Atemraubende Kletterpartie in den Pyrenäen

Andorra Ultra Trail Vallnord
Atemraubende Kletterpartie in den Pyrenäen

| Text: Stefan Schlett | Fotos: Stephane Salerno

Seit zehn Jahren sind Andorra und seine Pyrenäen-Berge Schauplatz eines spektakulären Trail-Events: Der Andorra Ultra Trail Vallnord (AUTV) lockt jedes Jahr zahlreiche Läufer in die faszinierende Bergwelt des Zwergstaats – und es werden immer mehr.

Seit zehn Jahren sind Andorra und seine Pyrenäen-Berge Schauplatz eines spektakulären Trail-Events: Der Andorra Ultra Trail Vallnord (AUTV) lockt jedes Jahr zahlreiche Läufer in die faszinierende Bergwelt des Zwergstaats – und es werden immer mehr.

Im Sommer ist Andorra noch ein echter Geheimtipp. Nur wenige Touristen zieht es in die sonnendurchfluteten Täler und auf die fast 3000 Meter hohen, windumtosten Bergspitzen des in den Pyrenäen gelegenen Zwergstaats. An sechs Tagen im Juli allerdings ändert sich das Bild: Beim Andorra Ultra Trail Vallnord (AUTV) bevölkern über 3000 Trailrunner das Netz von hochalpinen, markierten Pfaden, die Andorra durchziehen, und nutzen die hervorragende Infrastruktur von sechs bewirtschafteten und 24 unbewirtschafteten Berghütten.

In nur einem Jahrzehnt hat sich der AUTV zu einem der führenden, anspruchsvollsten und best organisiertesten Events im Trailrunning-Zirkus entwickelt. Das verdeutlichen die Zahlen: aus 657 Teilnehmern auf zwei Strecken bei der Premiere sind mittlerweile fünfmal so viele Läufer aus 51 Ländern und allen fünf Kontinenten geworden, die sich an sechs Tagen auf insgesamt sieben Laufstrecken von 2,5 bis 233 Kilometern miteinander messen. Die Masse der rund 2000 ausländischen Teilnehmer kommt aus den unmittelbaren Nachbarländern Frankreich und Spanien, aber auch 65 Japaner flogen um die halbe Welt und überboten damit sogar die reisefreudigen Deutschen, die nur mit 29 Leuten anrückten.

Der ökonomische Input der ausländischen Gäste beläuft sich auf 3,5 Millionen Euro. Bei einem staatlichen Zuschuss von zuletzt 253.000 Euro bringt das dem Land Mehreinnahmen von 13,50 Euro pro investiertem Euro. Noch mehr Zahlen gefällig? 450 Helfer, 25 Polizisten, 34 Vollzeitkräfte, 70 medizinische Helfer und 18 Helikopterflüge mit insgesamt fünf Stunden Flugzeit - das ist auch der AUTV.

20.000 Höhenmeter in 100 Stunden

Mittwoch, der 17. Juli 2019, es ist kurz vor sieben, keine Wolke am Himmel, Vollmond am Firmament, die Traillaufparty beginnt mit dem „Eufòria“, der längsten der sieben Strecken. Im 1298 Meter hoch gelegenen Örtchen Ordino, Hauptquartier sowie Start und Ziel sämtlicher Kategorien des AUTV, ist schon jede Menge los: Eine Trommlergruppe macht Radau, 130 Abenteurer scharren mit den Hufen. Punkt sieben Uhr werden sie mit klassischer Musik, Konfettiregen und Feuerwerksraketen auf ihre abenteuerliche Reise geschickt. Beim „Eufòria“ müssen die 65 Zweierteams 233 Kilometer mit 20.000 Höhenmetern abarbeiten. Halbautonom mit nur vier Versorgungsstellen, ohne Markierungen, die Navigation erfolgt mittels GPS und Koordinaten, die von der Organisation zur Verfügung gestellt werden. Die durchschnittliche Laufhöhe beträgt 2200 Meter, fünf über 2900 Meter hohe Gipfel müssen überquert werden, dabei auch der Comapedrosa, mit 2942 Metern höchster Berg Andorras.

48 Stunden später startet der „Ronda dels Cims“: 170 Kilometer, 13.500 Höhenmeter, 16 Berge über 2400 Meter, durchschnittliche Höhe 2085 Meter – eine komplette Umrundung des Landes. Aber im Gegensatz zum „Eufòria“ – und das gilt für alle „kürzeren“ Rennen – perfekt markiert und mit zahlreichen Verpflegungsstellen ausgestattet.

Freitagnacht um 22 Uhr ertönt der Startschuss für den „Mitic“ (112 Kilometer und 9700 Höhenmeter) und zwei Stunden später um Mitternacht der „Celestrail“ mit 83 Kilometern und 5000 Höhenmetern. Wie ein Spaziergang muten dagegen der „Marató dels Cims“ (Start Samstagmorgens um acht, 42,5 Kilometer, 3000 Höhenmeter) und der „Solidaritrail“ für Jedermann über zehn Kilometer und 750 Höhenmeter am Sonntagmorgen. Zusätzlich kam 2019 noch der „Tamarro“ dazu: 2,5 Kilometer und 50 Höhenmeter für Kinder und Menschen mit Behinderung. Der AUTV hat für jeden Geschmack eine Laufstrecke im Portfolio. Wer an den längeren Läufen teilnehmen möchte, sollte aber in jedem Fall Erfahrung in hochalpinem Gelände mitbringen. Doch ansonsten gilt: Wenn das Wetter mitspielt, ist der AUTV ein großartiges Erlebnis.

2019 erreichte das erste Team beim Eufòria am Samstagmorgen um 2:30 Uhr mit einer Gesamtzeit von 67:29 Stunden das Ziel, während das letzte Team 111:26 Stunden und somit fünf Tage und vier Nächte unterwegs war. Dazwischen erreichten sämtliche Läufer der kürzeren Kategorien das Ziel. Für den Hauptlauf Ronda dels Cims, der 170 Kilomter Länderumrundung, benötigte der Spanier Sergio Luis Tejero Madrigal gerade einmal 30:21 Stunden. Insgesamt erreichten 2178 Läuferinnen und Läufer das Ziel.

Eine Familien-Angelegenheit

Die Idee zum AUTV hatte das Ehepaar Valérie Lafleur und Gerard Martinez. 2008 setzten sie sich das Ziel, die Bergwelt Andorras über den Sport erlebbar zu machen. Doch dass ihr Andorra Ultra Trail Vallnord sich innerhalb eines Jahrzehnts zu einer der größten und spektakulärsten Veranstaltungen im Fürstentum entwickeln würde, war 2009, als die Premiere des AUTV stattfand, nicht abzusehen. Inzwischen haben die beiden Gründer die Organisation des Rennens an ihre Töchter Lidia und Sandra übergeben.

Mittlerweile versinkt ein ganzes Dorf mitsamt seinen 4900 Einwohnern für fünf Tage im Trailfieber und zahlreiche Sponsoren buhlen um die Gunst des Publikums. Höhepunkt der Party ist traditionell der Freitag, mit den Starts der drei Mitteldistanzen um sieben Uhr, 22 Uhr und um Mitternacht. Das Dorf steht Kopf, Artisten führen ihre Künste vor, gigantische Puppen und Stelzenläufer begeistern die Kinder, dazu Feuerwerk, Trommlergruppen und klassische Musik.

Die Organisation hat einen hohen Qualitätsstandard erreicht. Man setzt auf Balance, will trotz des boomenden Trailrunningmarktes nicht um jeden Preis wachsen und Opfer seines eigenen Erfolgs werden. Dies hat bisher den familiären Charakter bewahrt. Dank eines ausgefeilten Sicherheitskonzepts hat es bisher auch bei schwierigen Witterungsbedingungen noch keine Probleme gegeben: Während der Rennen kann jederzeit auf Trails in niedrigeren Höhenlagen umgeleitet oder der Parcours verkürzt werden.

Perfekte Streckenmarkierungen und reichhaltig ausgestattete Versorgungsstellen sind echte Pluspunkte des AUTV. Dafür werden die über das ganze Land verteilten Berghütten in herrlichen Hochlagen genutzt. Auch die Betreuung der Läufer im Zen-trum von Ordino lässt keine Wünsche offen: Sie werden dort rund um die Uhr mit großem Buffet, Dusche, Sauna und Massage verwöhnt.