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Einen Gang zurückschalten
Richtig regenerieren: So wichtig sind Pausen

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: iStockphoto

Wer schnell laufen will, muss trainieren und seinen Körper fordern, damit er leistungsfähiger wird. Aber nicht nur. Regeneration ist genauso wichtig! laufen.de-Experte Carsten Eich erklärt, wieso.

Wenn sich ambitionierte Läuferinnen und Läufer austauschen, dann geht es meist um absolvierte, anstrengende Trainingseinheiten oder anstehende Wettkämpfe. Nicht so oft wird über trainingsfreie Tage oder Regenerationswochen gesprochen. Doch das ist schade. Denn die eigentliche Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit findet in der Regeneration statt.

Natürlich sind intensive Trainingsreize wichtig, aber das eigentliche Wunder in unserem Körper findet erst danach statt, wenn wir zur Ruhe kommen. Und wir können diesen Prozess durch unterschiedlichste Maßnahmen positiv beeinflussen – oder eben auch nicht. Grund genug, sich das Thema Regeneration etwas genauer anzuschauen.

Erfolge bei Wettkämpfen entstehen nicht automatisch durch die Aneinanderreihung intensiver Trainingsreize. Das wäre zu einfach. Diese Erfahrung musste ich auch selbst im Jahr 1995 machen. Zwei Jahre zuvor war ich den Halbmarathon in 1:00:34 Stunden gelaufen, was damals Europarekord war. Bis Amanal Petros im Oktober 2021 1:00:09 Stunden lief, war es immer noch deutscher Rekord. 1995 wollte ich dann im kompletten Marathon angreifen.

Nach einer sehr intensiven Marathonvorbereitung mit Gesamtumfängen von bis zu 280 Kilometern pro Woche im mexikanischen Höhentrainingslager war ich allerdings beim anschließenden Wien-Marathon bereits bei Kilometer 25 komplett ausgebrannt und beendete das Rennen vorzeitig. Die Analyse mit meinem langjährigen Trainer verlief für mich nicht befriedigend, sodass ich mich zu einem Trainerwechsel entschloss.

Die Rechnung geht nicht auf

Eigentlich ist Trainerwechsel der falsche Begriff, denn ich beschloss, ab sofort selbst meine Trainingsplanung zu übernehmen. Schließlich kenne ich doch meinen Körper am besten und spüre in jeder einzelnen Einheit, ob mir der Trainingsreiz guttut oder nicht. So wollte ich in Zukunft das Thema Übertraining vermeiden, denn das war der wahrscheinlichste Ansatz für mein Scheitern beim Wien-Marathon. Trainingsmethodisch hatte ich in den ersten Jahren meiner Profikarriere schon eine ganze Menge gelernt, zur Sicherheit wollte ich mich zusätzlich von meinem Leistungsdiagnostiker am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig beraten lassen. So weit der Plan, doch die Realität sah schnell anders aus.

Ich würde mich selbst als recht ehrgeizig bezeichnen, an manchen Stellen war Perfektion gerade gut genug in meinen Augen. Natürlich wollte ich auch in Zukunft wieder Rekorde aufstellen und möglichst viele Siege einfahren. Also entschied ich mich, das Abenteuer Marathon für ein paar Jahre hintenanzustellen. Ich trainierte hart, versuchte möglichst viele Tempoläufe in der Trainingswoche unterzubringen, zwangsläufig sank die Anzahl der Wochenkilometer. Bei der nächsten Leistungsdiagnostik wurde leider kein Fortschritt festgestellt, ganz im Gegenteil. Dabei hatte ich so hart trainiert.

Training und Regeneration wechseln sich am besten ab

In dieser Situation suchte ich Rat bei einem befreundeten Läufer: Axel Krippschock hatte gerade seine Karriere beendet und schließlich hatte er eine Bestzeit über 10.000 Meter von unter 28:00 Minuten – ich noch nicht. Aus langen Gesprächen über Trainingsphilosophien wurde recht schnell eine Athlet-Trainer-Verbindung auf Augenhöhe. Ich war weiterhin für mein tägliches Training selbst verantwortlich, ich hatte nun aber mit Axel Krippschock jemanden, der die Struktur einer Saison im Blick hatte, das wöchentliche Training exakt plante und bei Bedarf eingriff. Doch warum erzähle ich diese Geschichte beim Thema Regeneration? Weil sportlicher Ehrgeiz nicht der einzige Antrieb bei der Erreichung deiner Wettkampfziele sein sollte, denn weniger ist manchmal mehr. Und das wurde mir damals auch bewusst.

Grundsätzlich steht die Regeneration immer im Zusammenhang mit der individuellen Leistungsfähigkeit. Es macht also einen Unterschied, wie oft man pro Woche trainiert. Ich habe früher bis zu zwölf Trainingseinheiten pro Woche abgespult, da gab es Regenerationstage an denen „nur“ zwei lockere Dauerläufe auf dem Programm standen. Anders sieht das natürlich bei Nicht-Profis aus, die nicht jeden Tag trainieren. Ein optimaler Trainingsplan mit vier Einheiten pro Woche sollte beispielsweise so aufgeteilt sein, dass möglichst nach jeder Trainingseinheit ein Regenerationstag folgt, also Training beispielsweise am Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag. Doch auch in Trainingszyklen, also in einer speziellen Wettkampfvorbereitung, sollte es regelmäßig Regenerationswochen geben, in denen die Gesamtbelastung auf circa 50 Prozent der Belastung in den anderen Wochen sinkt.

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Trainieren und sich fordern ist wichtig – sich ausruhen aber auch

Diese langen Regerationsabschnitte helfen sowohl unserem Körper, aber auch unserem Kopf, den Spaß am Laufen nicht zu verlieren. Wir alle kennen das Gefühl am ersten Tag nach dem Urlaub: Es ist in der Zwischenzeit vielleicht das eine oder andere liegengeblieben, aber schnell spürst du die Energie und Motivation, neue Projekte anzugehen. Genauso ist es beim Laufen: Löse dich vom Gedanken, dass dir durch die Regenerationswoche eine Trainingseinheit fehlt. Das Gegenteil ist der Fall. Du bist frischer und kannst die nun anstehenden Einheiten viel besser für deine weitere Leistungsentwicklung nutzen. Wie heißt es so schön: Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht!

Doch was passiert eigentlich in unserem Körper während der Erholung und womit kann ich sie positiv beeinflussen? Bei intensiven Trainingsreizen wie Intervallprogrammen oder Tempodauerläufen werden die zellulären Strukturen in Muskeln, Sehnen, Bändern oder Gelenken angegriffen. Genau darin liegt auch der Sinn eines Trainingsreizes: Dadurch soll sich der Körper in seiner Leistungsfähigkeit den höheren Anforderungen anpassen. Teilbereiche unseres Körpers werden durch Trainingsbelastungen überfordert, je intensiver bzw. länger die Belastungen andauern, umso deutlicher spüren wir diese auch.

Der bekannteste Effekt ist wohl der Muskelkater am nächsten Tag. Dabei regeneriert sich unsere Muskulatur relativ schnell, das liegt vor allem an der guten Durchblutung. Natürlich kann dies durch Zusatzmaßnahmen wie Massagen, heiß-kalte Wechselbäder oder Sauna unterstützt werden. Doch ich kann die Regeneration der Muskulatur schon viel früher anregen und zwar durch das lockere Auslaufen am Ende meines intensiven Tempotrainings. Wer direkt nach der Belastung stehen bleibt, verhindert den Abtransport von Stoffwechselendprodukten aus der Muskulatur. Daher steht auf all‘ meinen Trainingsplänen immer ein bis zwei Kilometer locker auslaufen.

Eiweiß hilft bei regenerativen Prozessen

Etwas länger als bei der Muskulatur dauert die Regeneration bei Sehnen, Bändern und Gelenken. Diese Strukturen brauchen einfach Zeit, um sich zu erholen. Wir können sie aber auch durch eine entzündungshemmende Ernährung unterstützen. Gerade frische Kräuter, aber auch Gewürze können hier wahre Wunder bewirken. Aber auch Eiweiß ist stark an regenerativen Prozessen beteiligt, daher sollte nach hohen Trainingsbelastungen eine proteinreiche Mahlzeit auf deinem Speiseplan stehen. Ein Regenerationsgetränk auf Eiweißbasis oder ein Proteinshake helfen dir dabei, diesen Prozess direkt nach dem Training einzuleiten.

Erst wenn deinem Körper ausreichend Proteine zur Verfügung stehen, solltest du auch mit der gezielten Auffüllung der Glykogenspeicher beginnen. Achte hier vor allem auf Vollkornprodukte. Insgesamt solltest du den Anteil an Gemüse und Salat sowie gesunden Fetten und Proteinen erhöhen. Die Kohlenhydratzufuhr sollte etwas reduziert werden. Aber auch der Schlaf spielt eine wichtige Rolle bei der Erholung. Nicht umsonst zeichnen viele der aktuellen Sportuhren die Qualität deines Schlafs auf. Neben der reinen Schlafdauer messen die Uhren auch die Schlaftiefe und falls gewünscht die kontinuierliche Herzfrequenz.

Wir sollten circa acht Stunden schlafen und zahlreiche Tiefschlafphasen haben, denn genau hier passiert wirklich die Regeneration. In diesem Moment arbeitet auch unser Immunsystem am stärksten, im Schlaf werden die meisten Antikörper gebildet. All das macht den Schlaf und damit die Auswertung der gewonnenen Daten zu einem wirkungsvollen Element der Trainingssteuerung, denn ohne ausreichende Regeneration wird auch das nächste Trainingsprogramm nicht wie vorgesehen funktionieren.

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Ein erhöhter Ruhepuls kann ein Zeichen für Überlastung sein

Ein Warnsignal für fehlende Erholung ist übrigens der Ruhepuls. Am besten messen wir jeden Morgen unseren Ruhepuls direkt vor dem Aufstehen. Am Anfang wird dir der Wert vielleicht noch nicht viel sagen, aber mit der Zeit bekommst du ein Gefühl für deinen persönlichen Wert. Und wenn dieser Wert dann deutlich höher sein sollte als sonst, musst du an Stress, Übertraining oder Infekte als Ursachen denken. Ein erhöhter Ruhepuls ist immer ein Zeichen für eine bevorstehende oder bereits stattfindende Überlastung.

Idealerweise ist die Regeneration bereits in deinem Trainingsplan integriert, sei es durch Tage, an den du kein Lauftraining absolvierst oder regenerative Trainingsläufe im niedrigsten Belastungsbereich. Je intensiver ein Tempoprogramm oder Wettkampf war, desto länger solltest du auf die Signale deines Körpers hören. Er gibt dir meist ein Zeichen, wenn die Erholung funktioniert hat. Und trainingsfrei heißt ja nicht bewegungsfrei, solange diese Bewegung keinen neuen Trainingsreiz darstellt. Aber so wie für den Profi ein regenerativer Dauerlauf bei der Erholung hilft, kann es bei dir vielleicht ein längerer Spaziergang oder eine lockere Schwimmeinheit sein. Alles, was nicht zu sehr anstrengt, ist willkommen.

Eine Saisonpause ist absolut empfehlenswert

Ich bin wirklich ein Fan von planmäßigem Training, aber Trainingspläne erzeugen auch einen gewissen Druck. Wie habe ich früher die Laufpause am Ende der Saison genossen, meist stand die nach einem Herbstmarathon auf dem Programm. Einfach mal ohne Laufschuhe in den Urlaub fliegen, nur die nötigste Bewegung war das Ziel für diese zwei Woche. Schließich war ich rund 350 Tage am Stück gelaufen, meist zwei Einheiten täglich. Ich kann nur jedem Läufer und jeder Läuferin eine Saisonpause empfehlen. Neben der körperlichen Erholung geht es hier vor allem um die mentale Regeneration und ums Abstand Gewinnen. Neue Pläne werden geschmiedet, und die Lust am Laufen kehrt zurück.

Ja, der erste Lauf nach einer derartigen Pause erzeugt Muskelkater. Aber unser Körper erinnert sich ganz schnell wieder an das erarbeitete Trainingsniveau. Und der Start in die neue Grundlagenperiode funktioniert garantiert. Zur Regeneration muss man sich manchmal zwingen und den Mut zur Lücke haben. Aber nur so wirst du dein wahres Leistungsvermögen ausschöpfen und langfristig von Rückschlägen verschont bleiben.

Buchtipp - Carsten Eich: Dein Running-Coach (Kopie)

Ex-Laufprofi Carsten Eich ist unser Trainingsfachmann. Er war über viele Jahre die deutsche Nummer eins auf der Straße. Von 1993 bis 2021 hielt er mit 1:00:34 Stunen den deutschen Rekord im Halbmarathon. Die nationale Bestmarke über zehn Kilometer (27:47 min) ist immer noch in seinem Besitz. Nach seiner Karriere ist er der Laufszene auf vielfältige Weise verbunden. So leitet er die laufen.de-Running Camps auf Mallorca und an der portugiesischen Algarve. In seinem Buch „Dein Running-Coach“ zeigt er mit fundiertem Expertenwissen und wertvollen Ratschlägen, wie die ideale Wettkampfvorbereitung aussieht und mit welchen Übungen du nachhaltig deine Leistungsfähigkeit und Kondition steigerst. Dabei geht er auch auf die richtige Ausrüstung, Regeneration und Ernährung für Läufer ein und präsentiert konkrete Laufübungen und Trainingspläne für verschiedene Ansprüche.

Carsten Eich: Dein Running-Coach. Effektiv trainieren für 10 km und Halbmarathon | Delius Klasing Verlag | 192 Seiten | ISBN: 978-3-667-12369-5 | 24,90 €