Im Olympia-Interview: Mo Farah greift wieder nach Doppel-Gold

| Text: Anja Herrlitz | Fotos: Nike, Imago
Mo Farah will bei Olympia in Rio wie schon 2012 in London Gold über 5000 und 10.000 Meter gewinnen. Wir haben vor seinem ersten Rennen mit dem Briten gesp

Mo Farah ist der erfolgreichste Läufer unserer Zeit. Bei den Olympischen Spielen in Rio will er wie schon 2012 in London Gold über 5000 und 10.000 Meter gewinnen. Damit würde er zu Lasse Viren aufschließen. Der Finne ist der einzige Läufer in der Geschichte der Spiele, der zweimal hintereinander jeweils die 5000 und die 10.000 Meter gewann (1972 in München und 1976 in Montreal. Wie der 33 Jahre alte Brite das schaffen will, hat er uns im Interview verraten. Außerdem erzählt er von der bewegenden Begegnung mit seinem Zwillingsbruder in Somalia, den er auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in seinem Geburtsland zurücklassen musste.

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London 2012: "Der Tag meines Lebens"

Es ist der 4. August 2012. Die Zuschauer im Olympiastadion von London toben. Innerhalb von 47 Minuten gewinnen Siebenkämpferin Jessica Ennis, Weitspringer Greg Rutherfod und Läufer Mo Farah über 10.000 Meter dreimal Gold für Großbritannien. Als „Super Saturday“ geht dieser Tag in die Sportgeschichte ein. Als Farah dem Ziel entgegen spurtet, bringt das Publikum das Stadion buchstäblich zum Beben. Das Foto von Farahs Zieleinlauf ist total verwackelt – es wurde mit einer an der Stadionkonstruktion angebrachten Kamera aufgenommen. Eine Woche später macht Mo Farah seinen Triumph perfekt und holt auch noch Gold über 5000 Meter.

Mo, als du 2012 in London deine erste olympische Goldmedaille gewannst, war es ein ganz besonderer Abend, der als „Super Saturday“ in die Geschichte einging. Die Atmosphäre im Stadion war unglaublich. War das der Tag deines Lebens?

Mo Farah: Ja, das war er. Jeder Sportler träumt davon, eine Olympia-Medaille zu gewinnen. Und für mich war es unglaublich, dieses Gold zu holen – vor allem mit dieser Atmosphäre in London und einer ganzen Nation hinter mir.

 

Auch in Somalia fiebert man mit Mo Farah

Nicht nur eine ganze Nation steht hinter ihm. Im rund 6140 Kilometer entfernten Hargeisa in Somalia saß ein Mann im britischen Nationaltrikot gebannt vor dem Fernseher und verfolgte die Rennen von Mo Farah in London. Der Mann ist glücklich, er ist stolz. Er ist Mo Farahs Zwillingsbruder Hassan. Hassan, der bis heute in Somalia lebt, während sein Zwillingsbruder Mo zusammen mit den älteren Brüdern Liban und Omar 1991 nach London zog. Mo und Hassan wurden 1983 in Somalias Hauptstadt Mogadischu geboren und wuchsen zusammen auf. „Wir waren unzertrennlich. Wir aßen von einem Teller, schliefen in einem Bett, wir spielten und lernten zusammen“, erinnert sich Hassan.

So lange, bis Mo Farah, der eigentlich Mohamed heißt, 1991 mit seinen Brüdern Somalia und die Gefahren des dortigen Bürgerkriegs hinter sich ließ. Zu dritt zogen sie nach London, wo der Vater schon lebte. Weshalb Hassan nicht mit nach England kam, dazu gibt es verschiedene Geschichten. Nach einer war er zu krank für die Reise und musste deshalb zurückbleiben. Als die Familie ihn nach England nachholen wollte, war er in den Wirren des somalischen Bürgerkriegs mit Verwandten an einen unbekannten Ort gebracht worden. Die andere Version lautet, dass sein Vater nur drei Kinder in London aufnehmen und durchbringen konnte. Hassan und die Schwester Ifrah mussten zurückbleiben.

Trost fand er im Sport. Schon daheim in Somalia hatte er zusammen mit seinem Bruder Fußball gespielt. „Wir waren nie zusammen in der gleichen Mannschaft, weil uns keiner hätte besiegen können“, erinnert sich Hassan. In London aber gehörte Mo nicht zu den guten Kickern. „Ich konnte einfach nichts“, erinnert er sich. Einem Lehrer fiel dafür auf, dass er unglaublich gut laufen konnte – und schickte ihn mit elf Jahren in einen Leichtathletik-Verein. Das war sein Glück. Drei Jahre später gewann er bei den englischen Schulmeisterschaften im Crosslauf seinen ersten Titel, weitere folgten. Nebenbei arbeitete er in einem Fast-Food-Restaurant und in einem Sportgeschäft. 2003 hatte er endlich genug Geld gespart, um seinen Bruder Hassan in Somalia zu besuchen.

Wiedersehen mit dem Bruder nach zwölf Jahren

Wie war das, als du nach zwölf Jahren erstmals deinen Bruder wieder getroffen hast?

Mo Farah: Das war das beste Gefühl, das ich jemals hatte.

Fast scheint es, als ob dieses Treffen noch schlummernde Kräfte in ihm freisetzte. 2005 zog er in eine gemeinsame Wohnung mit kenianischen Profiläufern. Dort wurde ihm vor Augen geführt, wie hart sie trainierten.

Was änderte das für dich?

Mo Farah: Das hat mir die Augen geöffnet. Ich dachte mir, wenn diese Leute, gegen die ich laufen werde, so hart arbeiten, dann muss ich das auch tun. Seitdem  ging es für mich nur noch um essen, schlafen, trainieren.

Mit intelligentem Training in den USA zu neuen Erfolgen

2006 dann die ersten großen Erfolge: EM-Gold im Crosslauf und -Silber über 5000 Meter. 2008 ein Rückschlag: Vorlauf-Aus bei Olympia in Peking. Er erkannte: Es geht nicht nur um hartes Training und Talent. Sondern auch darum, intelligent und abwechslungsreich zu trainieren.

2011 zog er nach Portland in die USA, um dort mit Alberto Salazar als Trainer zu arbeiten. Salazar war einst selbst erfolgreicher Läufer, gewann dreimal in Folge den New York-Marathon. Er brachte Farah endgültig auf die Siegerstraße. 2011: WM-Gold über 5000 und Silber über 10.000 Meter. 2012 dann der absolute Triumph: EM-Gold über 5000 Meter und Olympia-Gold über 5000 und 10.000 Meter. 2013 und 2015 gewann er wieder über beide Strecken WM-Gold. Als erster Langstreckenläufer überhaupt hat er sieben globale Langstrecken-Titel in Folge gewonnen.

"Mein Ziel sind zwei weitere Goldmedaillen in Rio"

Mo, du hast schon zweimal Olympia-Gold gewonnen und dazu fünf WM-Titel. Welche Ziele bleiben einem da überhaupt noch?

Mo Farah: Mein Ziel sind zwei weitere Goldmedaillen in Rio. Aber es tauchen immer neue, junge Läufer auf, mal schauen, wer es dieses Mal schafft, durchzubrechen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es vor einigen Jahren Haile Gebrselassie war, der Medaillen gewann. Und damals dachte ich, das werde irgendwann ich sein. Und 2012 war ich dann dran und gewann bei Olympia zwei Goldmedaillen. Es wird irgendwann wieder einen neuen Läufer geben, der gewinnt, aber ich weiß nicht, wer es sein wird.

Es gab schon mehrere Läufer, die wie du bei Olympischen Spielen sowohl die 5000 als auch die 10.000 Meter gewonnen haben. Aber nur dem Finnen Lasse Viren ist es gelungen, 1976 sein Double von 1972 zu wiederholen. Wirst du dieses Jahr sein Nachfolger werden und in Rio erneut über beide Langstrecken triumphieren?

Mo Farah: Das werden wir sehen. Ich gebe in jedem meiner Rennen 110 Prozent, das ist alles, was ich tun kann. Manchmal ist man aber nur so gut, wie das Rennen und sein Verlauf es einem erlauben.

Erwartest du in Rio eine ähnliche ausgelassene Stimmung wie bei deinen Olympiasiegen in London?

Mo Farah: Rio wird sicherlich anders sein als London, man kann die beiden Städte gar nicht miteinander vergleichen. Aber man kann sich sicher sein, dass bei Olympia immer eine ganz besondere Stimmung herrscht. Und das Gefühl, Teil dieser Olympischen Spiele zu sein, ist wirklich einzigartig.

Du bist jetzt 33 Jahre alt und hast so viele Rennen gewonnen. Gibt es da etwas, das du in deinem Training noch verändern kannst, um noch besser zu werden?

Mo Farah: Ich versuche immer, mein Training weiter zu verbessern. Ich überlege, was ich tun kann und arbeite sehr hart. Es gibt immer etwas, das man noch besser machen kann. Besonders in den Langstrecken-Disziplinen muss man immer sehr hart und viel arbeiten, darf aber auch nicht zu viel machen.

Was sind deine liebsten Trainingseinheiten?

Mo Farah: Ich mag am liebsten die Einheiten auf der Bahn. Kurz, schnell, Geschwindigkeit. Zehnmal 200 Meter zum Beispiel.

"Meine Kinder werden auch irgendwann mal Läufer sein"

Du hast vier Kinder. Laufen sie auch gern?

Mo Farah: Ja, ich habe drei Töchter und einen Sohn. Ich glaube schon, dass einer von ihnen irgendwann mal ein Läufer sein wird. Amani, eine meiner beiden Zwillingstöchter, liebt es zu rennen. Ich glaube sie wird irgendwann mal eine Läuferin sein. Sie hat den Körperbau dafür.

Du bist in 2:08:21 Stunden auch schon eine gute Marathonzeit gelaufen. Deine ganz großen Erfolge hast du aber auf der Rundbahn im Stadion gefeiert. Willst du nach Olympia weiter Bahnrennen bestreiten oder wirst du dich irgendwann ganz auf Straßenwettkämpfe konzentrieren?

Mo Farah: Im nächsten Jahr steht die WM im Londoner Olympiastadion an. Da werde ich noch Bahnrennen laufen. Ab 2018 will ich mich dann ganz auf den Marathon konzentrieren.