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Olympische Spiele
Die große Vorschau auf den Marathon der Männer: Holt Eliud Kipchoge wieder Gold?

| von Jörg Wenig und Christian Ermert

Am Samstag um Mitternacht geht es in Sapporo um die letzten Leichtathletik-Medaillen. Eliud Kipchoge will wie schon 2016 Marathon-Gold. Wir stellen internationale Stars und deutschen Starter vor.

Im Marathon der Männer startet der kenianische Superstar Eliud Kipchoge als Titelverteidiger und großer Favorit. Deutschland hat mit Amanal Petros, Richard Ringer und Hendrik Pfeiffer drei Athleten im Rennen, die gute Leistungen zeigen können, sofern sie mit den klimatischen Bedingungen zurecht kommen. Übertragen wird das Rennen heute Nacht ab 23:55 Uhr im Ersten und bei Eurosport.

Der beste Marathonläufer aller Zeiten ist der große Favorit: Kenias Weltrekordler und Titelverteidiger Eliud Kipchoge wird in Sapporo kaum zu schlagen sein. Und der 36-Jährige könnte in Japan ein weiteres Stück Laufsport-Geschichte schreiben. Denn nur zweimal gelang es bisher in der 125-jährigen olympischen Geschichte einem Marathonläufer, zweimal diese prestigeträchtige Goldmedaille zu gewinnen: Der Äthiopier Abebe Bikila triumphierte 1960 und 1964, Waldemar Cierpinski wurde im Trikot der DDR 1976 und 1980 Olympiasieger.

Wenn traditionell am Schlusstag der Olympischen Spiele der Marathonlauf der Männer gestartet wird, erwarten die Athleten im nördlichen Japan aller Voraussicht nach heiße Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Wie bei den Frauen tags zuvor, dürfte das Wetter einen starken Einfluss auf das Rennen haben.

Mit Carbon-Schuhen in neue Dimensionen

Eliud Kipchoge zeigte im vergangenen Oktober erstmals eine Schwäche in einem Marathonrennen. In London kam er offensichtlich mit den Wetterbedingungen nicht zurecht. Es regnete in Strömen und war so nasskalt, dass viele Athleten muskuläre Probleme bekamen. Bei diesen Bedingungen wurde Eliud Kipchoge nur Achter. Dagegen hat der Kenianer aber bereits bewiesen, dass er bei warmen und schwülen Wetterbedingungen sehr gut laufen kann: 2016 wurde er in Rio überlegen Olympiasieger.

Damals musste der Kenianer noch ohne jene Schuhe auskommen, die ihn 2019 in Wien zum ersten Marathon unter zwei Stunden und 2018 zum immer noch gültigen Weltrekord von 2:01:39 Stunden getragen haben. Seit sein Ausrüster Nike 2017 die ersten Laufschuhe mit einer ultrasteifen Carbonplatte und extrem viel reaktivem Dämpfungsmaterial auf den Markt gebracht haben, ist die Welt der Spitzenläufer eine andere geworden. Die Bestzeiten purzelten rasant, für viele stehen ganz neue Leistungsbereiche offen.

In Japan hat der Kenianer – und alle anderen, die wie er mit den Schuhen von Nike antreten – die Wahl zwischen gleich zwei superschnellen Modellen. Sie alle dürften sowohl den Vaporfly als auch den Alphafly im Gepäck haben. „Welchen Schuh er tragen wird, entscheidet jeder Athlet kurzfristig vor Ort“, erklärt Brett Holts von Nike, „die Entscheidung hängt vom Kurs, dem Bodenbelag und den Wetterbedingungen, aber natürlich auch von den individuellen Vorlieben der Athleten ab. Wir werden Athleten mit beiden Schuhen im Rennen sehen.“

Eliud Kipchoge aber wird sich wahrscheinlich für den ganz neuen Zoom X Vaporfly NEXT% 2 entscheiden, wie Rachel Bull erklärt, die bei Nike federführend in der Laufschuh-Entwicklung arbeitet: „Er hat bei seinem Marathon unter zwei Stunden in Wien den Alphafly getragen. Es gab dort wenige Kurven, und der Schuh ist perfekt geeignet, um ein hohes Tempo über einen sehr langen Zeitraum konstant zu laufen. Bei seinem letzten Marathon in Enschede hat er dagegen den Vaporfly getragen. Dieser Schuh erlaubt es ihm noch mehr, das Tempo in einem Rennen zu variieren. Er ist etwas vielseitiger als der Alphafly und auf dem Kurs von Sapporo werden wir ihn wahrscheinlich häufiger sehen als den Alphafly.“

Mit Kenenisa Bekele fehlt Kipchoges großer Rivale bei Olympia

Der Mann, der Eliud Kipchoge wohl am ehesten hätte gefährlich werden können, wird in Japan nicht starten: Äthiopiens Superstar Kenenisa Bekele verzichtete auf ein Rennen gegen Eliud Kipchoge in Sapporo und dürfte stattdessen bei einem Herbst-Marathon antreten.

Ein Bekele in Bestform hätte Kipchoge vielleicht herausfordern können. Wohl nur wenn bei dem kenianischen Superstar etwas schief laufen sollte, könnte das Rennen um die Marathon-Goldmedaille spannend werden. Eine sehr gute Rolle spielen kann der aktuelle London-Marathon-Sieger Shura Kitata (Äthiopien), sofern er mit der Hitze klar kommt. Stark einzuschätzen ist auf jeden Fall der Japaner Suguru Osako, der aufgrund der Wettersituation sicherlich einen Heimvorteil hat. Doch die Bestzeiten dieser Athleten von 2:04:49 beziehungsweise 2:05:29 Stunden deuten darauf hin, dass ihnen weiterhin noch ein gutes Stück zum Niveau von Eliud Kipchoge fehlt. Der Kenianer hält nicht nur den Weltrekord (2:01:39 Stunden) sondern war in Wien 2019 in einem nicht rekordkonformen Rennen als erster unter zwei Stunden gelaufen (1:59:40,2).

„Ich habe mein Training abgeschlossen, die Vorbereitungen liefen insgesamt sehr gut. Jetzt freue ich mich sehr auf Sapporo. Für mich gibt es keinen größeren Wettkampf als das Rennen um eine olympische Medaille. Ich will in Japan meinen in Rio gewonnenen Titel verteidigen. Eine zweite olympische Marathon-Medaille zu gewinnen, würde die Welt für mich bedeuten“, schrieb Eliud Kipchoge auf seiner Instagram-Seite.

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Amanal Petros will in die Top 20 laufen

Einen Meisterschafts-Marathon im Sommer ist noch keiner der drei deutschen Starter in Sapporo gelaufen. Daher sind Prognosen schwierig, gute Leistungen aber durchaus möglich. Vor allem für den deutschen Rekordler Amanal Petros.

„Ich konnte zuletzt in Kenia vier Wochen lang sehr gut und hart trainieren und hatte keine Probleme mehr mit der Verletzung - es war alles im grünen Bereich“, sagt der deutsche Marathon-Rekordler Amanal Petros (TV Wattenscheid). Der 26-Jährige war Anfang Juni bereits in Kenia, musste dann aber nach einem Sturz im Training und einer Blessur am Sprunggelenk für Behandlungen zwischenzeitlich nach Deutschland zurück.

„Nachdem ich mich im Juni noch gefragt habe, ob ich überhaupt an den Start gehen kann, habe ich jetzt doch ein gutes Niveau erreicht und kann wieder angreifen - ich werde alles geben“, sagt Amanal Petros, der sich mit Platz 10 bis 20 ein ambitioniertes Ziel gesetzt hat. Wenn er mit der Hitze klarkommen, könnte es klappen - und das wäre dann eine beachtlich starke Leistung. „Ich mache mir nicht zu viele Gedanken bezüglich der Wetterbedingungen. Sie sind für alle gleich, ich denke positiv.“

Sie wird in Sapporo mit dem Adizero Adios Pro 2.0 von Adidas an den Start gehen.

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Richard Ringer nennt kein konkretes Ziel, sieht aber viel Luft nach oben

Richard Ringer (LC Rehlingen) will lieber kein konkretes Ziel nennen. „Bei mir lief bisher alles gut. Ich bin fit und freue mich auf den Marathon“, sagt der 32-Jährige, der sich möglicherweise in einem ähnlichen Leistungsbereich wie Amanal Petros bewegt. Beide sind noch relative Marathon-Newcomer und werden in Sapporo erst ihr drittes Rennen über die klassische Distanz laufen. Insofern darf man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Sollten sie mit dem Wetter zurecht kommen, wäre ein Rang unter den Top 25 sicher ein sehr gutes Resultat.

Dennoch sieht Richard Ringer noch sehr viel Luft nach oben, wenn er seine eigene Marathonleistung betrachtet. Obwohl die schon top ist. Am 11. April hat er auf einem menschenleeren Flugplatz bei Siena in seinem zweiten Marathon überhaupt nicht nur das Olympiaticket für Japan klargemacht, sondern ist mit 2:08:49 Stunden auch auf Rang vier der ewigen deutschen Bestenliste geklettert. Und die Zahlen geben ihm Recht. Keiner der vor ihm platzierten Marathonläufer kann eine so schnelle 10.000-Meter-Zeit vorweisen wie der 32-Jährige: Mit seinen 27:36,52 Minuten und so einer starken Marathonzeit im zweiten Rennen sollte noch mehr gehen. Vielleicht sogar schon in Sapporo.

Und eins steht fest, und das ist für Richard Ringer auch ganz wichtig: Wenige Tage nach dem Olympiamarathon am 8. August wird er wieder im Büro bei MTU in Friedrichshafen sitzen. Sein Job im Controlling ist dem Betriebswirt viel wert: „Das gibt Sicherheit“, sagt er. Dank einer Teilzeitregelung konnte er sich auf Olympia vorbereiten, ohne nebenbei arbeiten zu gehen. Danach will er wieder Vollzeit ran. Und er freut sich darauf und wird in Sapporo voraussichtlich mit dem Carbonschuh Metaspeed Sky seines Ausrüsters Asics an den Start gehen.

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Hendrik Pfeiffer ist nach Covid-Erkrankung wieder fit

Etwas mehr Marathon-Erfahrung hat Hendrik Pfeiffer - allerdings hatte er in den vergangenen Jahren auch zweimal großes Verletzungspech und musste jeweils lange pausieren. 2016 hatte sich der inzwischen 28-jährige Läufer des TV Wattenscheid bereits sensationell für die Spiele in Rio qualifiziert. Doch eine karrierebedrohende Fersenverletzung ließ seinen Olympia-Traum zerplatzen. Dass er nach jahrelangen Problemen jetzt wieder die Qualifikation geschafft hat, ist ein großer Erfolg für Hendrik Pfeiffer.

Doch auch 2021 war nicht frei von Problemen: Ende März 2021 fiel nach einem Einladungsrennen in Dresden ein Corona-Test positiv aus. Es folgten Wochen des Bangens. „Ich habe über Long Covid gelesen und wie es anderen Spitzensportlern nach einer Erkrankung gegangen ist – das war deprimierend.“ Das Schlimmste für ihn neben der Angst um seine Gesundheit: „2016 hat mich eine Verletzung um die Olympia-Teilnahme gebracht, auch die EM 2018 im eigenen Land habe ich verletzt verpasst – ich habe meinen großen Traum im Frühjahr schon schwinden sehen.“ Doch die Krankheit ging, und die Form kam wieder. In Kenia hat sich der 28-Jährige überwiegend auf Olympia vorbereitet. In Tokio will er beweisen, was in ihm steckt. „Ich gehe dort als Underdog ins Rennen, aber das gefällt mir eigentlich ganz gut. Ich kann ganz ohne Druck laufen, da ich mit der Teilnahme mein großes Ziel erreicht habe. Wann immer ich einen Athleten hinter mir lassen kann, ist dies in diesem extrem starken Olympia-Feld wie ein kleiner Sieg für mich“, sagt Hendrik Pfeiffer, der sich zusammen mit Amanal Petros in Kenia auf seine Olympia-Premiere vorbereitet hat.

„Das Trainingslager lief ziemlich gut und ich habe sehr von meinen Trainingspartnern profitiert.“ Neben kenianischen Läufern gehörte unter anderen der Marathon-Europameister Koen Naert (Belgien) zu der Gruppe. „Wir haben uns gegenseitig gut gepusht und meine Form müsste stimmen. Ich bin gespannt, für welche Platzierung es in Sapporo reicht“, sagt Hendrik Pfeiffer, der sich im Februar 2020 in Sevilla auf 2:10:18 Stunden verbessert hatte. Eine Platzierung im Mittelfeld sollte möglich sein.

Er wird wird in Sapporo voraussichtlich mit dem Carbonschuh Deviate Nitro Elite seines Ausrüsters Puma an den Start gehen.