Run in Reims: Ein Lauf durch die Geschichte

Run in Reims: Ein Lauf durch die Geschichte

| von Christian Ermert (Text) I Fotos: A.S.O.
Unser Lauftipp für alle, die auch an Kultur und Geschichte interessiert sind: 10 km, Halbmarathon oder Marathon im nordfranzösichen Reims.

Du läufst gern und lernst dabei neue Städte kennen? Dich interessiert auch die Kultur, Geschichte und Lebensart? Dann haben wir einen Tipp für dich: In der nordfranzösische Stadt Reims kannst du immer im Oktober 10 Kilometer, Halbmarathon oder Marathon laufen und die Bedeutung der Stadt für die französische und europäische Geschichte entdecken. Christian Ermert war für laufen.de am vergangenen Wochenende bei der ersten Auflage von „Run in Reims“ am Start.

Die Kathedrale als Dreh- und Angelpunkt

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Bei der Ankunft in Reims wissen wir nicht mal, wie der Name der Stadt französisch korrekt ausgesprochen wird. Der Taxifahrer klärt uns auf. Es klingt ein bisschen wie „Rähns“, das ä geht aber mehr in Richtung e, ein wenig ö scheint auch dabei zu sein. Während das den deutschen Kollegen nach ein paar Versuchen einigermaßen locker über die Lippen kommt, müht sich die Journalistin aus Russland das ganze Marathon-Wochenende mit der richtigen Aussprache ab.

Dafür weiß Anna schon auf der einstündigen Fahrt vom Pariser Flughafen Richtung Nordosten ein bisschen was über die Geschichte von Reims zu erzählen. Zum Beispiel, dass die im 13. Jahrhundert errichtete und zum Unesco-Weltkulturerbe zählende gotische Kathedrale im Ersten Weltkrieg zerstört wurde. Und dass es 20 Jahre dauerte, sie wieder aufzubauen.

Durch die Weinreben der Champagne

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Wir deutschen Laufsport-Journalisten wissen über Reims eigentlich nur, dass dort zuletzt Jahr für Jahr der zweitschnellste Marathon Frankreichs stattfand. Mit respektablen Streckenrekorden von 2:07:53 Stunden bei den Männern und 2:27:38 Stunden bei den Frauen.

Und dass diese Laufveranstaltung mit Marathon-, Halbmarathon- und 10-Kilometer-Rennen auch bei Läufern aus dem Westen Deutschlands immer sehr beliebt war - wegen ihrer schnellen Strecken und der Nähe zu Deutschland. Von Saarbrücken dauert die Fahrt nach Reims zweieinhalb Stunden, von Aachen aus ist man in gut drei Stunden da.

Was die Stadt mitten in der Champagne an Geschichte zu bieten hat und wie groß ihre Bedeutung für die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ist – das lernen wir erst an den drei Tagen des Marathon-Wochenendes.

Hier liegt Reims

Erstmals wurde das Event 2015 nicht mehr von den lokalen Organisatoren auf die Beine gestellt, sondern von der großen französischen Amaury Sports Organisation (A.S.O.), die auch für die Tour de France und den Paris-Marathon verantwortlich ist. Und „Run in Reims“ ist nicht mehr die gleiche Veranstaltung wie der Reims-Marathon in den Jahren zuvor.

Statt auf Tempo und Spitzenläufer setzt man jetzt auf die Verbindung von Genuss, Kultur und Laufen. Der Marathon bleibt nicht mehr auf einer flachen Strecke in der Stadt, sondern führt die Läufer in die Hügel der Champagne, wo rund um Reims die Trauben wachsen, aus denen eins der berühmtesten Getränke der Welt wird: Champagner. In Reims dreht sich fast alles darum, sogar die Fronten der Straßenbahnen sind geformt wie Champagnergläser.

Ein Blick in die Champagner-Keller

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In der Erde unter Reims liegen die Keller, in denen aus Weißwein in einem jahrelangen Reifeprozess prickelnder Luxus in Flaschen wird. Pommery, Taittinger, Mumm oder Veuve Clicquot – die großen Champagner-Häuser haben ihren Sitz in Reims und stellen hier ihre Produkte nach der traditionellen Methode her. Dabei werden Weine der Sorten Pinot Noir (Spätburgunder), Pinot Meunier (Müllerrebe) und Chardonnay so gemischt, dass jedes Jahr der individuelle, markentypische Geschmack entsteht.

Wein-Neulinge werden sich jetzt wundern, wie aus roten Rebsorten wie Spätburgunder heller Wein entstehen kann, der dann später zu goldgelbem Champagner veredelt wird? Das Geheimnis besteht darin, beim Pressen der Trauben die Schalen zu entfernen. Dort sitzen die Farbstoffe, die den Saft und später den Wein rot färben.

Das alles kann man sich in Reims wunderbar bei einer Führung durch eins der großen Champagnerhäuser erklären lassen. In bis zu 25 Meter tiefen Kellern reift der edle Stoff in Flaschen. Wir besuchen am Tag vor dem Marathon die Kellerei Castelnau. Unser Guide Louis-Charles erklärt uns dabei nicht nur, wie sich der Wein durch eine zweite Gärung in der Flasche in Champagner verwandelt, sondern auch, wie die Marke zu ihrem Namen gekommen ist.

Sein Champagner ist nach einem französischen General benannt. Édouard de Castelnau kommandierte bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges die zweite französische Armee in Nancy. Ihm wird in Frankreich zugeschrieben, dass die keine 150 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt gelegene Großstadt nicht von deutschen Truppen erobert wurde. Damals wurde Castelnau in Frankreich wie ein Nationalheld verehrt.

Mit der Geschichte des Generals sind wir dann auch mitten in dem Thema, das uns das ganze Marathon-Wochenende begleitet. Denn dort, wo heute Tausende aus Frankreich, Belgien, den USA, Großbritannien und Deutschland friedlich zusammen laufen, starben vor hundert Jahren abertausende junge Männer aus genau diesen Ländern in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges. Die Front des Stellungskrieges verlief nur wenige Kilometer östlich von Reims. Die Stadt wurde im September 1914 kurzzeitig von deutschen Truppen eingenommen wurde, bevor sie wieder von den Franzosen zurückerobert wurde.

Danach nahm die deutsche Artillerie die Kathedrale unter Beschuss, die in Brand geriet und schwer zerstört wurde. „Aus den gotischen Wasserspeiern unter dem Dach floss Blei“, erzählt unser Fremdenführer David von jenem furchtbaren 19. September 1914, als 25 Granaten in die Kathedrale einschlugen. Die Hitze des Feuers war so groß, dass das Bleidach der Kirche schmolz.

Ein lächelnder Engel als Symbol für den Wiederaufbau

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Daran erinnert heute der lächelnde Engel, eine Skulptur am Haupteingang der Kathedrale, der heute als Symbol für den Optimismus der Einwohner von Reims und den Wiederaufbau steht. Die Kathedrale wurde in den 20 Jahren zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut – auch mit der finanziellen Unterstützung der US-amerikanischen Milliardärs-Familie Rockefeller.

Ihre beiden Türme ohne Spitze bieten die Kulisse für den Start von „Run in Reims“. Als sich um acht Uhr die Halbmarathon- und Marathonläufer aufstellen, ist es noch empfindlich kühl, aber zum Laufen sind die Temperaturen ideal. 12.000 Läufer sind bei der ersten Auflage insgesamt am Start. 7500 von ihnen laufen zehn Kilometer, 3500 Halbmarathon und 1100 Marathon. Dazu kommen noch 1700 Kinder und Jugendliche beim Stafellauf. Bis 2010 will A.S.O. die Teilnehmerzahlen auf 20.000 steigern.

Schnelle Afrikaner sind in Reims nur auf der Halbmarathon-Distanz am Start. Der Sieg geht an Seboka Bira aus Äthiopien in 1:01:12 Stunden, schnellste Frau ist Perendis Lekapana aus Kenia in 1:11:03 Stunden. „Die zehn Kilometer sind City-Sightseeing, beim Halbmarathon bieten wir eine Strecke für die Bestzeitenjagd an und auf der Marathon-Distanz erleben die Läufer Reims und die Champagne in ihrer vollen Schönheit“, sagt Edouard Cassignol, der bei A.S.O. für die Lauf-Events verantwortlich ist.

Die Streckenführung bestätigt ihn. Die ersten sieben Kilometer sind auch beim Marathon Sightseeing pur in Reims. Bei Kilometer zwei werden die Kathedrale und das Museum „Palais du Tau“ passiert, in dem die Jahrhunderte alten Kunstwerke aus der Kirche präsentiert werden. Beide Gebäude gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Noch älter als die Kathedrale ist die Basilika Saint Remi, die wir nach sechs Kilometern erreichen. Mit deren Bau wurde bereits im 11. Jahrhundert begonnen, um einen Aufbewahrungsort für die Reliquien des heiligen Remigius zu schaffen.

Von der Bedeutung dieses Heiligen für ganz Frankreich hatte uns bereits am Freitagnachmittag Stadtführer Charles erzählt. Als Bischof von Reims taufte er im Jahr 496 den Frankenfürst Chlodwig, womit die Christianisierung Frankreichs begann. Und um diese Taufe rankt sich eine Legende, die Reims für Jahrhunderte zu einer der bedeutendste Städte Frankreichs machte. Bei unserem Stadtführer klingt sie so: „Als Chlodwig schon im Taufbecken saß und der Bischof ihn mit heiligem Öl salben wollte, standen so viele Menschen dichtgedrängt um sie herum, dass der Mann, der das Öl bringen sollte, nicht durchkam. In diesem Moment flog eine Taube herbei, schnappte sich das Ölkännchen mit dem Schnabel und brachte es dem Bischof.“

Seit diesem kleinen Wunder wurden über Jahrhunderte alle französischen Könige in Reims gekrönt und der Legende nach mit eben jenem Öl gesalbt, das die Taube zu Remigius brachte. Ein Symbol für die Gnade Gottes, unter der Frankreichs Könige regieren sollten. Heute wird dieses Öl als Reliquie im Museum „Palais du Tau“ neben der Kathedrale aufbewahrt.

Eine Landschaft als Herbsttraum

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Die Basilika ist das letzte große Monument, das die Marathonläufer passieren, bevor sie die Stadt verlassen und sich die Szenerie komplett ändert. Dörfer, Winzerhöfe und immer wieder die Hügel mit den Weinstöcken, die sich jetzt im Oktober von grün in gelb und rot verfärben. Im herbstlichen Frühnebel erscheint die Landschaft wie ein impressionistisches Gemälde.

Ob man nicht daran denke, an den Verpflegungsstellen Champagner anzubieten - ähnlich wie beim Medoc-Marathon in der Nähe von Bordeaux, wo auf der Strecke der berühmte Rotwein an die Marathonläufer ausgeschenkt wird. Das fragen wir Edouard Cassignol von der A.S.O. „Daran gedacht haben wir natürlich“, antwortet der, „aber wir halten es für sinnvoller, Laufen und Champagner-Trinken zu trennen.“

Nach der ersten Auflage von „Run In Reims“ gibt es Überlegungen, die Rennen auf Samstag zu verlegen, sodass die Läufer die Möglichkeit haben, den Abend mit gutem Essen und Champagner zu genießen. „Dann haben unsere Gäste auch noch den ganzen Sonntag zum ausgiebigen Relaxen und Bummeln“, sagt er.

Am vergangenen Wochenende haben wir dafür den Samstag genutzt und entdeckt, welche Rolle Reims in den französisch deutschen Beziehungen spielt. In einem Klassenzimmer der heutigen Franklin Roosevelt-Schule unterzeichnete am 7. Mai 1945 Generaloberst Alfred Jodl die Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Damit war der zweite Weltkrieg zu Ende.

Und vor der Kathedrale liegt ein Gedenkstein, der an den 8. Juli 1962 erinnert. Damals besuchten Frankreichs Präsident Charles de Gaulles und der deutsche Kanzler Konrad Adenauer Reims und besiegelten in der Kathedrale die deutsch-französische Versöhnung. 2012 wiederholten Angela Merkel und François Hollande das Treffen und feierten 50 Jahre Versöhnung. Genug Gründe also, die richtige Aussprache von Reims zu lernen und mal zum Laufen in die 200.000-Einwohnerstadt zu kommen.

Alle Infos zum Run in Reims findest du hier: runinreims.com