Veni, Vidi, Vici – Der Limes Run im Selbstversuch

Veni, Vidi, Vici – Der Limes Run im Selbstversuch

| Sandra Mastropietro
Der Körper friert, der Puls rast - doch im Gesicht zeichnet sich ein Lächeln: Beim beinharten Limes Run ging Sandra Mastropietro an ihre Grenzen.

Der Körper friert, der Puls rast - doch im Gesicht zeichnet sich ein breites Lächeln ab: Beim beinharten Hindernislauf Limes Run ging Sandra Mastropietro an ihre Grenzen. Ein lesenswerter Selbstversuch mit vielen Fotos von Sandra  - samt gekonnter Schwimmeinlagen.

„Der Sport ist ein sehr vernünftiger Versuch des modernen Zivilisationsmenschen, sich Strapazen künstlich zu verschaffen.“ (Peter Bamm)

Seit gut eineinhalb Jahren lassen mich die in sozialen Netzwerken stetig zunehmenden Matsch- und Schlamm Posts, à la Spartan Race und Co., schmunzeln. Eine Möglichkeit das zu tun, was man als Kind vielleicht nicht durfte; sich richtig schmutzig machen? Ein Hype, weil immer alles zum Extremen getragen wird? Eine ausgefallene Sparte der Fitnessbewegung in unserer westlichen Welt? Was auch immer es ist, ich verfolge es mit wachsendem Interesse und einem breiten Grinsen, wiege mich aber in Gewissheit, selbst nie an einem solchen „Obstacle Race“ teilzunehmen.
Doch was ist schon gewiss? Vor etwa einem halben Jahr klingelte mein Handy, am anderen Ende Trainerkollege Alex Rossbach mit der Anfrage, ob ich nicht Lust hätte, in einem Charity-Team beim Limes Run zu starten. Mit für mich selbst überraschender Begeisterung sage ich sofort zu – schließlich war es für einen guten Zweck!

Ein halbes Jahr später, kurz vor 11 Uhr am 18. Oktober 2015 in Bad Gögging: Organisator Joachim von Hippel, auch genannt Masterchief, tritt vor die Meute der im Startblock mit den Füßen scharrenden „Legionäre“. Auch ich befinde mich in dieser Meute, die nur zu 16 Prozent aus Frauen besteht. Meine Wangen sind mit Tarnfarbe bemalt. Die Stimmung ist grandios. Teamspirit, Freundschaft mit Unbekannten, Vorfreude. Ganz viel Wärme trotz eisiger acht Grad Celsius an diesem trüben Oktobermorgen. Der Masterchief nimmt das Mikro, die Legionäre gehen auf die Knie. Von Hippel verliest ein Gelöbnis, ruft darin zu Hilfsbereitschaft und Teamgeist auf, zu Spaß und Durchhaltevermögen. Am Ende rufen wir alle den Schlachtruf:„Veni, Vidi, Vici“ ("Ich kam, ich sah, ich siegte") – Gänsehautfeeling!

Hinein in den eiskalten See

Dann ertönt auch schon der Startschuss. Unter lautem Jubel und dem Krachen von Böllern werden wir auf die 24 Kilometer lange und sehr hindernisreiche Strecke geschickt. Das erste „Obstacle“, der Monarch-Hill, den wir etliche Male hoch und runter geschickt werden, macht Spaß, treibt aber auch den Puls nach oben. Nach einer kurzen Laufstrecke kriechen wir unter einem Netz hindurch, witzeln darüber und bewegen uns voller Erwartungen fort. Die Strecke führt uns zu einem See. Die Wasserwacht und viele Zuschauer säumen das Ufer, rufen uns tapferen Legionären Mut zu. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, was ich als Nächstes tun werde, renne geradewegs in den eiskalten See hinein.

Mein Körper schreit, zieht sich zusammen, krampft. Meine Atmung wird schnell und unkontrolliert. „Ich muss mich bewegen“, schießt es mir durch den Kopf. So versuche ich den immer enger werdenden Brustkorb durch Schwimmzüge auf der Stelle zu weiten. Es klappt. Unter lautem Fluchen durchquere ich den See, klettere am anderen Ende heraus, um direkt in einem Moorloch zu landen. „Du musst dich schneller durchbewegen, sonst sackst du zu sehr ein!“, ruft mein Teamkollege Alex. Die Fortbewegung fällt mir schwer. Das Moor stinkt, ist aber warm, sodass der Gedanken das Versinken schon fast attraktiv erscheint. Eine kräftige Männerhand packt die meinige und zieht mich in einem Schwung heraus. Keine Zeit zum Durchatmen. Wieder muss ich schwimmen, wieder im eiskalten Wasser. Mein Körper reagiert mit Resignation.

Auf zum „3 Dive“, dem nächsten Hindernis. Was sich dahinter verbirgt, weiß ich noch nicht, viel Zeit zum Nachdenken bleibt auf dem knappen Kilometer zwischen der letzten und nächsten Hürde sowieso nicht. Vielmehr bin ich damit beschäftigt, das plötzliche Gewicht meines nassen Körpers einigermaßen schnell fortzubewegen, um warm zu werden. Wieder hinein ins kühle Nass. Drei bunte Boote wiegen sich erhaben auf der Wasseroberfläche. „Drüberklettern?“, frage ich unsicher einen Mann neben mir, wenngleich ich die Antwort kenne. „Nö, drunter durchtauchen. Klettern kommt später!“, antwortet er unglaublich gelassen. Kaum hat er seinen Satz beendet, taucht er ab.

„Also gut, let’s do this!“ sage ich laut zu mir selbst, versuche Kopf und Körper zu überzeugen. Drei kältegeschuldeten Gehirnfrostattacken später habe ich den „3 Dive“ besiegt und wate mit geschwollener Brust aber gesenktem Kopf in den Polarnebel unter der Brücke. Orientierungslos taste ich mich zum Ufer und renne geradewegs auf zwei Feuerstellen zu, springe möglichst elegant darüber und bezwinge einen endlos scheinenden Reifenstapel.

Zuerst ist der Baumstamm stärker als ich

Keine Zeit zum Trocknen, hinein ins nächste Nass. Im Wasser treiben drei Holzstämme, über die es zu klettern gilt. Intuitiv hebe ich zuerst mein Bein aus dem hüfthohen Gewässer und schmeiße es über den Stamm, um mich drüber zu stemmen. In erschreckender Geschwindigkeit dreht sich der Baum unter meinem Gewicht und befördert mich zurück in die Kälte des Flusses. Nächster Versuch, diesmal mit dem Oberkörper zuerst und dann mit den Armen nach vorne rudernd. Klappt. Noch zweimal. Geschafft! Wieder das steile Ufer hochkraxeln…

Nochmals ins Wasser, dann rein in den Schlamm; genannt Mudder Creep. Meine Füße gewinnen an Gewicht, was ich an Kraft verliere. Die Gleichung gefällt mir nicht, wird aber durch die einmalige Stimmung auf der Strecke relativiert. Jeder hilft jedem, wir alle kämpfen gegen die Hindernisse des Masterchiefs mit dem Ziel als Ziel! Die Verpflegungsstation glänzt mit Kuchen, Riegeln, Wasser und Red Bull. Hastig stopfe ich hinein, was ich kriegen kann und rutsche sogleich wieder in den eisigen Fluss. Gleich ist die Hälfte geschafft!

Die Laufstrecke zum historischen Abusina Castle trocknet die Kleidung und wärmt die Muskeln, das tut nicht nur gut, sondern macht auch Spaß. Nur ein ca. 20 Meter langes, dunkles Abflussrohr hält den Lauftrott auf. Während wir uns hindurchtasten witzeln wir. Versuchen das, was wir hier machen, mit Humor zunehmen. Niemand stellt die Frage nach dem Warum. „Wenn du mit deinem Gesicht in etwas Weiches stößt, ist es mein Hintern“, warnt mich der Legionär vor mir. Das ganze Rohr lacht. „Rosige Aussichten“ erwidere ich, ebenso lachend.

Der Weg führt uns über einen großen Schutthaufen wieder hinein ins Wasser und zum Wendepunkt. Nach dem Berg zum Castle ruft mir die Streckenleitung an der Verpflegungsstation zu, dass ich die zweite Frau sei. Das verwundert mich so sehr, dass ich mich beinahe am Kuchen verschlucke. Vor meinem geistigen Auge erscheint die Schlagzeile „Legionärin überlebt halben Limes Run und erstickt dann am Kuchen!“

Helfen und helfen lassen

„Los, gib Gas Mädel“, reißt mich Dirks Stimme aus meinen Gedanken. Gemeinsam treten wir den Rückweg an, kämpfen uns durch Wasser, Dickicht, Matsch, rollende Baumstämme im Wasser und Reifen; klatschen alle Legionäre, die uns entgegenkommen, mit einem High-Five ab. Motivieren, werden motiviert, nehmen uns Zeit für Selfies auf der Strecke. Ich bin plötzlich „on Fire“. Springe wagemutig ins kalte Wasser, lasse mir helfen und helfe. Werde aus dem Wasser gezogen und ziehe aus dem Wasser. Habe Spaß. Die Zuschauer, an denen ich vorbei komme feiern mich als zweite Frau.

Wieder hinein ins Wasser, das inzwischen gar nicht mehr so kalt erscheint. Hinein in das Moor, zurück ins Wasser. Unter dem Netz hindurch. Ab zum Monarch Hill. Hoch, runter, hoch. Konzentrieren, die ermüdeten Knochen nicht falsch setzen. Noch anderthalb Kilometer bis zum Ziel. Dirk will mich wegschicken, sagt ich könne schneller als er. Doch das wäre gegen das Legionärsgebot. Gemeinsam traben wir, feiern wir uns. Wissen, dass wir es geschafft haben.

Das Ziel! Ja, ja, ja!!!! Ein unglaubliches Gefühl, unglaubliche Mitstreiter, unglaubliches Publikum, unglaubliche Helfer und Rettungskräfte. Alles perfekt. Auch die Erschöpfung. Demütig senke ich mein Haupt und nehme die Finisher-Medaille entgegen, umarme Dirk. Nehme Gratulationen als zweite Frau entgegen. Nach einer warmen Dusche und einem deftigen Mahl kehre ich zum Monarch Hotel zurück, wo die Siegerehrung und Aftershow Party stattfindet.

Das Finish ist wichtiger als der Platz!

Ich treffe Dirk wieder, meinen Teamkollegen Alex und viele andere bekannte Gesichter. „Sandra, hast du schon mal auf die Ergebnisliste geschaut…?“, fragt Dirk irgendwie bedrückt und ergänzt:„…ich habe doch gesagt du sollst zum Schluss nochmal Gas geben!“ Verwundert begleite ich ihn zum Aushang. Aus der zweiten Frau ist die dritte Frau geworden, denn jemand aus einer späteren Startwelle war netto 30 Sekunden schneller als ich. „So what!“, sage ich „Ich habe vor dem Lauf das Legionärsgelöbnis geschworen, darin habe ich Teamgeist versprochen, und so wir haben gemeinsam gefinished!“

Eine Umarmung und ein „UUUrrrraaaa“ später bin ich auch auf den dritten Platz bei meinem ersten Obstacle Race unglaublich stolz. Danke meinem Körper, danke der perfekten Ausstattung meines Partners Asics. Am nächsten Tag bin ich nicht nur um einige blaue Flecken und Erfahrungen reicher, sondern auch um einen dicken Muskelkater sowie ganz viele Glückshormone und Stolz. Der Limes Run war ein wunderbares Erlebnis und ein Paradebeispiel für Zusammenhalt und Verbindung durch Sport. Danke Bad Gögging, danke PAS Team und danke Masterchief, ich freue mich schon jetzt aufs nächste Jahr!

Der Limes Run 2015: Zahlen, Daten, Fakten

Starter: 609, davon 65 Frauen. Alle Ergebnisse gibt's hier
Finisher: 600
Streckenlänge: 24 km
Hindernisse: 31
Zeitlimit: 5 Stunden
Einsatzkräfte: 50 Sanitäter, 90 Mitarbeiter des DLGR und der Wasserwach
Wassertemperatur: 8 Grad
Ausgetragen seit: 2013
Veranstalter: PAS Team
Charity: Gemeinsam mit der TV Morderatorin Milka Loff Fernandes, welche zum Zeitpunkt des Laufes leider krank war, haben Alex und ich für das Epilepsie Zentrum AUF ZACK im Rahmen des Laufs Spenden gesammelt. Milka ist selbst Epilepsiepatientin