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Hilfe bei vielen Problemen
Wie Laufen bei Krankheiten helfen kann

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: iStockphoto/Vlad Dmytrenko, Nikuwka, Pheelings Media

Laufen hilft dabei, gesund zu bleiben und zu werden. Während früher bei vielen Krankheiten strikte Schonung empfohlen wurde, ist heute dosierter Ausdauersport zum Baustein der Behandlung geworden.

Gesund sein und bleiben – daraus beziehen wir einen Großteil unserer Motivation fürs Laufen. Bei Krankheiten wie Diabetes und Depressionen ist Ausdauersport seit langem ein wichtiger Therapiebaustein, weil er das Körpergewicht und den Blutzucker regulieren und stimmungsaufhellende Botenstoffe ausschütten kann. Aber wie ist das bei anderen Krankheiten?

Wir haben die berechtigten Warnungen verinnerlicht, bei Infekten auf intensiven Sport zu verzichten, um nicht die Entwicklung einer Herzmuskelentzündung zu riskieren. Die würde ein absolutes monatelanges Sportverbot nach sich ziehen. Es gibt daneben eine Reihe ernster Erkrankungen, für die alle medizinischen Leitlinien früher strikte körperliche Ruhe vorsahen.

Die Befürchtung einer immunschwächenden „Energieverschwendung“ sowie der Glaube, die Patienten seien prinzipiell zu schwach, um sich zu fordern, dominierten die Lehrmeinungen. Mittlerweile gibt es eine deutliche Evidenz, wie sehr Patienten selbst bei lebensbedrohenden Herz-Kreislauf- und Krebserkrankung von einem auf das individuelle Leistungsvermögen angepassten Training profitieren. Zudem gibt es Erkrankungen – etwa der Augen – für die eine therapeutische Wirkung des Laufens lange gar nicht im Fokus stand.

Zu hoher Blutdruck (Hypertonie) zählt zu den verbreitetsten und schwerwiegendsten Risikofaktoren für Blutgefäß- und Organschäden, Herzinfarkt und Schlaganfall. Zwar steht oft ein ungesunder Lebensstil dahinter, aber auch junge schlanke Nichtraucher werden bei genetischer Vorbelastung zu Bluthochdruckpatienten. Gewöhnlich erfolgt dann eine medikamentöse Therapie. Doch bei etwa 20 Prozent der Betroffenen senkt auch das nicht den Blutdruck. Kardiologen sprechen dann von „therapieresistenter Hypertonie“.

Ausdauersport kann Bluthochdruck senken

Früher war die Medizin sehr zurückhaltend, Hypertonikern sportliches Training zu empfehlen. Das Zerrbild des „hochroten Kopfes mit Atemnot“ bereitete Sorge. Dieses Bild hat sich diametral gewandelt und erfährt durch eine im Oktober 2021 publizierte Studie der Duke-Universität Durham im US-Bundesstaat North Carolina mit 140 therapieresistenten Hypertonikern eindrucksvoll Rückendeckung. Demnach stehen die Chancen sehr gut, einen Bluthochdruck, dem mit Medikamenten nicht beizukommen ist, über Ausdauersport und gesunde Ernährung deutlich zu senken.

Die Wirksamkeit dieser Methode hängt aber von der konsequenten Umsetzung ab. Zwar profitierten auch jene, die nach einer Schulung ihr Sport- und Ernährungsregime eigenständig absolvierten. Aber in der durchgehend von Medizinern betreuten Vergleichsgruppe, die sich strikt an die Ernährungsvorgaben und drei wöchentliche Trainingseinheiten à 30 bis 45 Minuten hielt, waren die Erfolge bei Blutdrucksenkung, Fitnessgewinn und Körpergewichtsregulation merklich größer.

Was lernen wir daraus? Wenn der Geist willig ist, aber das Fleisch schwach, hilft die Unterstützung von Fachleuten. Dann ist es sogar möglich und zielführend, sein Training mit hochintensiven Intervallen (HIIT) sowie früher bei Bluthochdruck strikt kontraindiziertem Krafttraining zu bereichern. Gerade für sportlich ambitionierte Hypertoniker ist das eine motivierende Option. Aber es kommt hier besonders auf die medizinisch sinnvolle Belastung und unbedingte Vermeidung von blutdrucksteigernder Pressatmung an.

Regelmäßige Untersuchungen für Sportler und Sportlerinnen mit Herzproblemen

Der Herzstillstand von Christian Eriksen bei der Fußball-EM 2021 ließ uns den Atem stocken. In Deutschland werden seit 2012 im „Sudden-Cardiac-Death-Register“ plötzliche Herztodesfälle sowie überlebte Herzstillstände im Sport gelistet, um Häufigkeit und Ursachen zu erfassen. Die gute Nachricht: Schwere, gar tödliche Herz-Kreislauf-Ereignisse sind bei vermeintlich gesunden, leistungsfähigen Sportlern sehr selten. Diese beklagenswerten Fälle betreffen vorwiegend ambitionierte Hobbysportler, am häufigsten im Fußball- und Laufsport.

Oft stehen unerkannte kardiovaskuläre Vorerkrankungen („Herzfehler“) dahinter. Hohe Belastungsintensitäten und Wettkampfstress erhöhen die Risiken. Bei aller Tragik ist es eine gute Botschaft, dass auch schwere Vorfälle wie ein Herzinfarkt, krankhafte Herzmuskelvergrößerung und Rhythmusstörungen zwar deutliche Änderungen in der Belastung erfordern, aber in aller Regel kein Sportverbot und schon gar kein Laufverbot – im Gegenteil: „Körperliche Aktivität und auch sportliche Betätigung verringern kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkte und Schlaganfälle über eine Verbesserung des Gesamtrisikos auch bei erkrankten Patienten“, betont Professor Michael Böhm, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.

Doch vorbelastete Sportler sollten auch bei völliger Beschwerdefreiheit regelmäßig kardiologische Untersuchungen wahrnehmen und ihr Trainingspensum mit einem Sportarzt abstimmen. Bei den meisten Herzerkrankungen dient ein individuell abgestimmtes, die Ausdauerkomponente betonenden Training sowohl als Baustein der Therapie als auch zur Prävention vor einem erneuten Herzereignis.

Vermutlich fördert Laufen die Bildung neuer Herzmuskelzellen

Sollten sich die Ergebnisse einer Forschungskooperation von Medizinern der Harvard-Universität und dem Team der Heidelberger Kardiologin Carolin Lerchenmüller bestätigen, die 2019 mit dem „Präventionspreis“ ausgezeichnet wurde, gäbe es einen weiteren schlagkräftigen Grund, Herzschädigungen mit dosiertem Lauftraining zu begegnen. Bislang galten abgestorbene Herzmuskelzellen – etwa nach einem Infarkt – als unwiederbringlich verloren, da das Herz im Erwachsenenalter kaum mehr zur Bildung neuer Muskelzellen befähigt ist.

In einem ausgeklügelten tierexperimentellen Studiendesign, das es ermöglicht, neu gebildete Herzmuskelzellen anhand markierter Bausteine zu identifizieren, gelang der Nachweis, dass während eines achtwöchigen Lauftrainings nach überstandenem Herzinfarkt viermal so viele Herzmuskelzellen neu gebildet werden wie bei nicht trainierenden Probanden. Es gelang sogar, die biochemischen Vermittler zwischen läuferischer Aktivität und Regeneration des Herzmuskels zu identifizieren. Was noch aussteht, ist die Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen, woran Experten aber wenig Zweifel hegen.

Neue Behandlungsmethoden haben vielen Krebserkrankungen den tödlichen Schrecken genommen und gute Langzeitprognosen beschert. Durch Sport können Krebspatienten ihr Wohlbefinden und damit die Lebensqualität während und nach medizinischen Therapiemaßnahmen steigern. Joachim Wiskemann, Leiter des Studienprogramms „Bewegung und Krebs“ am nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, berichtet in einem Fachbeitrag von einer bis zu 40 Prozent reduzierten Sterblichkeit von Brust-, Darm- und Prostatakrebs-Erkrankten durch angepassten Sport.

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Ausdauer- kombiniert mit Krafttraining optimal bei Krebserkrankungen

Auf Basis von 2500 Studien hat ein internationaler Expertenverbund Richtlinien für Art, Umfang und Intensität der Bewegung erarbeitet, die an Krebs Erkrankten den größten Nutzen im Hinblick auf verbesserte Lebensqualität, niedrigere Wiedererkrankungsraten und längere Lebenserwartung bringen. Zusammengefasst liefert ein wöchentliches Trainingsprogramm mit drei moderaten bis (individuell adaptiert) intensiven Ausdauereinheiten von je 30-minütiger Dauer in Kombination mit zwei Krafttrainings die besten gesundheitlichen Effekte. Oberstes Gebot hat auch hier die Einzelfallentscheidung. Dass nach vollends überstandener Krebserkrankung einer vernunftbedachten Erhöhung des Pensums nichts entgegensteht, ist für sportlich ambitionierte Betroffene ein besonders helles Licht.

Magersucht (Anorexie) ist in gewichtsabhängigen Sportarten wie dem Laufen ein ernstes Dauerthema. Die Sterberate von etwa 15 Prozent macht sie zu der Suchterkrankung der jungen Generation, die am meisten Opfer fordert. Die Entgleisung des Kaliumhaushalts, die besonders unter körperlicher Belastung zum Herzstillstand führt, zählt zu den häufigsten Todesursachen. Ins Extrem getriebene sportliche Aktivität als Mittel der „Kalorienvernichtung“ ist eines der vielfältigen Krankheitssymptome.

Bei Magersucht kann angepasstes Bewegungspensum helfen

Deshalb sahen die Therapieleitlinien lange ein Sportverbot vor, um zusätzlichen Energieverbrauch zu vermeiden. Dieses Paradigma hat sich gewandelt, seitdem evident wurde, wie nützlich ein angepasstes Bewegungspensum auf psychischer wie auf physischer Ebene wirkt, sobald sich die Erkrankten nicht mehr in einem absolut lebensbedrohlichen Gewichtsbereich (BMI <17) befinden. Da Magersucht oft mit Depression, Zwängen und Ängsten einhergeht, liegt es nahe, die durch Sport angestoßenen, günstig die Psyche beeinflussenden Hormonausschüttungen therapeutisch zu nutzen.

Erhöhung der Therapiebereitschaft und Angstabbau vor der Gewichtszunahme sind hier zentrale Punkte. Entgegen dem gut gemeinten, aber medizinisch kontraproduktiven Laienratschlag, „leg dich ins Bett und iss Sahnetorte“, geht es in der Magersuchttherapie um das Erlernen eines dauerhaft gesunden Ernährungs- und Bewegungsverhaltens. Die Gewichtszunahme sollte also von Beginn an auf ein gesundes Muskel-Fett-Verhältnis abzielen.

Neben hochwertiger energiereicher Nahrung spielt auch der Muskelaufbau durch Bewegung eine große Rolle, sobald der lebensbedrohliche Untergewichtsbereich verlassen wurde. Eine solche sportgestützte Therapie sollte in einer Facheinrichtung erfolgen, je nach Erkrankungsgrad ambulant oder (teil-)stationär. Die für BMI-Werte unter etwa 17,5 nachgewiesenen Veränderungen im Gehirnstoffwechsel führen zu Störungen der Selbstwahrnehmung, die es Betroffenen unmöglich machen, in Eigenregie ihre Ernährung- und Sportroutinen in erforderlicher Weise umzustellen. Eine professionelle psychosomatische Therapie mit Bewegung als Baustein bietet eine gute Prognose.

Laufen schützt auch vor Augenerkrankungen

Gutes Sehen macht das Laufen sicherer. Dass umgekehrt auch Laufen vor Augenerkrankungen schützt, ist eine recht neue Erkenntnis. Demnach wirkt moderates Lauftraining präventiv gegen die zwei häufigsten altersabhängigen Augenleiden. Vom „Grauen Star (Katarakt)“, dem Eintrüben der Augenlinse, sind etwa die Hälfte der über 50-Jährigen und 90 Prozent der über 70-Jährigen mit sehr unterschiedlich schweren Sehbeeinträchtigungen betroffen.

Obwohl mit der Katarakt-OP, dem Einsatz einer künstlichen Linse, eine sehr erfolgreiche Therapie verfügbar ist, dürfte jeder froh sein, der möglichst lange klare Sicht durch seine natürliche Augenlinse genießt. Die „altersabhängige Makuladegeneration (AMD)“ bezeichnet das Absterben von Lichtsinneszellen der Augennetzhaut im Bereich schärfsten Sehens (Makula). Sehkraft, Kontrastwahrnehmung, Farbsehen und Hell-Dunkel-Anpassung gehen verloren. Unbehandelt droht Erblindung. Die Forschung hat nun ermittelt, dass die Entstehung beider Augenleiden maßgeblich durch die individuelle Lebensweise beeinflusst wird – auch und gerade vom Laufen.

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Jeder gelaufene Kilometer senkt das Risiko, am Grauen Star zu erkranken

Über sieben Jahre glichen kalifornische Wissenschaftler Daten zur Augengesundheit mit Trainingsumfängen und sonstigen Lebensgewohnheiten von über 12.000 Läuferinnen und 29.000 Läufern ab. Ergebnis: Regelmäßiges Laufen hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit von Augenlinse und Netzhaut. Statistisch senkt jeder täglich gelaufene Kilometer das Risiko, am Grauen Star oder an AMD zu erkranken, um 10 Prozent.

Die Wissenschaftler sehen eine direkte Korrelation zwischen der Zahl der Wochenkilometer und präventiver Wirkung. Das AMD-Risiko verringerte sich bei einem Tagespensum von über vier Kilometern um 45 bis 54 Prozent. Beim Grauen Star hatten „Vielläufer und -läuferinnen“, die wöchentlich mindestens 64 Kilometer absolvieren, ein 35 Prozent geringeres Erkrankungsrisiko als jene, die höchstens 16 Wochenkilometer liefen. Bei aller Skepsis gegenüber Statistiken werden Zweifel an den protektiven Effekten durch weitere Studien ausgeräumt.

Ausmaß präventiver Wirkung des Laufens größer als gedacht

Eine Untersuchung von 4000 Einwohnern aus Beaver Dam im US-Bundesstaat Wisconsin zeigt, dass regelmäßiger Ausdauersport nicht nur präventiv wirkt, sondern bei AMD-Patienten das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt. Diese präventiven und therapeutischen Sportwirkungen dürften auf dem Zusammenwirken von guter Sauer-/Nährstoffversorgung der Augen durch bessere Durchblutung mit schnellerem Abtransport von Stoffwechselprodukten, Vermeidung von Cholesterinablagerungen in Augengefäßen und Blutdrucksenkung beruhen.

Dass Laufen gesund ist, wissen wir längst. Doch das Ausmaß der präventiven und therapeutischen Wirkungen ist weit größer als lange vermutet. Und es gibt selbst schwer kranken Menschen berechtigte Hoffnung, aktiv etwas zu ihrer Gesundung beitragen zu können. Wer gesund ist, weiß die präventiven Wirkungen zu schätzen, sollte sich aber bewusst sein, dass die Dosis auch beim Laufen über „Wohl und Weh“ entscheidet. Wer‘s übertreibt, verkehrt die Positiv-Wirkungen ins Gegenteil.