Corona-Lovestory
Läuferliebe in Zeiten der Pandemie

| von Anja Herrlitz

Corona hat vieles unmöglich gemacht. Aber die Liebe und das Laufen konnte das Virus nicht stoppen. Das belegt die Geschichte der Ultraläufer Vanessa Gebhardt aus München und Javier Escobar aus Boston.

Ein Ultra-Läufer und eine Ultra-Läuferin, die auf unterschiedlichen Kontinenten wohnen, lernen sich durch Zufall in Nicaragua bei einem Wettkampf kennen, schreiben sich danach und verlieben sich. Dann kommt eine globale Pandemie und sie können sich nicht wiedersehen, schaffen es aber, ihre Liebe durch eine Fernbeziehung am Leben zu erhalten und ziehen dann zusammen und werden glücklich. Hört sich nach der Zusammenfassung eines Hollywood-Films an – aber auch eher unrealistisch?

Da sind Vanessa Gebhardt aus München und Javier Escobar aus Boston wahrscheinlich anderer Meinung. Denn es ist ihre Geschichte. Ihre ganz reale Corona-Lovestory. Die gerade erst begonnen hat und noch lange andauern soll. „Mir hat ein Freund gesagt: Der perfekte Mann, der in deiner Stadt wohnt – das wäre für dich doch viel zu einfach. Du brauchst doch was zum Durchbeißen“, erzählt Vanessa lachend. „Und vielleicht hat er Recht.“

Ihren Anfang nahm die Geschichte in Nicaragua. Vanessa hatte dort 2018 einen 24-Stunden-Hindernislauf gewonnen – vor allen Männern. Sie läuft 24-Stunden-Hindernisrennen der Spartan Race-Serie. Das heißt: Viele Hindernisse, Matsch und Dreck, einige Höhenmeter – und das über 24 Stunden. Wer schafft am meisten Kilometer? Als Vanessa 2019 erneut in Nicaragua starten wollte, wurde das Event wegen Unruhen im Land nicht mehr ausgetragen, 2020 gab es dann einen Trailrun. „Dann laufe ich halt da“, dachte sich Vanessa, die zuvor sowieso Freunde in Costa Rica besuchen wollte. Sie lief, gewann das Rennen über 50 Kilometer und wurde im Ziel von einem netten, jungen Mann empfangen, der ihr ein Bier entgegenhielt. Es war Javier, der auch 24-Stunden-Hindernisrennen läuft. Allerdings die der Formatserie Tough Mudder, deswegen hatten sie sich noch nie getroffen. In Nicaragua wollte er eigentlich über 100 Kilometer starten, wegen eines Motorradunfalls konnte er aber nicht. Und war so als Volunteer dabei. Das Bier lehnte Vanessa dankend ab und ging duschen.

„Als ich dann später auf meine Freunde gewartet habe, die die 100 Kilometer gelaufen sind, haben wir uns unterhalten“, erzählt sie. Am nächsten Morgen trafen sie sich beim Frühstück, sprachen kurz, machten ein Selfie und mussten dann beide abreisen. Vanessa noch ganz ohne Hintergedanken. Javier nicht ganz, wie sie später erfuhr. „Er hat dem Renndirektor gesagt, er glaube, hier seine zukünftige Frau gefunden zu haben.“ Und so war es auch Javier, der Vanessa über Instagram kontaktierte. Sie schrieben sich. Bald jeden Tag. Und fingen irgendwann an, über Skype zu telefonieren. „Fünf Stunden hat das gedauert“, erzählt die 33-Jährige lachend. Ab da verbrachten sie jedes Wochenende bis zu sechs Stunden zusammen über Skype, Zoom oder WhatsApp-Call.

Glückliches Wiedersehen in Mexiko

Aber vorerst blieb den beiden nichts anderes übrige, als so weiterzumachen wie bislang. Corona nahm gerade erst so richtig an Fahrt auf. Trotzdem war es beiden irgendwann zu wenig, sich immer nur über Video-Call zu sehen. „Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir uns in Mexiko treffen. Dort durfte man aus Europa und den USA einreisen.“ Schon ein bisschen verrückt. Aber verrückt für zwei Leute, die sonst 24-Stunden-Hindernisrennen machen und sich in Nicaragua kennengelernt haben? Wohl nicht ganz so …

Und so trafen sich beide am 4. August 2020 nach über einem halben Jahr wieder. „Es war mega komisch und ich habe mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie man sich da verhalten soll“, gibt Vanessa zu. Letztlich aber, war alles ganz einfach. Beide verstanden sich prächtig, sie küssten sich zum ersten Mal, erlebten den anderen in Alltagssituationen – und hatten einfach unglaublich viel Spaß miteinander. Doch Vanessa hatte noch ein Ass im Ärmel. Man durfte zu dieser Zeit nicht direkt aus dem europäischen Schengenraum in die USA einreisen. Hielt man sich aber zwei Wochen außerhalb Europas auf – zum Beispiel im Mexiko –, war es möglich. Das erzählte sie Javier nach rund zehn Tagen Urlaub. Und beide beschlossen, dass sie mit ihm nach Boston fliegt. „Mit meinem Arbeitgeber hatte ich das vorsichtshalber vorher schon abgesprochen. Mexiko war mein erster Urlaub in diesem Jahr und so hatte ich noch genug Urlaubstage. Und ich hatte auch ein paar wärmere Klamotten eingepackt.“ Und so flog Vanessa nach Boston und nicht nach München. Blieb dort eineinhalb Monate, lernte Javiers Familie kennen, beide unternahmen viel zusammen.

Corona-Erkrankung verhindert Wiedersehen

Nachdem Vanessa im November nach Deutschland zurückkehrte, entwickelten beide noch zusammen eine Routine. Morgens um sechs bei ihm und mittags um 12 bei ihr treffen sich beide über das Handy, dehnen sich gemeinsam, unterhalten sich kurz. Am Wochenende unternehmen sie virtuell etwas zusammen: Gehen ins Kino und unterhalten sich danach über den Film, kochen gemeinsam – ab etwa 17 Uhr ist Vanessa am Wochenende abends verplant. Und trotzdem kann all das nicht ein echtes Zusammensein ersetzen. Und deswegen versuchten beide immer wieder, sich zu sehen, wann immer es möglich ist. Was durch Corona nicht einfach war.

Javier konnte im Dezember zwei Wochen nach Deutschland kommen – aufgrund eines Abkommens, das es Pärchen erlaubt, sich zu treffen. Vanessa musste schriftlich bestätigen, dass sie ein Paar sind. „Das ging aber nur von den USA nach Europa“, erklärt sie. Deswegen wollte sie im März noch einmal über einen Umweg in die USA reisen. Im Rahmen eines Wettkampfs wollte sie zwei Wochen in der Türkei bleiben und dann zu Javier reisen. Aber alles kam anders: „Ich hatte in der Türkei einen Unfall und habe mir ein Stück Holz in die Außenkante der Hand gerammt. Das musste operativ entfernt werden. Und im Krankenhaus habe ich mich mit Corona angesteckt.“ Das Rennen: fiel für sie flach. Der Flug einen Tag später in die USA: ebenso. Stattdessen: Quarantäne. Zehn Tage später saß sie immer noch in ihrem Hotel in der Türkei fest, als ihr Vater starb. Der Corona-Test blieb weiter positiv. Erst nach drei Wochen konnte sie die Türkei verlassen und wieder nach München fliegen, wo alle mit der Beerdigung ihres Vaters auf sie gewartet hatten.

Beistand nach dem Tod des Vaters

Und Javier? Er buchte kurzentschlossen einen Flug nach Deutschland, um in dieser schwierigen Zeit bei ihr zu sein. „Das fand ich so unglaublich und hat mich so gefreut. Ich hatte ein paar Jahre früher nämlich eine ähnliche Situation, als meine Mutter sehr krank war. Mein damaliger Freund, der eineinhalb Stunden entfernt wohnte, kam damals nicht zu mir“, blickt Vanessa zurück. Im Juli kam Javier zur Hochzeit ihrer Schwester wieder nach Deutschland genauso wie im September zu einem Wettkampf. Wenn sie zusammen sind, trainieren die beiden 33-Jährigen gemeinsam. Sie haben Spaß, unterhalten sich. Gehen gemeinsam in die Berge. „Eines ist mir klargeworden“, sagt Vanessa. „Eine Fernbeziehung über diese Distanz braucht wirklich kein Mensch. Aber das, was wir zusammen haben, würde ich deswegen niemals aufgeben.“ Das, was sie für ihre Ultraläufe brauchen, nämlich Biss, Durchhaltevermögen und absolute Hingabe, das zeigen sie auch in ihrer Beziehung. „Wenn ich mit ihm zusammen bin, fühle ich mich einfach so viel besser.“

Deshalb will Vanessa nicht nur im November in die USA reisen, wenn das wieder erlaubt ist. Sie will Javier dort bei einem 24-Stunden-Hindernisrennen in Las Vegas unterstützen. Sie will auch ganz in die USA ziehen. Im kommenden Jahr. Und damit dies noch einfacher wird und sie nicht mit einem Touristenvisum alle drei Monate aus- und wieder einreisen muss, wollen sie auch heiraten. Ob sie dann für immer in den USA bleiben, wissen beide nicht. „Javier kann sich auch vorstellen, in Deutschland zu wohnen. Wir wollen dort wohnen, wo wir uns wohlfühlen.“ Und die Entscheidung, ob dies in den USA, in Deutschland oder wo ganz anders ist, sollte nach dieser Kennenlerngeschichte vielleicht das kleinste Problem sein …