Trailrunning auf Gran Canaria
Ab auf die Steinpiste: Warum du mal im Gelände laufen solltest

| Text: Tom Rottenberg | Fotos: Brooks

Laufen im Gelände statt auf der Straße – wie beim Transgrancanaria. Davon träumen viele. Wieso Laufen abseits der festen Wege gar nicht so schwierig ist und welche Rolle das Equipment dabei spielt.

Der Läufer und die Läuferin kamen aus der falschen Richtung. Noch dazu über einen „falschen“, weil nicht markierten, Pfad. Doch die rund 40-jährige Frau und ihr etwa gleichaltriger Begleiter hatten sich nicht verlaufen. Ganz im Gegenteil: „Nein, wir sind keine Teilnehmer“, lachten sie, „die Nummer wäre uns zu heftig: Wir sind Genussläufer. Wir machen hier Lauf-Urlaub und trauen uns eigentlich zum ersten Mal ins Gelände. Aber die Chance, den Transgrancanaria hautnah mitzuerleben, wollten wir uns nicht entgehen lassen.“

Also hatte sich das Paar aus der Gegend von Hamburg die letzten beiden Februarwochen freigehalten, hatte den kalten, grauen und trüben deutschen Winter für 14 Tage gegen die frühlingshaft milden Temperaturen auf Gran Canaria getauscht – und war „jeden zweiten oder dritten Tag Traillaufen“. Dazwischen erholte man sich am Pool und bei den berühmten Sanddünen von Maspalomas.

Ihre eigenen Läufe legten die beiden dabei aber so an, dass sie die Starts und Zieleinläufe der Wettbewerbe des Kanaren-Sehnsuchtslaufs live und vor Ort miterleben konnten – und unterwegs den Spitzenathletinnen und -athleten des Transgrancanaria so oft wie möglich zujubeln konnten. Kompliziert, erklären die beiden, sei das nicht: „Wir laufen Teile der Strecke in der Gegenrichtung ab: Da kommt uns die Elite notgedrungen irgendwann entgegen.“

Alleine mit sich und der Natur

Auch wenn der Transgrancanaria zu den ganz großen Sehnsuchtsläufen der Trail-Welt zählt, auch wenn er dieses Jahr, Ende Februar, zum 20. Mal ausgetragen wurde, sind Zuschauer und Zuschauerinnen entlang der Strecke eher die Ausnahme. Klar, als Freitagnacht um Schlag 23:59 Uhr in Las Palmas de Gran Canaria der Startschuss zum Hauptwettbewerb, dem „Classic 128“, fiel, war rund um den Start Party.

Doch am Weg quer über die Insel, auf dieser ultra-selektiven Strecke über 7000 Höhenmeter über karstige, schroffe, aber doch malerische Berge, waren die Läuferinnen und Läufer dann rasch alleine – und trotz eines dichten Netzes von Verpflegungsstellen und Kontrollpunkten wohl froh über jeden und jede, der ihnen zujubelte.

Und dann steht plötzlich eine lebensgroße Banane am Streckenrand

Das gleiche galt auch für jene, die – Samstagfrüh – beim „Advanced“-Trail „nur“ 84 Kilometer (und 5000 Höhenmeter) in Angriff nahmen. Und auch die Starterinnen und Starter, die – schon am Freitag – den im Vergleich fast harmlos wirkenden Marathon (45 Kilometer, 2000 Höhenmeter) absolvierten, nahmen Jubel und Applaus vom Streckenrand so begierig auf und an, wie Wasser, Riegel und Iso-Getränke an den Versorgungsstellen.

Der Unterschied: Während die rund 1500 Athletinnen und Athleten, die an den Wettbewerben (es gab auch kürzere Läufe für Einsteiger und Einsteigerinnen, Jugendliche und sogar Familien) teilnahmen, genau wussten, wo und wann sie „offizielle“ Versorgungsstellen finden würden, waren Zuseher wie das norddeutsche Paar immer eine Überraschung. Hochwillkommen, aber unverhofft. Je später im Rennen, desto lieber.

Manchmal staunten aber auch die Fans. Die beiden Hanseaten etwa standen mit offene Mündern da, als sie Freitagmittag – bei Kilometer 31 des „Marathonwettbewerbs“ in der Gegend des Speicher-Stausees von Ayagaures – von ihrem Singletrail auf einen staubig-schottrigen Güterweg kamen: Dort feierten 30, vielleicht sogar 40 jubelnde Zuschauer mitten im Nirgendwo eine Streckenrandparty, wie man sie eher bei großen Stadtmarathons gewohnt ist.

An einer kleinen, improvisierten Bar gab es kalte Getränke, Snacks und Obst. Ein Soundsystem wummerte – und die Zuschauerinnen und Zuschauer waren mit Fanartikeln ausgestattet, als wären sie im Fußballstadion. Ach ja, außerdem war da auch eine laufende Banane. Also: Ein Mann im Ganzkörper-Bananenkostüm, der jeden Wettkämpfer, jede Wettkämpferin durch die Gasse der Fans mit ihren Pompoms begleitete.

Hinab zum Leuchtturm

Den Athletinnen und Athleten stand die Überraschung zwar ins Gesicht geschrieben – aber Zeit, um stehen zu bleiben und zu fragen, was denn hier abging, hatte keiner. Verständlich. Auch wenn das Feld bei Kilometer 31 schon weit auseinandergezogen war, wenn da zwischen dem Führenden des 45k-Marathons und späteren Sieger Robert Pkemoio Matayango (Kenia) und seinen Verfolgern vier oder fünf Minuten lagen, wollte keiner Zeit verlieren.

Oder aus dem Tritt, dem Flow, kommen: Hier, beim Staudamm von Ayagaures, ging es ein letztes Mal bergauf – aber ab dann für das letzte Dutzend-oder-so an Kilometern nur noch bergab, bis ins Ziel, einem Park bei den Dünen und dem „Faro“, dem Leuchtturm, von Maspalomas.

Traillauf-Legende Scott Jurek feuert die Teilnehmenden an

Die Lauftouristen aber hatten Zeit. Und lachten herzlich, als sie die Geschichte zum „Cheeringpoint“ hörten. Davor aber fielen sie noch kurz – beinahe – vor Ehrfurcht in Ohnmacht: „Der Mann dort. Ja genau der dort drüben: Der schaut aus wie Scott Jurek.“ Pause. Dann „Ihr verarscht uns: Das ist er wirklich?“ Ja, tatsächlich: Der „Heilige“ des Ultra-Traillaufens, der siebenmalige Sieger des „Western State“ – dem ältesten Ultratrail der Welt –, der dreimalige Sieger des Badwater-Ultramarathons, der … und so weiter. Kurz: Ja, Scott Jurek stand da inmitten der Lauf-Partymeute beim Staudamm – und feuerte die Läuferinnen und Läufer an.

Laut – vielleicht ja sogar einen Tick lauter als alle anderen: Jurek weiß schließlich, wie sich ein Ultra, wie sich Höhenmeter auf losem Terrain, bei Hitze, Staub und ohne Wasser anfühlen. Wie hart Traillaufen sein kann – aber auch, wie wunderschön es ist. Genau deshalb – damit er denen, die den läuferischen Sprung von der Straße ins Gelände zwar im Herzen tragen, aber noch nicht in den Beinen haben – hatte der amerikanischen Laufschuhhersteller Brooks hierher geladen. Scott Jurek war das authentische, charismatische, eloquente und glaubwürdige Markentestimonial, das einige Dutzend Laufjournalisten aus ganz Europa begeisterte.

Viele haben Angst vorm Laufen im Gelände

Der „Cheeringpoint“ am Streckenrand war Teil dieser Reise. Brooks wollte mithelfen, dem Lied von der Schönheit des Traillaufens mehr – noch mehr – Gehör zu verschaffen. Schließlich, erklärte Carson Caprara, der Vizepräsident des Laufschuh-Departements der Marke aus Seattle, stehe Trail für so ziemlich alles, was sich Läuferinnen und Läufer vom Laufen eigentlich erhoffen. Die Möglichkeit nämlich, in einer sauberen, heilen und schönen Umwelt Natur gesund zu erleben – und zu genießen. Oder diesem Erlebnis und diesem Gefühl zumindest näher zu kommen.

Trail ist der Ort, ist die Strecke, von der Läuferinnen und Läufer träumen. Aber manchmal auch ein Angst-Ort: Während Bilder von Eliud Kipchoge auf schnellen Asphalt-Marathonstrecken niemanden vom Laufen abhalten (im Gegenteil!), bewundern Normalverbraucherinnen und -verbraucher Trailläufer und -läuferinnen wie Kilian Jornett, Katie Schide oder Pau Capell zwar, schütteln dann aber eingeschüchtert die Köpfe. So als gäbe es außer dem UTMB, dem Transgrancanaria oder dem Western State nichts anderes. Als wäre Traillaufen nicht auch in „zivilen“ Dimensionen möglich – und wunderschön.

Traillaufen wird immer beliebter

Freilich: Langsam ändert sich dieses Bild. Traillaufen, erklärt etwa Ironman-CEO Andrew Messing unlängst, habe in den letzten Jahrzehnten auf allen Kontinenten jährlich „im zweistelligen Prozentbereich zugelegt.“ Klingt toll. Nur war „zweistellig“ in der schmalen Nische, in der Traillaufen im Vergleich zum Straßenlauf lang fast unsichtbar war, eben auch noch recht wenig.

Doch das war einmal: 2021 verzeichnete Garmin-Connect, die Tracking-Plattform von Garmin, einen 70 prozentigen Zuwachs bei Trail-Aktivitäten. Toll – bloß weiß man da dann noch immer nicht, wie die Relation zum Gesamt-Laufen aussieht. Brooks präsentierte auf Gran Canaria dazu dann aussagekräftige, vergleichbare Zahlen: Standen am deutschen Gesamt-Laufschuhmarkt (also nicht nur bei Brooks) 2018 rund 75 Prozent Komfort- oder Straßenlaufschuhen gerade 15 Prozent Geländeschuhe gegenüber (die restlichen 10 Prozent fallen unter „Tempo“), stieg dieser Anteil bis 2021 auf 21 Prozent.

Noch deutlicher in Frankreich: War 2108 erst jeder vierte Schuh „geländegängig“, waren das 2021 schon 35 Prozent aller verkauften Laufschuhe. 35 Prozent Marktanteil – also mehr als ein Drittel – , sagen Markt- und Trendanalysten voraus, wird Trail bis 2025 aber dann wohl überall in der Laufszene besetzen.

Das richtige Equipment verschafft dir Freude und Leichtigkeit

Die Frage nach dem richtigen Material, also den richtigen Schuhen und dem richtigen Outfit ist da ein wenig die von Henne und Ei: Galten Trail-Schuhe lange als schwere und massive De-facto-Sicherheitschuhe für hochalpine Unternehmungen, die zu tragen schon recht viel Kraft brauchte, hat sich dieses Bild längst grundlegend gewandelt. Brooks etwa serviert mit dem aktuellen, neuen Catamount 2 eine Kombination aus komfortabler Leichtigkeit, Dämpfung und Rebound, die fast schon an Straßenlaufschuhe heranreicht – beim Grip und beim Halt aber dann doch klar sagt, was Sache ist: Gelände nämlich.

Und das, obwohl die in den Catamount-Sohlen verarbeiteten „Sky Vault Propulsion Plates“ auf den ersten Blick frappant an Carbon-Elemente in schnellen Straßenschuhen erinnern. Das ist kein Zufall: Brooks-Vizechef Caprara spricht gerne und oft davon, dass die Carbon-„Revolution“ auf der Straße auch Auswirkungen auf die Off-Piste-Laufwelt hat – aber natürlich sind diese Elemente keine Carbon-Katapulte. Auch wenn sich diese Platten auf den Lauf, vereinfacht formuliert, durchaus ähnlich auswirken: Die beim Auftritt in sie geleitete Energie hilft beim Abdruck als „reaktiver Antrieb“ insbesondere beim Bergauflaufen, mit jenem Quäntchen mehr „Bumms“ unterwegs zu sein, das oft den Unterschied zwischen Lust und Frust ausmacht.

Darüber hinaus haben diese Platten aber noch ein paar zentrale weitere Funktionen: Sie schützen vor dem Impact schroffer Geländestrukturen und Steine von unten, dämpfen ab und stabilisieren so den Fuß im Schuh. Auf rauem Terrain läuft es sich also ruhiger und gleichmäßiger. Das ist wichtig – und das zeigte sich auch bei den Test- und Probeläufen, zu denen Brooks auf Gran Canaria einlud: Etliche der Gäste waren – bisher – reine Straßenläufer. Aber Trail, bestätigten sie alles, was die zuvor Trendforscher in ihren Präsentationen gesagt hatten, klänge reizvoll. Stehe auf der Wunschliste. Wieso sie es dann nicht einfach täten? Vor allem die durch den Untergrund bedingte „Unruhe“ im Rhythmus und die dadurch von ihnen geforderte erhöhte Aufmerksamkeit, hieß es freimütig, mache immer noch ein wenig Angst vor dem Gelände. Doch dann, in den kratzigen Hügeln der Insel, war rasch klar: Da waren „only smiling faces“.

Die Kleidung muss im Gelände „mehr können“

Was Trail von der Straße unterscheidet ist aber auch die Ausrüstung: Im freien Gelände muss die deutlich mehr können, als im Stadtpark oder am urbanen Flussufer – wo man vor einem unerwarteten Regenguss jederzeit in die S-Bahn oder ein Café flüchten kann. Und auch wenn Trail-Apparel im hochalpinen Gelände superwild und abenteuerhungrig aussieht und die Vorteile von – nur zum Beispiel – weit flatternden Shorts über engen, kurzen Leggings mehr als nur der Optik und Anmutung sind: Speziell Frauen passten bislang viele der immer noch auf Männer-Bedürfnisse optimierten Teile schlicht nicht. Sie sahen oder fühlten sich „falsch“ an.

Dass das auch anders geht, demonstrierten die Lauf-Profis aus Seattle dann auf Gran Canaria. Brooks legte da die erste label-eigene Trail-Apparel-Kollektion in der Geschichte des 1914 gegründeten Unternehmens vor: „High Point“ heißt sie – und will mit schlauen Details (u.a. unterschiedlich geschnittenen Beinabschlüssen und Hosen-Längen für Männer und Frauen etwa), Komfort und Leichtigkeit, aber vor allem kompromissloser High-End-Qualität auch Läuferinnen und Läufer ansprechen, die mit dem Trail erst liebäugeln.

Neben der Funktionalität spielt da auch Verführung eine Rolle: Denn während Straßen-Outfits im Gelände beim kleinsten Wetterumschwung an ihre Grenzen stoßen und oft das Verstauen von Handy, Wohnungsschlüssel, einem Ausweis und einem Päckchen Taschentücher eine Challenge ist, erzählt man mit Trail-Gear sogar beim Spazieren-Joggen zwischen den Fliedersträuchern und Rosenbeeten im Stadtpark eine Geschichte. Eine Geschichte von natürlicher Wildheit und ungezähmter Freiheit. Von Abenteuer – und „draußen“ sein. Also von jenem Traum, den fast alle Läuferinnen und Läufer insgeheim träumen.

Einfach machen!

Das Feine an der Sache ist: Mit der richtigen Ausrüstung wird der Abstand zwischen „ich will“ und „ich kann“ geringer. Das „ich tu’s einfach“ ergibt sich viel leichter. Etwa wenn man sich als vom Traillaufen träumender „Lauftourist“ langsam – und in der Gegenrichtung – an die Sehnsuchtsstrecken des Transgrancanaria herantastet.

Und dann macht es plötzlich: Bumm! Denn da steht tatsächlich Scott Jurek irgendwo im Nirgendwo Gran Canarias auf einer schottrig-staubigen Piste und klopft diesen „Rookies“ anerkennend auf die Schulter: „Living your dreams is what it is all about.“