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Mainova Frankfurt Marathon
Nach dem Trauma ihres Lebens: Belgierin will beim Comeback mit 65 Jahren Weltrekord laufen

| von der Redaktion

Ria van Landeghem verpasste 1988 als belgische Rekordlerin den Olympiamarathon von Seoul. Wegen unhaltbarer Dopingverdächtigungen. Am Sonntag geht sie in Frankfurt auf Weltrekordjagd. Mit 65 Jahren.

Dass sie nochmal die Freude am Laufen zurückerlangen könnte, hätte Ria van Landeghem nicht gedacht. Drei Jahrzehnte hat sie Abstand zu ihrem Sport gewahrt, die Verbitterung, ja die Verletzung durch die Ereignisse im Jahr 1988 war zu groß. Sie ist arbeiten gegangen und hat zwei Kinder großgezogen, laufen gegangen ist sie gar nicht mehr.

Beim Mainova Frankfurt Marathon auf Weltrekordjagd zu gehen, hätte sie vor Kurzem noch für einen schlechten Scherz gehalten. Doch im Herbst 2022 kann Ria mit Überzeugung in der Stimme sagen: „In meinem Alter kann man zwar nicht vorhersagen, was im Rennen passiert. Aber ich bin gut in Form und habe gute Chancen, den Weltrekord zu brechen.“ Die Belgierin ist vor wenigen Wochen 65 Jahre alt geworden und seit wenigen Tagen auch Rentnerin. In der Masters-Altersklasse 65 greift sie nun auf der schnellen Frankfurter Strecke die von der Japanerin Kimi Ushiroda gehaltene Bestmarke an, die bei 3:07:51 Stunden liegt.

Im vergangenen Dezember war sie beim Valencia Marathon in 3:07:42 Stunden schon schneller als die Rekordhalterin. Aber da war sie noch ein Jahr zu jung für die W65. „An einem windigen Tag, bei dem ich das fast das ganze Rennen allein gelaufen bin und zudem noch eine leichte Verletzung hatte“, erzählt die Flämin. Seitdem hat sie ihr Trainingspensum nochmal erhöht. In der Vorbereitung auf Frankfurt kam sie auf 100 bis 140 Kilometer je Woche, manchmal auch mehr. „Es klingt ein bisschen verrückt, aber ich trainiere fast wie ein Profi“, sagt Ria.

Im Spätsommer war sie beispielsweise im Trainingslager in St. Moritz. „Und es fühlt sich ganz natürlich an“, erzählt sie, als ob sie es selbst noch nicht glauben kann. Der neu gewonnene Antrieb, befeuert durch die Tatsache, dass sie ihre Laufkarriere einst nicht so beenden konnte wie sie wollte, trägt sie zu Topleistungen. Anfang Oktober hat sie in Brüssel schon mal eine neue Weltbestmarke in ihrer Altersklasse auf der Halbmarathonstrecke aufgestellt: 1:30:57 Stunden.

Was passiert war im Jahr 1988, das Ria als „Trauma ihres Lebens“ bezeichnet? Dazu muss man die Vorgeschichte kennen. Ria war einst die belgische Rekordhalterin über 42,195 Kilometer (2:28:11 h), nahm den Olympischen Spielen 1984 teil (Platz 21) und gewann im selben Jahr den Stockholm Marathon. Vor dem olympischen Marathon 1988 in Seoul sei sie als 30-Jährige in Topform gewesen, erzählt sie.

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In den 80er gehörte Ria van Landeghem zu den besten Marathonläuferinnen der Welt

1987 war sie in New York – unser Foto – mit der Nummer F5 auf Rang vier gelaufen, in 2:32:38 Stunden, hinter Siegerin Priscilla Welch (GBR/F2), die in 2:30:17 gewann, der zweitplatzierte Francoise Bonnet aus Frankreich und deren Landsfrau Jocelyne Villeton auf Rang drei. Dann der Schock: In einer präventiv vom belgischen olympischen Komitee (BOIC) vorgenommenen Dopingprobe wurden im Sommer 1988 angeblich Spuren eines anabolen Steroids entdeckt – und Ria aus Seoul nach Hause geschickt sowie für zwei Jahre gesperrt. Obwohl es in Seoul und auch später nie einen offiziellen positiven Test gegeben hatte. Ria leugnete vehement den Einsatz verbotener Mittel. Aufgrund von Verfahrensfehlern – die A-Probe wurde nicht korrekt registriert, ihre Anwesenheit bei der Öffnung der B-Probe verweigert - wurde sie auch wenige Monate später freigesprochen. Doch das BOIC nominierte sie dennoch zwei Jahre nicht für Wettkämpfe - ungerechtfertigterweise.

Das Stigma der vermeintlichen Dopingsünderin verletzte Ria. Sie verlor Ehrgeiz und Spaß an ihrem Sport. Als ihre Seouler Dopingprobe im Jahr 2017 abermals untersucht wurde, kam heraus, dass diese negativ war. 29 Jahre später! Das BOIC entschuldigte sich öffentlich. „Ich dachte, mit 59 Jahren bin ich zu alt, um wieder mit dem Laufen anzufangen. Aber dann habe ich mir gesagt: Nein, bin ich nicht“, erzählt Ria. Schon beim Berlin Marathon 2019 siegte sie in der Altersklasse 60 in 3:02:05 Stunden, verfehlte den Weltrekord nur, weil sie in einer hinteren Startgruppe beginnen musste. „Das Pech hat mich beim Laufen nun schon häufig verfolgt“, sagt sie. Damit soll es nun am Main vorbei sein. Die Zeichen dafür stehen gut.

Du willst den Mainova Frankfurt Marathon live verfolgen? Dann schalte am Sonntagmorgen ab 9:55 das HR-Fernsehen ein. Im Hessischen Rundfunk kommentieren Ralf Scholt und der Marathon-Experte Jan Fitschen.