Zu Besuch bei Garmin
Auf dem Prüfstand: Garmin zeigt, was Laufuhren aushalten

| Text: Tom Rottenberg | Fotos: Garmin, Tom Rottenberg

Garmin hat in der Welt der Laufuhren eine Führungsposition. Wie sie ihre Uhren auf Herz und Nieren testen und was Garmin neben Sportuhren noch zu bieten hat, verrieten sie bei einem Besuch in Kansas.

Es mag seltsam klingen. Aber: Nein, da war nicht nur professionelle Neugierde auf den Mienen und Gesichtern der 30 Besucherinnen und Besucher. Sondern auch: Mitleid. Und das, obwohl die pieksenden Arme, die da wieder und wieder über den Labortisch an den immer gleichen fünf Stellen ansetzten, weder einen Menschen noch ein Tier attackierten.

Ja, sie setzen nicht einmal einer Pflanze zu: Die fünf dünnen, tentakelhaften Stahlstäbe traktierten eine Uhr. Die lag – in einer Haltevorrichtung festgeschnallt – auf einem Edelstahl-Labortisch. Wehrlos und tagelang musste sie das über sich ergehen lassen. Ohne Pause: Etwa 30.000-mal trifft jeder der fünf Stäbe vollautomatisch sein Ziel. Im Zwei- oder Drei-Sekundenrhythmus. Immer gleich stark.

Eine Sportuhr muss vieles aushalten können

Und das aus gutem Grund: Denn die Knöpfe eine Sport- oder Laufuhr müssen es schadlos überstehen, rund 150.000-mal gedrückt zu werden. Ansonsten sei die Uhr nicht bereit. Bereit für die „große weite Welt“ – also, in diesem Fall, die Handgelenke von abertausenden Läuferinnen und Läufern. Wir den 30 Personen, die sich dieses Testverfahren gerade anschauten.

Und Läuferinnen und Läufer würden meist mit noch anderen, mitleidloseren, Maßstäben gemessen. Und jene 30 Personen, die soeben noch in etlichen europäischen Sprachen mitleidig „arme Uhr“ gesagt hatten, wären die ersten, die dann kritische fänden. Die 30 Besucher waren (und sind) nämlich Journalistinnen und Journalisten. Redakteurinnen und Redakteure führender europäischer Lauf- und Tech-Magazine.

Gerüttel, Temperatur-Tests, Zerren am Armband und vieles mehr

Und hier, am Labortisch in einem Keller in Olathe, einem Vorort von Kansas City in den USA, hatten sie soeben einen kurzen, aber doch intensiven Blick auf jene Tests und Prozesse werfen dürfen, mit denen Garmin neue Tech-Tools auf Herz und Nieren prüft, bevor sie auf den Markt kommen.

Tausendfaches, unsanftes Knöpfe-Drücken gehört da dazu. Ebenso wie wie das intensive Gerüttel, dem – ein paar Meter weiter – eine andere Uhr einige Tage lang ausgesetzt sein würde. Oder die Mehrtages-Temperatur-Achterbahnfahrten zwischen Polarfrost und Tropenhitze bei – simuliertem – Wind und Regen in einer Art „Backofen“ gleich daneben. Oder stundenlanges, maschinelles Zurren und Zerren an Uhrband. Oder das immer wieder mutwillige Knallen auf den Boden. Oder …

Einblicke in hochsensible Bereiche

Nur wer diese Tests besteht, hatte Cliff Pemble wenige Minuten zuvor ausführlich erzählt, schafft es auf den Markt gekommen. Cliff Pemble ist CEO bei Garmin und weiß: An diesen Teil der Produktentwicklung neuer Laufuhren denkt kaum jemand. Und das sei gut so: Darüber, was Sporttracker aushalten müssen, macht man sich nur Gedanken, wenn etwas nicht funktioniert. Etwa wenn ein Knopf klemmt, oder aus dem Uhrenkorpus fällt.

Aus ebendiesem Grund – weil man keine schlafenden Hunde wecken möchte – sind Hersteller meist sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Einblicke in diese hochsensiblen Bereiche ihrer Produktions- und Entwicklungsarbeit zu geben: Garmin wird dieses Jahr 35 Jahre alt. Doch diesen Frühsommer wurden zum allerersten Mal in der Firmengeschichte europäische Journalisten ins „Allerheiligste“ in Olathe vorgelassen.

No photos please!

Und das auch nur unter strengen Auflagen: Bereitwillig standen Pemble und sein Team für Fotos auf dem „Garmin Campus“ bereit, einem weitläufigen ehemaligen Fabriksgelände, auf dem über 5000 Menschen planen, entwickeln, produzieren. Gleichzeitig galt aber strikt: „No photos“ in den Laboren und Designzonen.

Und das ist nachvollziehbar: Hier, in den Qualitätskontrolllabors, auf den Montagetischen, um die 3D-Drucker oder auf den Bildschirmen der Designer lag ja teils schon die nächste und übernächste Generation dessen, was derzeit weltweit auf Millionen Handgelenken Distanzen, Geschwindigkeiten, Höhenmeter, Pulsschläge und noch viel mehr misst.

Seit der Gründung vor 35 Jahren ging es stetig bergauf

Und der Konkurrenz nicht zu früh zu verraten, was als Nächstes kommt, ist Teil des „Spiels“, das Garmin im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht nur zum Themen- und Marktführer im Fitness- und Sportuhrenmarkt gemacht hat: Über 300 Millionen Geräte, verkündete Garmin-CEO Pemble stolz, habe man in den 35 Jahren seit Gary Burel und Min Kao („Gar“ und „Min“ – daraus setzt sich der Markenname zusammen) ihr erstes Auto-Navi gebaut hatten, nämlich verkauft.

Aus dem regionalen Kleinstunternehmen ist ein weltweit tonangebender Elektronik-Konzern geworden: Mit Niederlassungen in 35 Ländern. Mit 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – davon alleine 5000 in Kansas. Mit 6,3 Milliarden Dollar Jahresumsatz 2024. Mit einem prognostizierten Umsatz-Wachstum von 8,5 Prozent für 2025. Mit jährlich 100 neuen Produkte.

Uhren für jede Zielgruppe

Oder einfacher: Seit Garmin 2003 seine erste GPS-Laufuhr auf den Markt brachte, hat das Unternehmen so gut wie alle Mitbewerber (auch den bis dahin unumstritten führenden Fitnesstracker-Marktführer „Polar“) überholt. Heute konkurriert Garmin weniger mit „artgleichen“ Mitbewerbern wie Polar, Suunto, Wahoo oder Coros, sondern vielmehr mit der Apple-Watch. Weil den Verantwortlichen bei Garmin immer klar war, dass Smartwatches und Sporttracker zusammenfinden würden.

Marktanteile gewinnt und hält man heute primär über schlaue Produkt- und Image-Definitionen – sowie eine sehr präzise Zielgruppenansprache. Im Uhrensegment funktioniert diese Diversifizierung vor allem durch den „Look & Feel“ der jeweiligen Modellreihen: Garmins „Forerunner“ sprechen „echte“ Ausdauer-Enthusiastinnen und -Enthusiasten aller Levels an: Von „nur Laufen“ bis „Ultra- und Multisport“.

Die „Vivo“-Serie hingegen hat eher eine Lifestyle-Optik und ist eher im Fitnesssegment positioniert. Teils kleinere Uhrendurchmesser holen zudem eher Frauen ab, als die wirklich opulenten Uhren wie etwa der Fenix-Serie, der Golf-Linie „Approach“ oder der Luxus-Kollektion „Marq“.

Umfangreiche Funktionen

Und auch wenn sich Ausstattung, Design, Größe oder Softwarefeatures dann teils signifikant voneinander unterscheiden, bauen doch alle derartigen „Tracker“ auf den gleichen Uhr- und Smartwatch-Grundfunktionen auf. Was da niemand laut sagt: Schon der einfachste Sport-Tracker kann mehr, als Dreiviertel der Userinnen und User je anwenden und brauchen werden.

Tatsächlich könne die Dinger nämlich unglaublich viel. Und das verblüffte dann auch die europäischen Fach-Journalistinnen und -Journalisten: Geschickt kombiniert und ausgewertet – und in den USA von Gesundheits-Drittanbietern aber auch Versicherungen mitunter schon angewendet – lassen sich Sporttracker-Daten (von Körpertemperatur über Herzrhythmusvariabilität bis zu Schlaf- und Stressdaten) medizinisch-analytisch vielfältig nutzen.

Nicht bloß anonymisiert als Grundlage für Forschung und Entwicklung, sondern durchaus auch individualisiert und personalisiert: Vom Zwischendurch-EKG über Ovulations- und Zyklusbestimmung bis hin zum Scan auf diverse Erkrankungssymptome oder Stress. Oder auch (noch unpräzise) Diabetes- oder Parkinson-Früherkennung.

Gesundheits-Funktionen gewinnen immer mehr an Bedeutung

Das Geschäfts- und Forschungsfeld, betonte „Garmin Health“-Kopf Scott Burgett, werde seit der Departement-Gründung 2015 immer wichtiger. Wie sensibel die dabei erhobenen und verarbeiteten Daten sind, betonte Burgett gleich mehrfach, „ist uns aber absolut bewusst: Wir geben diese Daten grundsätzlich nicht an dritte weiter. Diese Entscheidung muss jeder Konsument und jede Konsumentin für sich persönlich treffen.“

Die mögliche Tiefe der Analysen macht durchaus sprachlos. Was europäische Datenschützer da mitunter die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließe, wird in den USA allerdings oft als Asset zur persönlichen Gesundheitsüberwachung und Medikationsoptimierung verstanden – und genutzt.

Nur Sportuhren? Bei weitem nicht!

Doch ganz abgesehen davon überrascht, wie breit und potent der US-Konzern auch in Elektronik-Bereichen aufgestellt ist, an die in Europa kaum jemand denkt, wenn man „Garmin“ sagt: Golf-Simulatoren für daheim oder Fisch-Tracking-Radar für Angler mögen dem Einen oder der Anderen bei einem genaueren Rundblick über die Garmin-Webseiten schon aufgefallen sein. Das wird auch als „Sport“ wahrgenommenen.

Navigations-, Steuer- oder sogar komplexe Sound-, Licht- und Entertainment-Systeme für Luxusyachten aber wohl eher nicht. Dazu kommt noch ein weiterer Riesenbereich: „Aviation“ – also die nahezu komplette elektronische Ausstattung von Flugzeugen bis knapp unter Linienjet-Größe. Cockpits, Steuertechnik, Flugsimulatoren oder vollautomatische Flughafensuch- und Lande-Autopilotsystemen für kleinere Maschinen, im Falle eines „Pilotenausfalls“ (etwa eines Herzinfarktes).

Fitnesstracker bringen den meisten Umsatz

Oder aber futuristisch anmutende Automotive-Elektroniksysteme, die – teils fertig, teils in Entwicklung – mehr Komfort und Automation, aber vor allem mehr Sicherheit im mobilen Alltag bringen sollen. Sensoren etwa, die im abgestellten Wagen im Innenraum Herzschlag und Atmung eines Kleinkindes erkennen und bei einem Anstieg der Innenraumtemperatur dann Alarm schlagen (und wohl auch Türen entriegeln oder Fenster absenken) können.

Angesichts solcher Summen und Geschäftsfelder räumte Garmin-DACH-Geschäftsführer Kai Tutschke in Kansas ein, dass man in Europa sehr gut wisse, dass etliche Fitness-Kunden in Deutschland, der Schweiz oder Österreich, von all dem wirklich noch nie gehört haben: In Mitteleuropa machen reine Fitnesstracker über zwei Drittel der Umsätze aus. Und auch wenn in Olathe keine Details darüber verraten wurden, welche Produkte global wo von wem am öftesten gekauft werden: Dass auch von den weltweit 18 Millionen allein 2024 verkauften Geräten Lauf- und Sporttracker stückzahlenmäßig den Löwenanteil ausmachen, dürfte keine zu gewagte These sein.

Laufuhren stehen im Fokus

Das Test-Labor im Hauptquartier des Konzerns stützte diesen Ansatz: Da gab es zwar auch eine Kammer, in der Bootsradargeräte und Flydeck-Displays (also Bildschirme für die Steuerung auf der offenen, obersten Brücke) tagelang mit Salzwasser, Wind und Sonne „begischtet“ werden.

Aber den meisten Raum nahmen die an Labortische gefesselten Laufuhren ein. Und obwohl die Besucherinnen und Besucher durchaus verstanden, wieso diese Geräte hier so hart bearbeitet wurden, zeichnete sich da eben nicht nur professionelle Neugierde in den Gesichtern ab – sondern tatsächlich auch Mitleid.