60 Kilo abgenommen
Wie Florian Jung mit Laufen sein Gewicht fast halbierte

| Text: Anja Herrlitz | Fotos: privat

120 Kilo, 1,74 Meter. Das waren lange Florian Jungs Daten. Bis zu einem Australien-Urlaub 2016, in dem es „Klick“ machte. Florian Jung ging laufen, nahm ab und tauchte in eine ganz neue Welt ein.

Wenn man Florian Jung heute trifft, begegnet man nur einen halben Florian. Noch vor sechs Jahren war er nämlich fast das Doppelte von heute. Was das Gewicht angeht. Sonst ist er natürlich auch heute noch ganz der Alte.

120 Kilo wog er damals – bei einer Größe von 1,74 Metern. „Wir waren keine Sportlerfamilie. Gegessen wurde deftig, Süßigkeiten waren eigentlich immer da“, erklärt Florian Jung, wie es dazu kam. „Im Alter zwischen 12 und 14 habe ich mich gefühlt fast ausschließlich vor dem PC von Süßigkeiten ernährt.“ Und so wurden die Kilos immer mehr und mehr.

Irgendwann passte der heute 32-Jährige in einigen Läden selbst in die größten Größen nicht mehr rein. Glücklich war er mit der Situation nicht. Er fühlte sich unattraktiv. Im  Schwimmbad schämte er sich und traute sich nicht, sich auszuziehen. „Aber ich habe mich der Situation irgendwann ergeben und dachte, ich komme da sowieso nicht raus. Ich hatte innerlich aufgegeben.“

Erst als er 2016 für knapp zwei Monate mit dem Auto in Australien unterwegs ist, ändert sich etwas. Weit weg von daheim und seinem Alltag fängt er an, über sich und sein Leben nachzudenken. Und merkt, dass er etwas ändern muss. Der Urlaub gibt ihm so viel positive Energie, die er daheim gleich nutzt, um seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Er meldet sich im Fitnessstudio an, geht zu einer Laufschuhberatung, kauft sich gute Laufschuhe und besorgt sich Sportklamotten.

Und dann? Macht es erst einmal gar keinen Spaß. Sich mit 120 Kilo auf dem Laufband zu quälen, ist kein Zuckerschlecken. „Nach 30 Sekunden war ich eigentlich immer schon völlig fertig“, blickt er zurück. Aber Florian Jung ist ein zielstrebiger Mensch, der nicht so schnell aufgibt, wenn er sich etwas vorgenommen hat. Abwechselnd gehend und laufend ist er 30 Minuten auf dem Laufband unterwegs. Daneben macht er noch Krafttraining.

Der Anfang ist schwer. Die Unterstützung fehlt

Die Reaktionen der Menschen um ihn herum sind erst einmal verhalten bis negativ. Im Fitnessstudio muss er sich Sprüche anhören. Bis hin zu: Geh mal weg du dicke Sau, du blockierst hier die Geräte und hältst doch eh keine drei Monate durch. Auch seine Familie glaubt am Anfang, dass er bald wieder aufgeben wird.

Aber diesen Gefallen tut ihnen Florian Jung nicht. Auch wenn es am Anfang erst einmal frustrierend ist, weil sich so gar nichts ändert an ihm. Aber nach fünf bis sechs Wochen dann die Wende: Das Gewicht sinkt auf einmal rapide. Innerhalb von zwei Wochen sind plötzlich fünf Kilo weg. Und dann noch einmal. Das gibt ihm einen unglaublichen Motivationsschub.

Nach vier Monaten unter 100 Kilo

Neben dem Sport bastelt er auch an seiner Ernährung. Intuitiv ändert er nicht von einem Tag auf den anderen alles, sondern tastet sich langsam voran. Zuerst reduziert er die Mengen, die er isst. Dann fängt er an, Ungesundes gegen Gesundes einzutauschen. Obst statt Bonbons zum Beispiel. Er fuchst sich in das Thema rein, um sich bewusst zu machen, wie viel er zu sich nimmt und wie viel er gleichzeitig verbraucht. Das ist anstrengend. Aber: „Ich hatte einfach den Antrieb und die Lust. Dass ich so dahinterstand, ist wohl auch der Grund, weshalb ich mich immer weiterentwickelt habe und jetzt dort stehe, wo ich stehe.“

Bei allem, was er macht, geht er stets nach Gefühl vor. Er setzt sich immer wieder kleine, erreichbare Ziele: Die nächsten fünf Kilo, die er verlieren will. 20 Minuten am Stück laufen. So hat er immer wieder Erfolgserlebnisse, bleibt motiviert und am Ball. Ziemlich genau vier Monate nachdem er angefangen hat zu trainieren, knackt er die 100-Kilo-Marke. Ein Meilenstein!

Während Laufen für ihn am Anfang nur Mittel zum Zweck ist, um abzunehmen, ändert sich das mit der Zeit. Laufen wird immer mehr zum Zweck an sich. „Am Anfang habe ich Laufen nicht mit Spaß verbunden, sondern mit Fett verbrennen“, erzählt der Werkzeugmechaniker aus Neuwied.

Mit Baumwoll-Hosen zum Hindernislauf

Als er zum ersten Mal fünf Kilometer auf dem Laufband schafft, macht das etwas mit ihm. „Ich war einfach stolz, dass ich das geschafft habe. Auch wenn ich 40 Minuten dafür gebraucht habe.“ Er läuft weiter. Er verliert immer mehr Pfunde. Bezahlt aber auch dafür. „Ich habe natürlich auch viele Fehler gemacht, weil ich keine Beratung hatte. Meine Knie und Achillessehnen waren dauernd gereizt, ich hatte Verletzungen. Mein Körper war ja nichts gewöhnt. Zum Glück habe ich mich wenigstens bei den Laufschuhen beraten lassen.“

Als er die 80-Kilo-Marke erreicht, findet in seiner Nähe ein Xletix-Hindernislauf statt. Und Florian Jung meldet sich mit seinem Bruder Sören einfach spontan an. Mitteldistanz. 17 Kilometer und 35 Hindernisse. Rückblickend lacht er darüber, mit welcher Unbedarftheit sie sich mit ihren Baumwoll-Hosen und -Pullis an den Start stellten. Und sich danach durch Wassergräben, Eis und Sturm schlugen. „Der Lauf hat uns so knallhart überfordert. Aber im Ziel haben wir uns angeschaut und waren einfach nur glücklich.“

2018 der erste Halbmarathon und Marathon

Nur sechs Wochen später stehen sie erneut an einer Startlinie und machen in den folgenden eineinhalb Jahren mehrere Hindernisläufe in Deutschland, den Niederlanden und Spanien. 2018 läuft er in Koblenz seinen ersten Halbmarathon. Nach rund 2:15 Stunden erreicht er völlig erschöpft und zerstört das Ziel. „Und trotzdem hat es mir so viel Spaß gemacht. Die Zuschauer, das Anfeuern. Die Atmosphäre hat Gänsehaut erzeugt. Es war so toll, einfach magisch.“

Als sich im gleichen Jahr seine Freundin von ihm trennt, meldet er sich spontan für den Köln-Marathon im Herbst an. „Verdrängung war das wahrscheinlich“, sagt er. „Weshalb auch immer, bin ich in der Vorbereitung jede Woche einmal 20 Kilometer gelaufen, aber nie länger. Irgendwie dachte ich, das reicht“, erzählt er kopfschüttelnd. Die Folge: In Köln wird es nach 25 Kilometern unfassbar hart. Hungerast, Krämpfe, kurz: eine Qual. Und trotzdem kämpft er sich durch und läuft am Dom mit einem Freudenschrei ins Ziel. Das Foto, das sein Bruder dort von ihm gemacht hat, ist heute noch seine Motivation, wenn er mal keine Lust aufs Training hat. „Ein Blick auf das Bild und alle Emotionen sind sofort wieder da!“

„Ich bin jetzt ein komplett anderer Mensch. Das Laufen hat mir Seelenheil gebracht.“

Florian Jung

Florian Jung taucht in eine neue Welt ein

Florian Jung ist vom Lauffieber gepackt. Aber erst, als er einmal zufällig die Zeitschrift LÄUFT. entdeckt und mitnimmt, merkt er, dass es eine richtige Laufwelt gibt. Bislang hatte er immer genau einen Laufschuh: den Brooks Ghost, von dem er sich jedes Jahr das neueste Modell kauft. Über Trainingsplanung hat er sich nicht viele Gedanken gemacht. Regeneration? Jetzt blättert er das Magazin durch und sieht, dass es da noch so viel mehr gibt: unterschiedliche Laufschuhe, Verletzungsprophylaxe, Lauftechnik. „Alles, was in dem Heft stand, hat mich so weggeblasen“, erzählt er.

Zu ihrem 30. Geburtstag melden sich Florian Jung und sein Zwillingsbruder für das Laufcamp von Carsten Eich und laufen.de auf Mallorca an. „Das hat mir die Augen geöffnet. Ich habe Leute getroffen, die das Laufen auch so lieben wie ich. Wir haben so viel Input bekommen. Diese Woche war magisch und hat uns so beflügelt.“

Mittlerweile ist Florian Jung an einem Punkt angekommen, wo es ihm beim Laufen schon lange nicht mehr darum geht, Gewicht zu verlieren. 63 Kilo wiegt er mittlerweile und hat damit sein Ausgangsgewicht fast halbiert. Er hat nicht nur seine Ernährung optimiert und kocht jetzt immer frisch. Wenn er jetzt mal zwei Tage nicht laufen war, merkt er, dass ihm etwas fehlt. Zu Pausen muss er sich regelrecht zwingen.

Viele Kilometer gemeinsam mit dem Zwillingsbruder

Und die Corona-Pandemie hat auch noch einmal etwas verändert. Während er vorher noch hauptsächlich im Fitnessstudio auf dem Laufband unterwegs war, verlegt er sein Training mit geschlossenen oder eingeschränkt geöffneten Fitnessstudios immer mehr nach draußen. „Ich habe immer mehr neue Laufstrecken erkundet, das hat richtig Spaß gemacht.“ Und es motiviert ihn, länger zu laufen. Auch mal im Wald, was er vorher nie gemacht hat. Oder über Trails. Es eröffnet ihm eine ganz neue Laufwelt.

Und aus Mangel an Alternativen läuft er auch immer mehr. Waren es vor Corona 40 bis 50 Wochenkilometer, läuft er heute an vier bis fünf Tagen pro Woche bis zu 110 Kilometer. Unter 20 Kilometern bleibt er bei seinen Läufen kaum. Mit ihm unterwegs ist oft sein Bruder. Freitagabends steht der „Wochenendlauf“ an: 20 Kilometer volle Kanne. Und sonntags punkt acht Uhr brechen die beiden zu ihrem Longrun auf: 30 Kilometer. Wenn sie sich gut fühlen auch 35. Oder mal spontan einen Marathon.

An einen Punkt, an dem er am liebsten alles hingeschmissen und sich wieder mit Süßigkeiten vor den PC gesetzt hätte, ist Florian Jung nie gekommen. Mit seinen Zielen vor Augen fiel es ihm nicht schwer, auch mal Durststrecken zu überstehen, wenn die Motivation sank oder die Kilos nicht mehr purzelten.

Noch viele Lauf-Ziele

Heute bereut er eigentlich nur, nicht schon früher mit dem Laufen begonnen zu haben. „Ich bin jetzt ein komplett anderer Mensch. Ich denke ganz anders, habe eine andere Motivation, ich fühle mich besser.“ Während ihm beim Treppensteigen noch vor sechs Jahren alles wehtat, springt er heute die Stufen förmlich nach oben. „Ich bin wacher und freundlicher. Ich bin viel zufriedener mit mir selbst. Das Laufen hat mir Seelenheil gebracht. Die psychischen Effekte sind enorm.“

Er hat noch viele Pläne. Über die Zugspitze will er laufen. Er will herausfinden, ob Ultraläufe etwas für ihn sind. Und auch wenn er bei Marathons und Halbmarathons eigentlich am liebsten die Atmosphäre genießt und nicht auf Zeit läuft, will er vielleicht doch mal ein schnelles Rennen angehen und schauen, was geht. 1:20 Stunden im Halbmarathon und 3:00 bis 3:15 Stunden im Ganzen könnte er sich vorstellen.

Und während ihm zu Beginn die wenigsten zugetraut hätten, dass er überhaupt länger als zwei Wochen durchhält, zollen sie ihm heute Respekt und Anerkennung. Mit seinem Gewicht ist Florian Jung längst zufrieden – mit dem Laufen wird er deshalb aber auf keinen Fall aufhören. Dafür hat er es viel zu sehr lieben gelernt. Und auch die Menschen, die ihm dabei begegnet sind und deren positive Energie.

Vor allem sein Bruder war ihm eine große Unterstützung. Zusammen sind sie gelaufen, zusammen haben sie gelitten und zusammen haben sie Ziele erreicht. Heute versucht Florian Jung deshalb, diese Energie an andere weiterzugeben und sie zu motivieren. Jeder könne schaffen, was er auch geschafft hat. „Laufen ist für mich Freiheit. Ich ziehe Schuhe an, schalte ab und den Kopf aus. Dann findet mal keine Pandemie statt, ich denke nicht an die Arbeit, habe keinen Stress. Dann heißt es: Fliegen, Kopf aus. Runners High spüren und daheim einfach glücklich sein.“ Eine schöne Beschreibung des Laufens!