© Swiss Snow Walk & Run

Swiss Snow Run
Die Piste hochgelaufen und durch den Tiefschnee gewühlt

| von Stefan Schlett

Da laufen, wo andere Ski fahren. Verrückt? Ja, aber im schweizerischen Arosa macht das Laufen auf Pisten und im Tiefschnee vor der Alpenkulisse vor allem Spaß. Stefan Schlett hat’s ausprobiert.

Mit kurzen Schritten arbeite ich mich nach oben. Die Trailschuhe mit Stahlnoppen beißen sich in den Schnee. Aber die bestens präparierte Piste ist so griffig, dass sie auch mit normalen Laufschuhen bewältigt werden kann. Erst im letzten Viertel geht es richtig zur Sache, wo zu großen Teilen im Tiefschnee, noch fast 600 steile Höhenmeter warten. Hier werden auch die Spitzenläufer zu Gehern. Schwerarbeit! Die Lunge pfeift, der Puls hämmert und der Schweiß läuft – trotz der Kälte. Und immer öfter geht es zwei Schritte vorwärts und einen zurück. Aber, das satte Alpenpanorama mit einer ganzen Galerie von Eis- und Schneeriesen, die vor dem tiefblauen Himmel in der Sonne glänzen, berauscht die Sinne. Eine friedliche, meditative Stimmung, die einfach nur glücklich macht und die Strapazen zu einem belanglosen Beiwerk degradieren. Winterzauber pur, auch wenn es kitschig klingt.

Laufen im Schnee, mitten in den Alpen, dazu im Winter, und auch noch auf einen 2000 Meter hohen Berg. Ja, so etwas gibt es, bei einem einzigartigen Veranstaltungsformat im schweizerischen Graubünden. Und das schon seit zwölf Jahren. Nach einjähriger Corona-Pause durfte der Swiss Snow Walk & Run in Arosa wieder stattfinden. Mitte Dezember 2021 gab der Bundesratsentscheid weiterhin grünes Licht für Veranstaltungen im Außenbereich mit über 300 Personen. Pro Start wohlgemerkt. Die Bewilligung vom Kanton Graubünden für die Durchführung schaffte dann Planungssicherheit. Dies bedeutete: Am Lauf konnten Geimpfte, Genesene und Getestete teilnehmen. Zugang zum Kongresszentrum, wo sich das Sponsoren-Village sowie die Garderoben und Duschen befinden, erhalten gemäß behördlicher Bestimmungen indes nur Geimpfte und Genesene. Zusätzlich wurde vor Ort ein Testzentrum installiert.

Das sprichwörtliche Kaiserwetter herrschte in Arosa zur 18. Auflage des Swiss Snow Walk & Run am 15. Januar 2022. Ursprünglich als Walking-Event konzipiert, wurden im Jahre 2009 erstmals Testläufer zugelassen. Der Reiz, im 1700 Meter hoch gelegenen Arosa durch eine tief verschneite Berglandschaft zu rennen, lockte in der Folgezeit immer mehr Läufer aus dem In- und Ausland nach Graubünden. Mittlerweile stellen Läuferinnen und Läufer das Gros der Teilnehmer. Königsdisziplin unter den vier Wettbewerben zwischen 6.1 Kilometern und Halbmarathon ist der Weisshorn Snow Trail, ein reiner Berglauf, der über 16,8 Kilometer und 1185 Höhenmetern auf den Gipfel des 2653 Meter hohen Weisshorns führt, dem höchst erschlossenen Punkt im Skigebiet Arosa-Lenzerheide mit seinen 225 Pistenkilometern.

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Die nächste Snow Trail Party steigt am 21. Januar 2023. Das Anmeldeportal für den Swiss Snow Run & Walk ist bereits geöffnet.

Zielankunft auf dem Weißhorn in 2653 Metern Höhe

Der Event kann mit einigen Kuriositäten aufwarten. Der Teilnehmerrekord wurde noch zu Walkingzeiten bei der dritten Edition im Jahre 2007 mit 2111 Anmeldungen aufgestellt. Danach pendelte sich die Veranstaltung auf einen Schnitt von 1200 bis 1500 Athleten aus rund einem Dutzend Ländern ein, die Zweitausendermarke wurde nie wieder übertroffen. Seit der Premiere waren die Frauen in der Überzahl, zumeist mit einem Anteil von mehr als 60 Prozent. 2014 gab es erstmals ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis und seit 2016, dem Premierenjahr des Weisshorn Snow Trails, gibt es ein leichtes Übergewicht an männlichen Teilnehmern.

Außer dem pandemiebedingten Ausfall 2021 wurde die Veranstaltung nur einmal abgesagt, das war 2012, als die Austragung witterungsbedingt zu gefährlich gewesen wäre. Mehrmals wich der Snow Trail wegen ungünstigen Wetterbedingungen auf eine Alternativstrecke aus, die ebenfalls auf das Weisshorn führt, allerdings auf einer direkten, kürzeren Route. Start und Ziel der restlichen Wettbewerbe befinden sich in Arosa und führen maximal bis auf eine Höhe von 2127 Metern.

Wenn man aus einer der vielen Regionen Deutschlands kommt, wo Winter praktisch nicht mehr stattfindet, ist die Ankunft in Arosa wie der Eintritt in ein Winter-Wunder-Märchenland. Weiß gepuderte Bergzacken, die in den tiefblauen Himmel aufragen, eiskalte, frische, saubere Luft, gefrorene Seen und unendliche Fernsicht – ein Traum!

Wobei auch das Schweizer Unterland in diesem Jahr noch recht grün war. Erst auf der Fahrt mit der Rhätischen Bahn von Chur nach Arosa tauchten tief verschneite Schneelandschaften auf. Schon die einstündige Fahrt ist spektakulär: Auf 26 Kilometern bietet die Strecke 41 Brücken, 19 Tunnel, 12 Lawinenschutz-Galerien und 1150 Höhenmeter. Dank des „Swiss Runners Ticket“, einer Zusammenarbeit der Schweizer Bundesbahnen mit Swiss Runners, ist schon seit 2017 bei 18 Laufveranstaltungen die An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus der ganzen Schweiz im Startgeld inbegriffen. Für ausländische Gäste gilt dies ab dem ersten Schweizer Bahnhof oder Flughafen.

Das Startgelände liegt neben dem Kongresszentrum am Obersee in 1735 m Höhe, direkt gegenüber dem Bahnhof, wo sich auch die Talstation der Arosa Bergbahnen befindet. Hier können die Teilnehmer am Weisshorn Snow Trail eine Tasche mit Wechselkleidung auf den Gipfel transportieren lassen. Da der See in diesem Jahr nicht dick genug gefroren ist, wird die Runde auf dem Eis ausgelassen und stattdessen um den See herum gelaufen. Es herrschen perfekte Wetterbedingungen und nahezu Windstille. Die Party startet mit dem Weisshorn Snow Trail, eine halbe Stunde später folgen die Halbmarathonläufer, in vier weitere Startgruppen geht der Rest der insgesamt 755 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die schneebedeckten Genusstrails.

 

Video-Impressionen vom Swiss Snow Run 2022

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Schon bald ist die Baumgrenze überschritten und an der Tschuggenhütte auf 1990 Meter Höhe die erste Versorgungsstation erreicht. Hier hat gerade eine Musikgruppe ihren lautstarken Einsatz. Danach müssen ein paar Mal die Skipisten gekreuzt werden. Es sieht zunächst chaotisch aus, Skifahrer, Snowboarder und Läufer verteilen sich auf den bestens präparierten Pisten, an den Liften herrscht Hochbetrieb und die Streckenposten haben alle Hände voll zu tun. Aber es ist genug Platz für alle da, die Begegnungen zeugen von friedlicher Koexistenz und gegenseitiger Rücksichtnahme.

Bei Kilometer 8,5 zweigt die Halbmarathonstrecke nach links ab und verläuft in einer weiten Schleife mit Blick auf Arosa über die Carmennahütte, dem höchsten Punkt auf 2127 Metern. Hier setzen sich später Charlotte d‘Alencon aus Meierskappel in 1:48:53 Stunden und der Liechtensteiner Michele Paonne nach 1:36:27 Stunden als Sieger durch.

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Durch tiefen Schnee und steiles Gelände auf den Weisshorn-Gipfel

Nach der Mittelstation der Gondelbahn auf 2015 Metern über dem Meer erwartet die Snow-Trailer eine ruhige, leicht abfallende Passage durch den Arlenwald. Doch bei Kilometer zwölf ist die Schonzeit zu Ende. Bis hierher hatte man die Gelegenheit, sich auf breiten, meist präparierten Winter-Wanderwegen einzulaufen. Jetzt beginnt die Tiefschneewühlerei, auf den wenigen verbleibenden Kilometern sind noch 600 Höhenmeter zu beackern.

Rampe um Rampe geht es steil nach oben. Durch teilweise hüfthohen Schnee kämpfen wir uns bis zur zweiten Verpflegungsstation an der Sattelhütte auf 2400 Metern. Die Stärkung ist nötig, denn der Schlussakkord wird auf den letzten 1,6 Kilometern gesetzt, die noch einmal 253 Höhenmeter aufzubieten haben.

Die Gipfel der Silvretta und Bernina in den zentralen Ostalpen, die Eisriesen der Berner Alpen im Westen und 2000 Meter tiefer die Stadt Chur, Hauptort des Kantons Graubünden – alles auf einen Blick! Eine Sinnestäuschung? Nein, die Fernsicht vom Gipfel des Weisshorns. Dem Ziel. Ein atemberaubendes Panorama.

Der Erste hier oben ist nach 1:21:38 Stunden der im Engadin wohnhafte Walliser Tissi Hasler. Sein (vermeintlicher) Sieg und die Fabelzeit sind allerdings einer Panne geschuldet: Durch eine offenbar unklar signalisierte Streckenanpassung lief genau die Hälfte der Teilnehmer anstelle der zehn Meilen nur zehn Kilometer. Die Organisation handhabte die Situation pragmatisch und ordnete diese kurzerhand einer eigenen Kategorie zu, dem „Weisshorn Speed Trail“. Auch die erste Läuferin, Cornelia Kern aus Chur, erreicht den Gipfel noch vor dem Sieger der Königsdisziplin in 1:35:40 Stunden.

Triumphator des „10 Meilen-Weisshorn Trail“ wird so der Deutsche Benedikt Hoffmann in einer Zeit von 1:44:05 Stunden. Zahlreiche erfolgreiche Einsätze für die deutsche Berglauf- und Ultralauf-Nationalmannschaft zieren seine Vita. Zuletzt triumphierte er beim Swiss Alpine Marathon in Davos (68 km), dem Eiger Ultra Trail in Grindelwald (16 km) und beim Ultra Sierra Nevada in Spanien (39 km), jeweils mit Streckenrekorden. Bei den Damen siegte die Schweizerin Maja Ris mit fast fünf Minuten Vorsprung vor der Konkurrenz in 2:39:05 Stunden.

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Verrücktes Rennen, faszinierende Erlebnisse

Wenn wir nicht in pandemischen Zeiten leben würden, hätten die Gipfelstürmer im Gipfelrestaurant mit 360 Grad-Panoramaverglasung noch das Sponsoren-Apéro genießen und nach der Abfahrt per Seilbahn im Kongresscenter bei Kuchen und Pasta die After-Snow-Party feiern können. Kommt bestimmt alles wieder beim nächsten Mal. Einstimmiger Tenor bei den Teilnehmern: Das Rennen ist zwar ein wenig verrückt, aber bietet neben der Abwechslung eine interessante Erfahrung und ein faszinierendes Erlebnis.

Und es verlangt Respekt, sowie gewissenhafte Vorbereitungen auf die winterlichen Extrembedingungen im hochalpinen Gelände. Denn das Wetter kann auch anders: Minus 17 Grad und eisige Winde hatte es bei der Austragung im Jahre 2017. „Hartnäckig bleiben und nicht entmutigen lassen“, lautete das Erfolgsrezept von Benedikt Hoffmann in Bezug auf die schweren Tiefschneepassagen im obersten Streckenteil, „teilweise ging ich auf allen Vieren“.

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