Porträt
Vom Sportmuffel zur Desert-Queen: 250 Kilometer bei 42 Grad
Tanja Schönenborn liebt das Extrem. Die 38-Jährige lief im Oktober beim Atacama Crossing – einem der härtesten Ultraläufe der Welt – auf Platz zwei ins Ziel. Auf sechs Etappen ging es 250 Kilometer durch die Hochgebirgswüste Chiles. Dabei war sie noch vor vier Jahren übergewichtig und ein Sportmuffel.
Tanja Schönenborn liebt das Extrem. Die 38-Jährige lief im Oktober beim Atacama Crossing – einem der härtesten Ultraläufe der Welt – auf Platz zwei ins Ziel. Auf sechs Etappen ging es 250 Kilometer durch die Hochgebirgswüste Chiles. Dabei war sie noch vor vier Jahren übergewichtig und ein Sportmuffel.
42 Grad tagsüber, unter null Grad in der Nacht und weit und breit nichts als Sanddünen. Dazu kommt die Höhenlage von über 3400 Metern, die einem auch ohne schweißtreibende Temperaturen das Atmen schwer macht. Tanja Schönenborn läuft nicht einfach nur gerne weit, sie sucht auch die besondere Herausforderung. Am liebsten ist sie in der Wüste unterwegs, so wie bei ihrem letzten Abenteuer – dem Atacama Crossing in der Hochgebirgswüste Chiles.
Man könnte meinen, Tanja Schönenborn sei schon ewig auf Ultradistanzen zuhause. Fehlanzeige. Erst vor vier Jahren hat die heute 38-Jährige mit dem Laufen begonnen. „2015 stellte ich mich nach Weihnachten auf die Waage und fiel fast rückwärts wieder runter. Ich bin 164 cm groß und hatte zu diesem Zeitpunkt ein Gewicht von satten 83 Kilogramm. Ich fühlte mich in meinem Körper nicht mehr wohl, war ständig müde und antriebslos“, erzählt sie. Um gegen die Kilos anzukämpfen, habe sie schließlich mit dem Laufen angefangen. „Ich hechelte in der Dämmerung durch den Wald, damit mich keiner sieht. Nach 30 Minuten war ich zurück und vollkommen im Eimer. Alles tat mir weh. Aber ich war stolz und glücklich. Das war der Moment, in dem ein kleines Fünkchen Leidenschaft entfacht wurde.“
Die Vermögensberaterin blieb dran, stellte ihre Ernährung um und nahm innerhalb von zweieinhalb Jahren 28 Kilo ab. Das Laufen veränderte sie nicht nur äußerlich. „Mein Leben hat sich durch die ersten Kilometer im Wald komplett verändert. Zunächst gab es allerdings einige Brüche, wie die Trennung von meinem Ex-Mann und meinem kompletten damaligen Umfeld. Das war eine kraftraubende und traurige Zeit, in der viele Tränen flossen.“ Doch von Kilometer zu Kilometer habe sie sich immer besser kennengelernt. „Nach Jahren spürte ich mich zum ersten Mal wieder.“ Laufen war ein fixer Bestandteil in ihrem Leben geworden.
Eine große Veränderung brachte das Jahr 2017. Bei einem Ultralauf in Köln lernte sie Rafael Fuchsgruber, den erfolgreichsten deutschen Wüstenläufer kennen. Die beiden wurden ein Paar und im Juni 2018 dann die große Überraschung: „An meinem 37. Geburtstag bekam ich die Teilnahme zum Gobi March von Rafael geschenkt. Der Wahnsinn! Ich war so unglaublich glücklich und bis in die Haarspitzen motiviert. Ich wollte es schaffen. Unbedingt! Aber ich hatte auch richtig Angst davor, zu versagen. Was, wenn ich Letzte werde? Oder ich das Rennen sogar abbrechen muss?“, erzählt Tanja. Nur sieben Wochen waren es damals noch bis zum 250-Kilometer-Rennen durch die Wüste Gobi. Die Wochen bis zum Start waren eine Herausforderung für Körper, Seele und die Menschen in ihrem Umfeld. „Gefühlschaos pur – in alle Richtungen. Das Trainingspensum war knallhart. Ich steigerte schnell die Umfänge von 25 bis 30 Kilometer pro Woche auf über 100 Kilometer wöchentlich - und das mit Rucksack. Ich trainierte an der Grenze des für mich Möglichen und das war nicht immer ein Zuckerschlecken. Abends schmerzten die Beine und mein Hintern – so dass Massagen zur täglichen Routine wurden.“ Ihr eiserner Wille und ihre Motivation, es ins Ziel zu schaffen, wurden am Ende belohnt: Tanja hat nicht nur gefinisht, sondern wurde gesamt Fünfte bei den Frauen und holte sich den Sieg in ihrer Altersklasse. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war aus dem ursprünglichen Fünkchen Leidenschaft ein Feuer geworden. „Laufen ist zu meiner ganz großen Passion geworden. Ich liebe es.“
Landschaft gleicht einer Star Wars Szenerie
Etwas mehr als ein Jahr später ist Tanja Schönenborn eine erfahrene Ultraläuferin, der selbst die trockenste Region der Welt nichts anhaben kann. 81 Teilnehmer, davon 25 Frauen gingen beim Atacama Crossing an den Start, um sich in sechs Etappen durch die chilenische Wüste zu kämpfen. „Als ich die ersten Fotos und Videos beim Veranstalter „Racing the Planet“ sah, war ich schockverliebt. Diese unglaubliche Schönheit der Wüste, die so unterschiedliche Facetten zeigt, hatte meine volle Aufmerksamkeit. Es gibt dort Regionen, in denen hat es jahrzehntelang nicht geregnet – es ist die trockenste Wüste der Welt. Es gibt riesige Sanddünen und die verrücktesten Gesteinsformen. Diese unwirkliche Landschaft gleicht einer Star Wars Szenerie. Es hätte mich nicht gewundert, dort ein Raumschiff landen zu sehen“, erzählt Tanja Schönenborn mit einem Augenzwinkern. Laufen sei teilweise überhaupt nicht möglich gewesen. „Einigen Läufern zerrissen die Gamaschen, oder die Sohlen der Schuhe lösten sich ab. Das war echt krass. Zudem waren die extremen Temperaturunterschiede von Tag und Nacht eine Challenge für Körper und Geist. An manchen Tagen liefen wir durch tiefen Sand: Ein Schritt vor und einen halben zurück.“
Wie schafft man es, unter derart schwierigen Bedingungen durchzuhalten? Noch dazu 250 Kilometer in sechs Tagen zu laufen? „Das wichtigste bei Ultraläufen, und vor allem bei Etappenläufen, ist meiner Meinung nach Geduld. Als ich in der Atacama von weitem schon eine Riesendüne erspähte, war ich schon genervt, bevor ich den ersten Schritt nach oben ging. Horror! Doch dann versuchte ich nicht die ganze Düne zu sehen, sondern nur einen Schritt vor den anderen zu setzen. So erreichte ich jeweils ein kleines Ziel, was mich motivierte, weiter zu gehen.“
Motivation sei generell eine der wichtigsten Voraussetzungen, die ein Ultraläufer mitbringen muss. „Es braucht Neugierde auf das, was kommen wird. Mut, ein solches Abenteuer anzugehen und Motivation, über sich hinauszuwachsen und das Trainingspensum durchzuziehen.“
Neugierde ist noch lange nicht gestillt
Bei Tanja Schönenborn kommt zusätzlich eine Portion Ehrgeiz dazu. Ihr wichtigstes Motiv sei, ihr Bestes zu geben. Wenn dann noch eine gute Platzierung drin ist, werden auch die allerletzten Kräfte mobilisiert. Wie beim Ende der dritten Etappe beim Atacama Crossing, bei der die führenden fünf Frauen dicht beisammen lagen. Tanja war eine davon. „Nach etwa 44 Kilometern versuchte ich mich langsam zu entspannen und locker ins Ziel zu laufen. Ich drehte mich um. Niemand zu sehen. Ich drehte mich erneut um und sah Sarah Oppermann aus Irland wie eine Verrückte auf uns zu rasen. Wie von der Tarantel gestochen rannte ich los. Auch wenn am nächsten Tag die lange Etappe auf uns wartete und ich besser ruhig hätte machen sollte - den Sieg wollte ich nicht hergeben. Also rannten wir mit unserem neun Kilogramm schweren Rucksack durch die Mittagshitze. Es war so heiß, mein Puls auf über 180 und ich wollte nicht mehr. Mit 20 Metern Vorsprung konnte ich mich ins Ziel retten. Eine wahnsinnige Verfolgungsjagd endete dann mit einer Umarmung von Sarah und mir“, erzählt sie. Ihr Kampfgeist und ihre Motivation wurden am Ende mit dem zweiten Platz im Gesamt-Ranking bei den Frauen belohnt.
Das Laufen hat Tanjas Leben für immer verändert. „Ich bin sehr glücklich und dankbar für die unglaublichen Erfahrungen, die ich in den letzten eineinhalb Jahren sammeln durfte. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, an einem 250 Kilometer Etappenrennen teilzunehmen, geschweige denn in Chile den zweiten Platz zu erzielen.“
Ihre Neugierde auf neue Abenteuer ist noch lange nicht gestillt. „Im kommenden Jahr darf ich an drei wunderbaren Läufen in Mauretanien, Namibia und in Georgien teilnehmen. Zudem veranstalte ich mit einer Freundin ein Einsteiger-Trailcamp für Frauen in Österreich. Das alles in einem Jahr. Was wohl danach noch kommt?“