Die Kraft Runners aus Berlin
Gemeinsam ballern geht immer

| Text: Christian Ermert | Fotos: Max Menning

In Deutschland boomen Laufcrews. Wir haben die Berliner Kraft Runners besucht, die Woche für Woche bis zu 100 Leute an den Prenzlauer Berg locken.

Steffi Platt war mal eine richtig gute Mittelstreckenläuferin. Im Internet gibt es ein Video, das zeigt, wie sie bei Deutschen Meisterschaften Gesa Krause überspurtet. Fast acht Jahre ist das her. Heute ist Gesa Krause WM-Dritte und deutsche Rekordlerin über 3000 Meter Hindernis. Und wurde gerade zum dritten Mal zu Deutschlands Läuferin des Jahres gekürt.

Steffi Platt dagegen hat sich schon lange vom Leistungssport verabschiedet. Zu viele Verletzungen, zu viel Druck. Aber Steffi Platt – Deutsche Jugendmeisterin in der Halle von 2010 über 1500 Meter – liebt das Laufen noch immer. Und ziert Anfang 2018 das Cover von LÄUFT. – dem Magazin von laufen.de

Sie ist auch immer noch superschnell. Halbmarathon in 80 Minuten? Hat sie 2017 geschafft. Sie läuft nicht, sie rennt. Und deshalb postet sie auf Instagram als „Ballerina“. Mit Ballett hat das nichts zu tun. Dafür mit ballern. So nennen das Läufer, wenn sie schnell unterwegs sind. Und dafür stehen die Kraft Runners in Berlin, deren erstes weibliches Mitglied Steffi war.

Challenges neben dem Laufen

„geilballern.com“ – der Name ihrer Webseite ist Programm. #geilballern – das steht für Rennen, bis man den Körper so richtig spürt. Bis Adrenalin und Endorphine für dieses einzigartige Glücksgefühl sorgen, das nur derjenige kennt, der beim Laufen auch schon mal an die Grenzen geht. Geil ballern bedeutet aber auch, sich sportliche Herausforderungen neben dem Laufen zu suchen und so den kompletten Körper fit zu machen.

Als wir die Kraft Runners in Berlin treffen, läuft grade die Push Up-Challenge. Dabei geht es darum, in einem Monat so viele Liegestütze wie möglich zu machen. Sobald beim Laufen Pausen entstehen, kommt von einem aus der Crew die Ansage: „Push up“. Und sofort gehen die anderen zu Boden und fangen an zu pumpen. „Wir feuern uns immer an, pushen uns und hinterher wird abgeklatscht. Das ist unser Team-Spirit“, erzählt Marco Prüfer, der die Kraft Runners vor etwas mehr als einem Jahr zusammen mit Eugen Fink gegründet hat. „Am Anfang wollten wir vor allem selbst hart trainieren. Dann haben wir uns gesagt: Da können doch auch andere mitmachen“, erinnert er sich an die Anfänge.

Marco Prüfer und Eugen Fink motivieren auch im Winter

Mittlerweile treffen sich dienstagabends bis zu 100 Läufer an seinem Café Kraft im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Der Treffpunkt gab den Kraft Runners den Namen. Von dort geht‘s auf die Straßen. Immer mit lauter Musik, abklatschen und lockeren Sprüchen übers Megaphon. Bei schlechtem Wetter und Nieselregen sind es immer noch 40 Leute, die mit den Kraft Runners laufen gehen. „Das macht mich besonders stolz“, sagt Marco. „Im Winter lässt ja eigentlich die Motivation nach, aber schlechtes Wetter kann man ja auch als Challenge betrachten. Und dann macht es noch mehr Spaß, weil es das Team stärkt und zusammenschweißt.“

„Wenn wir noch mehr werden, müssen wir wohl für jeden Dienstag eine Demo anmelden“, scherzt Eugen Fink. Aber die Kraft Runners haben es im Griff, so viele Läufer sicher durch den Großstadt-Dschungel zu lotsen. Niemand rennt vors Auto. Fußgänger kommen nicht zu Schaden. Und kein Kinderwagen stürzt um. Die meisten der Kraft Runners haben in ihrer Zeit als Pacer für den Nike Run Club (NRC) gelernt, Läufer auf belebten Bürgersteigen und Straßen zu begleiten.

Bei den Kraft Runners wird nicht gejoggt - hier wird gerannt!

Damals haben sie für ein Taschengeld bei Nike gearbeitet, jetzt machen sie das ganz ohne finanzielles Interesse in ihrer Freizeit. „Das ist nicht getrieben von Geld. Es geht darum, eine geile Zeit zu haben“, sagt Marco Prüfer. Nicht mal sein Café profitiere von seinem Engagement fürs Laufen. „Das hat ja nur 14 Plätze, und wenn unsere Runs beginnen, ist es schon geschlossen.“ Dann dient es als Ort, wo sich die Leute umziehen können und wo ihre Sachen während des Laufs gelagert werden.

Und dann geht’s los. Die ersten zwei Kilometer dienen immer dem Aufwärmen – und dazu, sich zu unterhalten und kennenzulernen. Den Kraft Runners ist es wichtig, dass ihre Gäste zu einer echten Community zusammenwachsen. „Klar gibt es die, die immer kommen“, sagt Steffi alias Ballerina, „es sind aber auch jedes Mal neue Gesichter dabei. Oft kommen auch Leute, die grade erst mit dem Sport angefangen haben. Das ist spannend.“

Richtig spannend wird es aber, wenn das Warm-up vorbei ist. Dann wird das Tempo erhöht, die ersten Intervalle stehen an. Wer zu den Kraft Runners geht, joggt nicht, hier wird gerannt. Gründer Eugen: „In einer Gruppe hat so ziemlich jeder Spaß an Intervallen. Aber alleine macht sie kaum jemand. Deshalb bieten wir das an. Lockere fünf oder zehn Kilometer kann ja auch jeder für sich laufen.“

Natürlich läuft auch bei den Kraft Runners jeder Teilnehmer in einem Tempo, das zu seiner individuellen Leistungsfähigkeit passt. Jeder kann mitmachen. Vom Vier- bis Acht-Minuten-Tempo pro Kilometer. Und wenn zwischendurch Squad-Sprünge oder Burpees – jene anstrengende Kombi aus Liegestützen und Hock-Streck-Sprüngen – eingestreut werden, springen die weniger fitten einfach mit geringerer Frequenz. Aber sie springen. ↦Die Kraft Runners achten darauf, dass sich niemand über- oder unterfordert.

Oft begleiten sie auch Teilnehmer während des Trainings ganz individuell. Besonders diejenigen, die zum ersten Mal dabei sind, beeindruckt das. „Für die ist das dann das geilste Training“, weiß Marco, „die erzählen anderen davon: Alter, der ist mit mir gerannt, ich war so k.o. und der hat mich noch richtig gepusht. Boah, hat das Bock gemacht, ich komme auf jeden Fall wieder.“

Harter Kern aus zwölf Läufern

Und so wächst die Crew immer weiter. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda, Facebook, Instagram. Viele kommen auf Empfehlung. „Oft erzählen uns Leute, dass sie eigentlich keinen Bock auf Laufen haben, aber gehört haben, dass es bei uns cool ist. Die zum Laufen zu bringen, ist das Größte“, sagt Eugen. Allerdings wird bei den Kraft Runners unterschieden: Zwischen denen, die die Läufer anführen und sich um die Organisation kümmern. Das ist der Kern der Crew. Und denen, die einfach mitlaufen.

Um zum Kern zu gehören, sollte man schnell sein – aber nicht nur. Es muss auch menschlich passen. „Wir sind viele verschiedene Charaktere und gleichzeitig gute Freunde. Das macht uns aus. Jeder Teilnehmer kann einen finden, der zu ihm passt“, beschreibt Eugen die zwölf aktiven Kraft Runners, zu denen mit Paul Schmidt auch einer der besten deutschen Marathonläufer zählt – seine Bestzeit steht bei 2:19:35 Stunden.

Dänische Gruppe als Vorbild

Gleichzeitig ist Paul Schmidt aber auch als Arzt sehr erfolgreich, arbeitet an der Charité und betreut nebenbei verschiedene Nationalmannschaften. Er ist dabei, weil es ihm aus präventivmedizinischer Sicht darum geht, so viele Menschen wie möglich zum Laufen zu bringen. Für ein gesünderes und besseres Leben.

„Es ist allen klar, dass Sport gesund ist und Spaß macht. Was den meisten aber fehlt, ist die Motivation, dann auch tatsächlich anzufangen. Und hier kommen die Kraft Runners ins Spiel. Wir haben einen coolen Vibe, der zum Laufen motiviert. Und den inneren Drive, andere Leute mit unserer Begeisterung fürs Laufen anzustecken. Als Kraft Runners wollen wir auch Vorbild sein“, sagt er, bevor er von seinem Kollegen Marco unterbrochen wird. „Und nach dem Lauf stellen wir einen Kasten Bier hin, und alle können sich bedienen.“ Das hilft auch, eine echte Community zu bilden und den Menschen zu zeigen, dass Sport und Party durchaus zusammen passen und man als Läufer auf nichts verzichten muss – schon gar nicht auf ausgelassenes Feiern.

Die Kraft Runners wollen aber nicht nur Vorbild sein, sie haben auch selbst eins. Die Laufcrew NBROs in Kopenhagen. Die dänischen Kollegen haben 3000 Mitglieder in ihrer der Facebook-Gruppe. Sie hosten jeden Tag einen Lauf irgendwo in der City und fahren mit 100 bis 200 Leuten zu Lauf-Events in andere Städte. „Beim Berliner Halbmarathon hatten die vergangenes Jahr mehr Leute am Start als wir als Berliner Crew. Das hat uns angestachelt“, sagt Eugen.

So ähnlich wie die NBROs wollen die Kraft Runners das auch in Berlin aufziehen. Die ersten Reisen haben sie schon hinter sich. Sie waren mit fast 30 Leuten beim Halbmarathon in Kopenhagen. Und der harte Kern der Crew hat im Frühjahr 2017 in den USA an einem Non-Stop-Staffelrennen über 550 Kilometer von Los Angeles nach Las Vegas teilgenommen. Durch die Wüste und vorbei an Klapperschlangen. 39 Stunden haben sie dafür gebraucht. Und die Etappe durch das Tal des Todes ist wer gelaufen? Natürlich Ballerina. Aber das ist eine andere Geschichte. Und die erzählen wir ein anderes Mal.