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Plane deine Ziele richtig
Warum gute Vorsätze so gefährlich sind

| von Dr. Matthias Marquardt

Viele Menschen sind auch in 2023 wieder mit guten Vorsätzen ins neue Jahr gelaufen. Die meisten halten kaum zwei Monate durch. Hier liest du, wie du dein Leben nachhaltig zum Besseren wendest.

Gute Vorsätze gehören einer aktuellen Umfrage zu Folge für 42 Prozent der Deutschen zum Start ins neue Jahr dazu wie die Silvesterrakete. Warum die fixen Ideen aus der Silvesternacht in 80 Prozent der Fälle nicht mehr als ein lustiges Small-talk-thema im Büro sind und wie man Verhalten wirklich ändert, erklärt hier unser Experte Dr. Matthias Marquardt.

Die Arbeit als Internist und Check-up-Mediziner führt bei mir zu einer berufsbedingten Skepsis gegenüber guten Vorsätzen – egal ob diese nach einer Gesundheitsuntersuchung oder während eines Silvesterabends entstanden sind. Bei ersterer führt die Vorlage der Cholesterin- und Blutdruckwerten zu Schnappatmung, bei zweiterem der zwölfte Sekt. Gemeinsam ist beiden allerdings, dass die Betroffenen ziemlich überzeugt davon sind, dass sie ab sofort öfter Sport treiben, gesünder essen, abnehmen und weniger Alkohol trinken werden. Diese Vorsätze glauben natürlich weder der nüchterne Arzt, noch die angeheiterte Partygesellschaft.

Warum ist die Motivation meist nach zwei Monaten am Ende?

Gute Vorsätze: Es soll das ganz einfach sein, was leider nicht einfach ist. Die Veränderung des Verhaltens. So geht schief, was schiefgehen muss: 80 Prozent der Deutschen halten ihre beschwipste Eingebung aus der Silvesternacht höchstens zwei Monate durch, fand Statista schon 2019 heraus. Immerhin, würde ich sagen. Denn die Erfolgsquote der Patienten, die joggen gehen wollen, statt Blutdrucktabletten einzunehmen, dürfte nicht wesentlich besser aussehen.

Manch einer wird nun insgeheim ganz froh sein, wenn sich die Kollegin trotz vollmundiger Ankündigung eines Halbmarathon-Debuts nach drei Wochen doch nicht mehr zum Joggen aufraffen kann. Dann ist man nicht so allein mit dieser bleischweren Frühjahrsfaulheit. Psychologisch aber beginnt hier ein gefährlicher Teufelskreislauf: Denn diese „guten Vorsätze“ – vulgo: zum Scheitern verurteilte, unüberlegte Aktionen, die dazu dienen, sein Umfeld zu belustigen - frustrieren. Und sie demotivieren in kürzester Zeit.

Was tun, wenn die Motten sich über die Joggingschuhe hermachen?

Wenn man dann das dritte Mal die Laufschuhe an den Nagel gehängt hat, dann resigniert man wohlmöglich für immer. Dazu passend fand Statista 2022 heraus, dass 47 Prozent der 18- bis 24-jährigen hoffen, ihre fixe Idee aus der Silvesternacht in die Tat umzusetzen, hingegen 80 Prozent der über 55-jährigen gar keine Neujahrsvorsätze mehr machen. Merke: Motivation und das Gefühl von Selbstwirksamkeit erreichen wir nur, wenn uns etwas gelingt. Dafür braucht es eine Strategie!

Ich mag also unausgegorene, leichtfertig gefasste Vorsätze nicht sehr gerne. Menschen wissen offenbar nicht, was sie sich mit diesem Blödsinn antun. Man müsste sie mit einem Beipackzettel versehen: „Vorsicht! Sie haben einen guten Vorsatz gefasst. Er wird mit über 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht funktionieren. Er wird dich aller Wahrscheinlichkeit in Kürze mehr demotivieren als helfen. Tu es nicht!“

Aber was denn dann tun, wenn der Arzt und Ehepartner zurecht kritisieren, dass deine Joggingschuhe den Motten anheimgefallen sind und dein Daumen schon Hornhaut vom Daddeln am Handy hat? Tatsächlich gibt es meist Gründe, warum Dinge sind, wie sie sind. Und hier beginnt die Kunst, Verhalten wirklich zu verändern. Stelle dir folgende Fragen, wenn du die magischen Kräfte, die dich abends Katzenvideos und üble Tanzeinlagen von bierbäuchigen Männern auf TikTok binge-watchen lassen, kontrollieren willst.

In der Zeitung steht, dass lange Zeiten am Bildschirm nicht gut sind? Pardon, aber das ist ganz offenbar der Mehrheit der Weltbevölkerung ziemlich scheißegal. Die haben Daumengelenkarthrose mit 35. Und dir wird es auch egal sein, wenn der Schuh nicht wirklich drückt: Du schläfst schlecht? Bist unkonzentriert? Hast eine innere Unruhe, die dich quält? Du vernachlässigst deinen Partner? Die Frage nach dem echten Grund ist wichtig: Gibt es keinen echten persönlichen Grund, gibt es auch keine dauerhafte Veränderung.

Warum ist das, was ich ändern möchte, so wie es ist?

Du fühlst dich abends nach zwei Stunden Insta-Stories der Bild über Messermorde in deutschen Innenstädten und Karl Lauterbachs 473. Warnung vor der nächsten Corona-Welle völlig ausgelaugt? Du ärgerst dich über die vergeudete Lebenszeit, wenn du endlich das Handy weglegst? Eigentlich nicht wirklich geil, oder?

Der Grund für dein Verhalten wird aber möglicherweise deutlich, wenn du die Alternativen betrachtest: Reden mit dem Partner? Oh nein, nachher geht’s noch um Gefühle. Gesundes Essen kochen? Oh nö, ich bin so zerstört nach 12 Stunden Office, ich kann nicht. Ein gutes Buch lesen? So viel Text und keine Bilder, das halte ich nicht lange durch. Tja, wir sehen, das alles ist im Vergleich zur Berieselung durchs Handy weniger spannend und sensationsreich. Und es braucht mehr Energie und Einsatz. Trauen dich: Warum das abendliche Doom-scrolling? Warum ist dein Handy geiler als der Rest?

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Es ist leichter, ein neues Verhalten zu etablieren, als sich ein altes Verhalten zu verbieten

Mit seinem Partner gemeinsam zu kochen, zu essen und sich dabei zu unterhalten, ist – wenn es der richtige Partner ist - ein besserer Plan, als nicht an seinem Handy rumzuspielen. Es wird außerdem nur gelingen etwas sinnstiftendes (tolles Wort, oder? Tipp: Lies es nochmal!) zu tun, wenn noch Energie vorhanden ist. Ist die Karriere mit den zahllosen Überstunden das wert? War es hilfreich, dass Training im Fitnessstudio an den Nagel zu hängen, weil du so müde warst, oder bist du seitdem noch müder geworden?

Wenn du nach all den – zugegebenermaßen unangenehmen – Fragen zu dem Ergebnis kommst, dass du abends künftig weniger an deinem Handy daddeln willst, dann suchen dir Hilfe für die ersten 12 Wochen. So lange dauert es gemeinhin, ein neues Verhalten zu etablieren. Partner, Freunde und Kollegen, die ernsthaft in die Idee der Verhaltensänderung mit all ihren Konsequenzen eingeweiht wurden, können eine wichtige Stütze sein. Sie können helfen, erinnern, Mut machen und unterstützen. Dass brauchst du, denn die Nachbarn und Arbeitskolleginnen brauchen erfahrungsgemäß einige Wochen, bis sie mit den blöden Sprüchen aufhören, wenn du joggen gehst, mit dem Fahrrad zur Arbeit kommst oder Salat in der Kantine bestellst.

Ich möchte allerdings keineswegs den Eindruck erwecken, komplett immun gegen gute Vorsätze zu sein. Ich scheiterte unzählige Male an dem guten Vorsatz, mehr Dehnübungen zu machen. Ich hab’s bloß vorher keinem erzählt … Und warum hielt ich nicht durch? Weil viele dieser Übungen nicht das bewirkten, was ich mir erhofft hatte. Erst als ich die Übungen gefunden hatte, die mir wirklich einen Mehrwert brachten, machte ich sie von allein. Die helfen mir so gut, dass ich dafür sogar das Handy liegen lasse.

Die Preisfrage bleibt also: Was ist geiler als das Handy? Der oben beschriebene Prozess ist erfreulicherweise völlig unabhängig vom Kalender. Du musst also nicht bis zum 31. Dezember 2023 warten, um die Antworten zu suchen.