins Ziel

Auch einige organisatorische Patzer konnten Ghirmay Ghebreslassie nicht mehr aufhalten. Kurz vor dem Stadion war dem Läufer nicht gleich offensichtlich, welchen Weg er einschlagen musste. In der Arena mussten die Athleten dann einen Bogen um eine Werbetafel im Bereich des 100-m-Startes machen. Da zudem ein Zielband fehlte, war nicht klar, ob nach 100 Metern Schluss ist oder noch eine Runde zu laufen ist. Viele Athleten liefen weiter, in der Annahme, dass noch 400 Meter zu absolvieren seien. Dadurch entstanden auch keine entsprechenden Zielfotos mit jubelnden Medaillengewinnern.

Ein Novum gab es bei diesem WM-Marathon zudem, weil es in der Anfangsphase einem ambitionierten Hobbyläufer gelang, sich an die Spitze des Feldes zu setzen. Mehrere andere rannten zudem in der Spitzengruppe. Die Veranstalter hatten unmittelbar hinter dem WM-Rennen einen 10-km-Volkslauf mit rund 10.000 Teilnehmern gestartet, jedoch nicht genügend Abstand zu den Marathonläufern eingeplant. Fast fünf Kilometer lang konnte dadurch ein unbekannter Athlet an der Spitze des WM-Marathons laufen.