Trailrunning im Indischen Ozean
Querfeldein über eine entlegene Insel

| Text: Stefan Schlett | Fotos, Grafik: Jacques Marais, AdobeStock/Unclesam, Goodwillrun

Wer gern an ganz besonderen Orten läuft und lange Reisen nicht scheut, ist hier genau richtig: Seit zehn Jahren findet auf der einsam im Indischen Ozean gelegenen Insel Rodrigues ein Trailrun statt: der „Trail de Rodrigues“. Wir waren dabei.

Wer gern an ganz besonderen Orten läuft und lange Reisen nicht scheut, ist hier genau richtig: Seit zehn Jahren findet auf der einsam im Indischen Ozean gelegenen Insel Rodrigues ein Trailrun statt: der „Trail de Rodrigues“. Wir waren dabei.

Wenn man beim Hauptlauf des Trail de Rodrigues, dem „Marathon de l‘Eden“, den höchsten Gipfel der Insel, den 398 Meter hohen Mont Limon, erklommen hat, wird einem diese spezielle Lage erst bewusst. Wohin man auch blickt: Wasser. Eintönig ist das aber keineswegs.

Ganz im Gegenteil: Der Blick auf die riesige Lagune, die Rodrigues umgibt und die mit 300 Quadratkilometern dreimal so groß ist wie die 18 Kilometer lange und 8 Kilometer breite Insel selbst, ist gigantisch. Rund 20 Satelliteninseln befinden sich innerhalb des Korallenriffs, das die Lagune geformt hat. Deren türkisblaues Wasser bildet einen starken Kontrast zum tiefen Blau des Ozeans dahinter. Daneben rücken herrliche Buchten und Sandstrände, versteckt an einsamen Küstenabschnitten, ins Blickfeld.

Rund 1600 Kilometer östlich von der Küste Madagaskars entfernt liegt Rodrigues wahrhaft abgelegen, mitten im Indischen Ozean. Wer hierher will, muss zuerst auf die rund 600 Kilometer entfernte Insel Mauritius fliegen. Von dort sind es noch einmal anderthalb Flugstunden. Knapp 41.000 Einwohner überwiegend afrikanischer Herkunft leben auf dem Eiland. Und ein wenig wirkt es so, als sei die Zeit dort irgendwann im 19. Jahrhundert stehen geblieben. Gemächlich geht das Leben seinen Gang, es gibt kaum Verkehr, überall laufen Ziegen, Rinder und Schweine frei herum.

Outdoor-Enthusiasten kommen auf ihre Kosten

Womit auch schon klar wäre, dass Rodrigues kein Ort für Luxus- und Jet-Set-Touristen ist. Outdoor-Enthusiasten dagegen, die Tauchen, Segeln, Fischen, Fotografieren, Klettern, Kiten, Surfen, Wandern und Vogelbeobachtungen lieben, sind hier genau richtig. Seit 2010 gibt es hier für Trailrunner, die Anfang November vom mitteleuropäischen Grau in Grau die Nase voll haben und für ein paar Tage der westlichen Konsum- und Businessgesellschaft entfliehen wollen, eine wunderbare Veranstaltung: den Trail de Rodrigues.

Auf der durch Vulkaneruptionen entstandenen Insel kommt man zwar über die 398 Meter des Mont Limon nicht hinaus. Die Landschaft ist aber so zerklüftet, dass sie wie gemacht ist für Querfeldeinläufer. Und nachdem es auf der gut 800 Kilometer entfernten „Nachbarinsel“ La Réunion, einem Trailparadies, mit dem Grand Raid bereits seit 1989 eine Pionierveranstaltung in Sachen Trailrunning gibt, und Mauritius seit 2006 Trail-Enthusiasten mit dem Royal Raid auf seine Pfade im wilden Hinterland lockt, lag die Idee nahe, auch auf Rodrigues ein ähnliches Event zu organisieren.

Geburtshelfer von den Nachbarinseln

Spezialisten aus La Réunion und Mauritius waren es dann auch, die im November 2010 die Premiere mit 300 Läufern aus der Taufe hoben. Mittlerweile haben die Einheimischen das Zepter selbst in die Hand genommen. Experten aus La Réunion sind aber immer noch als Berater tätig. Zur administrativen Abwicklung wurde die Rod Trail Association gegründet, die über das Jahr verteilt auch mehrere kleinere Events und Trainingsläufe organisiert. Hauptakteure sind Auréle Anquetil und Arnaud Meunier, beide Manager des „Francois Leguat Giant Tortoise and Cave Reserve“, einem touristischen Highlight mit Riesenschildkröten, Fledermäusen und Tropfsteinhöhlen im Südwesten der Insel. Hier befindet sich auch das Ziel der vier Laufstrecken des Trail de Rodrigues, die in diesem Jahr nun schon zum zehnten Mal an einem Sonntagmorgen Anfang November von verschiedenen Punkten der Insel gestartet wurden.

Über 1000 Teilnehmer

66 Läuferinnen und Läufer machen sich im November 2019 auf den Weg, um Rodrigues auf dem „Marathon de l‘Eden“ (50 Kilometer/2100 Höhenmeter) von Ost nach West zu durchqueren. Später kommen noch 181 Teilnehmer beim „Trail du Solitaire“ (25 Kilometer/1130 Höhenmeter) und 273 beim „Trail Gecko“ (15 Kilometer/465 Höhenmeter, Start ab 12 Jahren) dazu. Mit 706 Anmeldungen lockt der „Trail Tortue“ über 7 Kilometer und 115 Höhenmeter, bei dem bereits Jugendliche ab acht Jahren in Begleitung eines Erwachsenen starten dürfen, die meisten Teilnehmer. Traditionell sind auch einige Laufgruppen der Dunes d’espoir dabei, einem 1999 in Frankreich gegründeten Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, behinderte Jugendliche auf dem Joëlette, einem über 2000 Euro teuren Geländerollstuhl, über die größten und anspruchsvollsten Laufstrecken der Welt zu transportieren. Eine Knochenarbeit, für die mindestens drei und maximal acht Läufer notwendig sind. Für die Handvoll Inselpolizisten ist der Trail de Rodrigues ein Großeinsatz – mehr als tausend Laufenthusiasten aus sieben Ländern sind auf einer Insel wie Rodrigues das Ereignis des Jahres.

Zunächst geht es über welliges Profil an der Küste entlang. Nach 14 Kilometern ändert sich das abrupt: von Meereshöhe klettert der Trail direkt auf den Mont Limon. Auf dem Weg nach oben erwartet einen allerdings keineswegs ein tropisches Urwaldparadies, wie man angesichts der Lage der Insel erwarten könnte: Steppenartig ist das Gelände, knorrige Bäume, trockenes Gestrüpp und Kameldornbüsche dominieren vor allem an der Südostküste. An der Nordwestküste finden sich einige Waldgebiete, vor allem Aufforstungen, und insbesondere rund um die Ortschaften schön angelegte Gärten. Kokospalmen sind, wie auf Mauritius, eher selten. Die karge Landschaft, Ergebnis intensiver Abholzung in früheren Jahrhunderten, hat jedoch auch ihren Reiz. In den wenigen Siedlungen, die durchquert werden, pulsiert das Leben. Federvieh rennt aufgeschreckt durch die Gegend, aus den vollen Kirchen dröhnen inbrünstige Gesänge und hin und wieder bestaunt ein Grüppchen von Dorfschönheiten die vorbeihastenden Athleten.

Nach der Hälfte der Strecke, bei Kilometer 25, geht es fast wieder auf Meereshöhe hinunter, danach auf anspruchsvollen Trails und weiteren über 300 Meter hohen Bergen im ständigen Auf und Ab dem Ziel im Francois Leguat Park entgegen. Am schnellsten kommen dort 2019 der Mauritianer Simon Desvaux und der Franzose Ludovic Pommeret an, die sich in 5:07:43 Stunden den Sieg teilen. Bereits auf dem 10. Gesamtplatz in 5:57:35 Stunden taucht die erste Frau auf: Antoinette Milazar aus Rodrigues holt sich bei ihrer 5. Teilnahme den fünften Sieg.

Der 11. Trail de Rodrigues findet am 8. November 2020 statt: www.trailrodrigues.com

Wie die Insel zu ihrem Namen kam

Zusammen mit dem französischen Übersee-Departement La Réunion und Mauritius gehört Rodrigues zum Archipel der Maskarenen. Namensgeber der Inselgruppe ist der portugiesische Seefahrer Pedro Mascarenhas, der 1512 auf dem Weg nach Indien La Réunion entdeckte. Rodrigues selbst ist nach Diogo Rodrigues benannt, einem Steuermann, der die Insel 1538 mit einer unter dem Befehl Pedro Mascarenhas fahrenden, kleinen portugiesischen Flotte passierte. Übrigens: Arabische Seefahrer hatten Rodrigues schon viel früher entdeckt und „Dina a Robi“ – Dunkle Insel – getauft.

Zwei Jahre im Paradies

1691 kamen die ersten Siedler: Ein Gruppe geflohener Hugenotten aus Frankreich wollte eine protestantische Republik mit dem schönen Namen Eden errichten. Doch das Paradies hatte einen Makel: Es gab keine Frauen. Nach zwei Jahren segelten die Männer wieder von dannen. Eine permanente Besiedlung fand dann erst während der französischen Kolonisierung der Maskarenen ab 1725 statt. 1808 besetzten die Briten Rodrigues und nutzten sie als Basis für die Eroberung von Mauritius. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1968 ist die Insel Teil von Mauritius und somit Mitglied im Commonwealth. 1972 richtete Air Mauritius die erste Flugverbindung nach Rodrigues ein, seit 2002 besitzt die Insel einen autonomen Status mit eigener Regionalversammlung und wird mit Subventionen aus Mauritius unterstützt.

Eine andere Welt

Der 8.500er-Seelen-Ort Port Mathurin ist die einzige stadtähnliche Häuseransammlung auf Rodrigues. Der Rest der 41.000 Einwohner verteilt sich auf viele kleine Dörfer, meist in höher gelegenen Regionen im Inneren der Insel. Von der großen Schwesterinsel Mauritius unterscheidet sich Rodrigues erheblich: Das Klima ist rauer, die Insel viel gebirgiger (auch wenn die Gipfel nicht so hoch sind) und trockener. Es gibt keine Zuckerrohrplantagen, die auf Mauritius 90 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausmachen. Die Bevölkerung ist fast komplett afrikanischen und kreolischen Ursprungs – ein deutlicher Kontrast zum ethnischen Schmelztiegel Mauritius, wo zwei Drittel der Bewohner ihre Wurzeln auf dem indischen Subkontinent haben. Auf Rodrigues ist die Muttersprache der Mehrheit ein „Rodriguais“ genanntes, französisches Kreolisch, die gesamte offizielle Verwaltungsliteratur jedoch ist in englischer Sprache abgefasst – ein Überbleibsel der britischen Kolonialherrschaft. In den Medien wird Französisch geschrieben und gesprochen.

1.200 Riesenlandschildkröten ...

... kannst du im „Francois Leguat Giant Tortoise and Cave Reserve“ bewundern. Früher gab es noch viel größere Schildkrötenpopulationen auf Rodrigues. Im 18. Jahrhundert wurden sie zu Tausenden auf vorbeikommende Schiffe als lebender Proviant verladen. Bald waren die auf Rodrigues heimischen Arten ausgerottet – die heute im Park lebenden Arten stammen von anderen Inseln im Indischen Ozean. Der Park hat es sich zur Aufgabe gemacht, das ehemalige Ökosystem der Insel, das der Mensch in 300 Jahren nahezu komplett zerstört hat, auf einem kleinen Areal zu neuem Leben zu erwecken. Neben den Schildkröten gibt es hier Fledermäuse und Tropfsteinhöhlen zu sehen. Francois Leguat, nach dem der Park benannt ist, war der Anführer einiger Hugenotten, die 1691 auf Rodrigues ihren persönlichen Garten Eden schaffen wollten.