Carsten Eichs Olympia-Bilanz: „Sind nur bedingt konkurrenzfähig“

| Christian Ermert I Foto: Strava
Im Interview spricht der deutsche Halbmarathon-Rekordler Carsten Eich über das Ergebnis und macht Vorschläge, welche Strukturen für mehr Erfolg verbesse

Erstmals seit vielen Jahren waren bei Olympischen Spielen wieder sechs deutsche Marathonläufer am Start, unter ihnen Julian Flügel (Foto, links) und Philipp Pfllieger (Foto, rechts). Das Abschneiden war durchwachsen. Im Interview spricht der ehemalige Lauf-Profi und deutsche Halbmarathon-Rekordler Carsten Eich über das Ergebnis und macht Vorschläge, welche Strukturen für mehr Erfolg verbessert werden sollten.

Carsten Eich, wie beurteilst du das Abschneiden der deutschen Läufer bei den Olympischen Spielen in Rio?
Mein Fazit ist zwiespältig. Wir haben tolle Wettkämpfe gesehen, aber die Doping-Problematik überschattet alles. Wir Läufer müssen hoffen, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur in Zukunft ihre Aufgaben flächendeckend übernimmt oder zumindest durch die Nachtests ein Umdenken bei den Athleten und Betreuern entsteht. Heute Medaille und in drei Jahren Sperre kann ja nicht das Ziel eines Athleten sein. Unabhängig davon läuft aber in Deutschland aus meiner Sicht nicht alles planmäßig. Wir sind nur bedingt konkurrenzfähig, auch dann wenn man nicht den Weltmaßstab mit den überlegenen Ostafrikanern, sondern Europa als Messlatte nimmt.

Woran liegt es, dass Deutschland seit Jahren im Marathon bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, aber auch bei Europameisterschaften eher hinterherläuft?
Es liegt mir fern, die Athleten dafür verantwortlich zu machen, denn alle haben in Rio mit Sicherheit ihr Bestes gegeben, auch wenn der Zieleinlauf von den Hahner-Twins eher unglücklich ausfiel. Ich selbst weiß, wie es ist, bei Olympia nicht sein Potenzial abrufen zu können. Ich war 2000 in Sydney 54. im Marathon, habe dies aber auch als meine größte internationale Niederlage bezeichnet. Was mich aber wirklich stört ist, dass wir damals die gleichen Probleme und Fehler im System hatten und sich in 16 Jahren nichts zum Besseren geändert hat.

Welche Fehler werden denn ständig wiederholt?
Ich stelle mir beispielsweise die Frage, ob es sinnvoll ist, den Marathonläufern die Möglichkeit zu geben, sich noch im April für einen Höhepunkt qualifizieren zu können, der dann schon drei oder vier Monate später auf dem Programm steht. Da bleibt einfach zu wenig Zeit, sich vom Frühjahrsmarathon zu regenerieren und mit voller Kraft die Vorbereitung auf den internationalen Höhepunkt anzugehen. Vielmehr müssten bereits die Leistungen beim Frühjahrsmarathon im vorolympischen Jahr zur Nominierung herangezogen werden.

Was wäre die Alternative?
Das deutsche Marathonteam für eine internationale Meisterschaft müsste spätestens im Februar, besser noch im Dezember des Vorjahres nominiert werden. Dann könnten sich die Athleten konsequent auf ihren internationalen Höhepunkt vorbereiten. Dies schließt für mich aber auch einen Startverzicht bei einem Frühjahrsmarathon im Meisterschaftsjahr ein. Der Marathon ist ja absolut nicht vergleichbar mit den anderen Disziplinen der Leichtathletik. Wer im Marathon erfolgreich sein will, hat maximal zwei Chancen im Jahr. Und wer die nutzen will, muss top vorbereitet am Start sein und darf sich nicht in zu vielen anderen Aktivitäten verzetteln.

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Aber die Straßenläufer sind doch auch auf Starts bei den großen City-Marathons im Frühjahr und Herbst angewiesen, um Geld zu verdienen.
Das ist natürlich richtig und dadurch entsteht im Marathon ein Spannungsfeld zwischen Athleten, Veranstaltern und dem Deutschen Leichtathletik-Verband, das es in den anderen Leichtathletik-Disziplinen so nicht gibt. Die Marathonläufer sind im Gegensatz zu den anderen Athleten nicht davon abhängig, im Nationaltrikot beim internationalen Höhepunkt zu starten. Ihren Marktwert können sie mit Platzierungen jenseits der 20 kaum fördern und Geld verdienen sie dort auch nicht, das holen sie sich bei Starts woanders. Und die deutschen Veranstalter wollen die deutschen Top-Stars ja auch bei ihren Events im Frühjahr und Herbst am Start sehen. Das ist in den anderen Leichtathletik-Disziplinen ganz anders, nur wer beim Jahreshöhepunkt sportlich erfolgreich ist, hat finanzielle Vorteile. Außerdem gibt es eine definierte Saison von Mai bis September, in der eine Vielzahl von Starts möglich ist. Es sollte ein Nominierungssystem entwickelt werden, das den Besonderheiten des Marathons wirklich Rechnung trägt.

Und wie müsste das aussehen?
Ich stelle die Frage, ob wirklich jedes Jahr der internationale Höhepunkt mit Marathonläufern besetzt werden muss. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Athleten an Olympischen Spielen und Europameisterschaften mehr interessiert sind als an Weltmeisterschaften. Olympia ist immer etwas Besonderes, und bei einer EM sind die Erfolgsaussichten einfach größer. Warum verzichtet man dann nicht darauf, in den ungeraden Jahren, deutsche Athleten zu den Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu entsenden? So entstünde ein Zwei-Jahres-Rhythmus, in dem die Marathonläufer die ungeraden WM-Jahre zum Geldverdienen und zur Qualifikation für EM und Olympia im Jahr darauf nutzen könnten. In den geraden Jahren stünde dann der Start im Nationaltrikot bei EM oder Olympia voll im Fokus.

Mit Anja Scherl und Julian Flügel sind zwei der deutschen Olympia-Starter von Rio voll berufstätig. Hältst du es im Marathon für erfolgversprechend, wenn Athleten neben einen Vollzeit-Job ihr Training durchziehen?
Natürlich sind die erbrachten Leistungen von Anja und Julian unter diesen Bedingungen kaum hoch genug anzuerkennen, aber im internationalen Vergleich sind wir so jedoch nicht konkurrenzfähig. Andere Nationen haben uns mit professionellen Bedingungen für ihre Athleten überholt und feiern die eigentlich von uns beabsichtigten Erfolge. Um im Marathon 100 Prozent aus sich herauszuholen, braucht man neben dem Lauftraining von weit über 200 Kilometern pro Woche auch genügend Zeit zur Regeneration. Man muss viele Wochen im Jahr unterwegs sein z.B. in Höhentrainingslagern und auf Wettkampfreisen. Marathonprofi ist ein Beruf, der eine professionelle Herangehensweise verlangt und nicht in Teilzeit ausgeführt werden kann.

Stimmen unter diesen Voraussetzungen die Perspektiven für junge, talentierte Läufer im deutschen Hochleistungssport noch?
Ich glaube nicht. Als ich selbst im Jahr 1990 meine Profikarriere begann, waren die Chancen und Möglichkeiten zum Erfolg deutlich höher als die Risiken. Dies ist heute in unserer schnelllebigen Zeit leider nicht mehr so gegeben, sodass der Schritt, voll auf eine Profikarriere zu setzen deutlich schwerer fällt. Auf der anderen Seite sehen die Athleten ja auch, dass man aktuell als halbwegs erfolgreicher Läufer mit intensiven Aktivitäten auf Facebook, Instagram, Snapchat und Co. populärer sein kann als mit der reinen professionellen Spitzenleistung. Es ist ja völlig in Ordnung, als Profiläufer in den sozialen Medien populär zu sein, aber ich finde, an erster Stelle sollte immer noch die Topleistung stehen und nicht die „Klick-Rate“ in den entsprechenden Medien. Derzeit fehlt es an Konzepten, für unsere Top-Talente wie z.B. Konstanze Klosterhalfen, Alina Reh und Hendrik Pfeiffer professionelle Bedingungen zu organisieren, damit sie in vier Jahren in Tokio konkurrenzfähig sind.

Aber der DLV kann ja schlecht Läufer mit den öffentlichen Geldern intensiver fördern als beispielsweise die international viel erfolgreicheren Kugelstoßer?
Das stimmt natürlich. Aber dann muss die große Laufszene in Deutschland mit den vielen erfolgreichen Events und deren Sponsoren Möglichkeiten finden, Top-Talente mit privaten Sponsoren so zu fördern, dass dabei die Interessen der Athleten und ihrer Heimtrainer berücksichtigt werden. Zusätzlich sollte durch den Verband eine leistungsorientierte Unterstützung mit öffentlichen Geldern erfolgen. Der Verband sollte allerdings auch seine Bundestrainer-Strukturen infrage stellen. Ich finde wir brauchen mehr gute Trainer, die vor Ort direkt mit den Athleten zusammenarbeiten. Ich sehe die Aufgaben eines Verbandtrainers weniger im klassischen Bereich eines Trainers, sondern vielmehr im Sinne eines Teammanagers, der engen Kontakt zu den Heimtrainern und Athleten hält und gemeinsame Trainingslager organisiert und finanziert. In Zukunft müssen wieder alle, die sich das Laufen auf ihre Fahnen geschrieben haben, an einem Strang ziehen, damit Deutschlands Läufer wieder konkurrenzfähig werden und wir gemeinsame Erfolge feiern können.

Ergebnisse Olympia-Marathon Männer

1. Eliud Kipchoge (KEN) 2:08:44
2. Feyisa Lilesa (ETH) 2:09:54
3. Galen Rupp (USA) 2:10:05
...
55. Philipp Pflieger (GER) 2:18:56
71. Julian Flügel (GER) 2:20:47

Ergebnisse Olympia-Marathon Frauen

1. Jemima Sumgong (KEN) 2:24:04
2. Eunice Jepkirui (BRN) 2:24:13
3. Mare Dibaba (ETH) 2:24:30
...
44. Anja Scherl (GER) 2:37:23
67. Maya Al-Sayad (PLE/Berlin) 2:42:39
81. Anna Hahner (GER) 2:45:32
82. Lisa Hahner (GER) 2:45:33

Zur Person: Carsten Eich

Carsten Eich war über viele Jahre die deutsche Nummer eins auf der Straße. Seit 1993 hält er mit 60:34 Minuten den deutschen Rekord im Halbmarathon. Seit dem Ende seiner Karriere ist Eich als Laufcoach tätig und gibt sein umfangreiches Wissen an Freizeitläufer weiter. Bei laufen.de ist er als Trainingsexperte tätig und leitet unsere Laufcamps auf Mallorca und in Andalusien.