Rheinländerin in den südtiroler Alpen
Der neue Schnalstal Alpine Trail
Am 27. Juli feierte ein Trail-Format zwischen Gletschern und Talboden seine Premiere. Laufen.de Reporterin Maria Hauser berichtet von Regen, Planänderungen und einem einzigartigen Lauf.
Ich muss zugeben das Schnalstal, auf Italienisch "Val Senales" liegt nicht um die Ecke. Lange, sich windende Straßen führen mich kilometerweit durch die Berglandschaft Österreichs, bis ich endlich an der italienischen Grenze ankomme. Doch es hat einen Grund, warum das neue Trail-Format von SALTY Trailrunning gerade hier stattfindet. Der Lauf steht nämlich unter dem Motto 19991. Neunzehn, Neun, Einundneunzig. Die Zahl bezieht sich auf das Datum des Fundes der Gletschermumie Ötzi, die unweit des Veranstaltungsortes Unser Frau in den Öztaler Alpen gefunden wurde.

Auf den Spuren des Mannes aus dem Eis
Ötzi trägt viele Namen: Mann vom Tisenjoch, Mann aus dem Eis oder Mumie vom Similaun, um nur einige zu nennen. Seit seinem Fund 1991 wurde viel über die Lebens- und Todesumstände der 5.000 Jahre alten Mumie aus der Kupferzeit rekonstruiert. Die Fundstelle auf etwa 3.200 Metern Höhe liegt heute auf italienischem Staatsgebiet. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Ötzi vermutlich aus dem heutigen Südtirol stammte und kurz vor seinem Tod eine weite Reise über die Alpen unternahm. Er trug dabei ähnlich wie die Trailläuferinnen und -läufer eine komplexe Ausrüstung, auch wenn diese natürlich nicht aus Westen und Regenjacken bestand. Ötzi war unter anderem mit einem Kupferbeil, Pfeilen und Fellbekleidung unterwegs und Einschätzungen zufolge ein gesunder und an die alpinen Bedingungen angepasster Mann. Die Todesursache war deshalb lange ein Rätsel, bis eine Pfeilspitze im Rücken der Mumie gefunden wurde. Heute geht man davon aus, dass Ötzi in den Alpen einen gewaltsamen Tod fand. Der Schnalstal Alpine ULTRA führt an der Fundstelle der ältesten Mumie Mitteleuropas vorbei.
Vier Strecken - unendlich viel Herausforderung
Zwei Jahre und ein unglaublich engagiertes Team, das bei der Organisation des Events geholfen hat, hat es gebraucht damit am großen Tag alles stimmt. Nur das Wetter bleibt unberechenbar. Schließlich stellen sich rund 300 Läuferinnen und Läufer am Wochenende vom 26. bis zum 27. Juli Wind, Regen und Gelände. Auf vier abwechslungsreichen und fordernden Distanzen – ULTRA, SKY, SPEED und VERTICAL – gehen die Teilnehmenden aus 15 verschiedenen Nationen an den Start. Das Race-Briefing am Vortag wird passend dazu ganz international auf Englisch, Italienisch und Deutsch gehalten.
Das Trail-Event beginnt schon am Freitag mit dem VERTICAL, einer erbarmungslosen Strecke über acht Kilometer, die es schafft, ganze 1000 Höhenmetern unterzubringen. Diese Strecke vereint die schwierigsten Abschnitte der ULTRA- und SKY-Strecken. Der VERTICAL gibt es schon einen Vorgeschmack auf das, was am Samstag folgen wird: Fixseile, Geröll, alpine Pfade und Minustemperaturen. Jedes Gelände fordert auf eine andere Art und Weise. Schreiende Oberschenkel, ziehende Waden und explodierende Lungen - Ganzkörpermuskelkater garantiert.
Am nächsten Tag starten um 4:00 Uhr morgens die 90 Athletinnen und Athleten der ULTRA-Distanz planmäßig auf die 58 Kilometer lange Strecke entlang der historischen “Ötziroute”. Vier Stunden später entscheidet sich die Rennleitung allerdings bei der Verpflegungsstation im Österreichischen Vent, das Rennen nach 22 Kilometern abzubrechen. Trailrunning ist nun mal ein Outdoor-Sport und somit unglaublich Wetter abhängig. Der Bergwacht zufolge sei ein sicherer Rennverlauf bei diesen Bedingungen einfach nicht möglich gewesen. Die zweiunddreißig Teilnehmenden, die die 22-Kilometermarke vor 8 Uhr passierten, durften das Rennen auf leicht veränderter Strecke beenden. Unter ihnen auch genau eine Frau. Die deutsche Marie-Sophie Reißer läuft nach 8 Stunden und 34 Minuten über die Ziellinie und sichert sich schon in der ersten Auflage den Titel einer Schnalstaler Legende.

Das Schnalstal
Das Schnalstal in Südtirol ist ein Paradies für Naturliebhaber, die sich zwischen malerischen Apfelgärten und schneebedeckten Dreitausendern verlieren wollen. Von Naturns aus schlängelt sich das Tal hinein in eine Welt, in der das Leben noch in entschleunigter Geschwindigkeit abläuft. Das Bimmeln von Kuhglocken ist das lauteste Geräusch, das du hier hören wirst. Hoch über den kleinen Örtchen, thront der Schnalstaler Gletscher, wo man selbst im Sommer über ewiges Eis wandern oder die frische Höhenluft genießen kann. Die Wanderwege führen durch alpine Almen-Landschaften, vorbei an weitläufigen Wiesen und klaren Bergseen.
Als Trail-Rookie in den Öztaler Alpen
Für mich ging es um 8:00 Uhr für die SKY-Strecke an den Start. Über 29 Kilometer und als jüngste Teilnehmerin und einzige Juniorin unter allen Läuferinnen und Läufern. Während andere sich in der Höhe der Berge akklimatisiert hatten, war ich aus dem nicht besonders alpinen Rhein-Sieg-Kreis angereist. Entsprechende der Umstände, war die Aufregung groß. Am Vortag wurde ich vom SALTY-Team deshalb noch mit Tipps versorgt, die sich während dem Trail ausgezahlt haben.
Ohne Pflicht-Ausrüstung läuft nichts

Liebe auf den ersten Blick - Das SALTY-Team
Das Kernteam von SALTY besteht aus den vier Trail-Liebhabern Stefan E., Stefan G., Ronni und Dominik, die sich vor zwei Jahren vorgenommen haben im Schnalstal einen Trail zu veranstalten. Ihr Ziel? Das Lebensgefühl des Sports mit ihrer Community teilen, denn Trailrunning ist für sie mehr als nur Performance. Es ist ein Mindset und ein Lebensstil. Neben dem SAT organisieren die vier mit ihrem Team zusammen noch zwei andere Rennen, veranstalten Trailrunning Camps, verlegen ein eigenes Journal und haben ihren eigenen Podcast, bei dem sie Läuferinnen und Läufer zu sich auf die Alm einladen. Alles unter dem Motto- "stay salty" - salzig bleiben.

Ohne die ganzen helfenden Hände wäre das Event nie möglich gewesen. Hinter unserem Trail stehen so viele Menschen, nicht zuletzt die ganzen lokalen Vereine.
Stefan, SALTY-Team
Regel Nummer eins: Nicht zu schnell starten!
Diese Gefahr bestand schonmal nicht, da die ersten Kilometer auf einem schmalen Pfad durch den Wald gelaufen wurden. Das Tempo wurde also stark von der Person vor mir bestimmt. Eine Weile lang heiß es für alle 118 Teilnehmenden der SKY-Strecke im Gänsemarsch die ersten Höhenmeter zu überwinden. Danach wurde man aber direkt mit einer wunderschönen Aussicht auf den tiefblauen Vernagter Stausee belohnt. Dort öffnete sich die Strecke und die Gruppe begann sich stark zu streuen.
Regel Nummer zwei: Beine hoch, Blick nach vorn!
Das klingt erstmal selbstverständlich. Anders als auf dem Asphalt gilt es Wurzeln, Steinen und anderen Stolperfallen auszuweichen. Auf der Strecke bis zum ersten Verpflegungspunkt habe ich nochmal gelernt, wie wichtig Weitsicht im wörtlichen Sinne für diesen Sport ist. Die Augen nach vorne und nicht nach unten zu richten ist wichtig, um sicher im unberechenbaren Gelände unterwegs zu sein. Ab und zu gab es aber auch Hindernisse, über die man nicht einfach hinwegspringen konnte! Kühe, Schafe und Ponys standen auch gerne mal auf der Strecke und leisteten mir Gesellschaft.
Regel Nummer drei: Essen, essen, essen!
„Die Läufer verblöden irgendwann beim Laufen“, witzelt Stefan im Interview. Damit man während des Rennens nicht irgendwann so im Tunnel ist, dass der Kopf abschaltet, ist es wichtig kontinuierlich genug zu essen. Ich habe also schon vor der ersten Verpflegungsstation damit angefangen und auch wirklich bei jeder Verpflegungsstation aufgetankt. Gurken, Äpfel, Kuchen, Salzbrezeln oder Gurken mit einer Prise Salz. Das Buffet hat nicht enttäuscht! Besonders bei der zweiten Station auf dem höchsten Punkt der Strecke an der Grawand hat es einen Unterschied gemacht, sich am Tee die Hände wärmen zu können.

Regel Nummer vier: Nicht zu schnell im Downhill!
Nachdem ich am höchsten Punkt der Strecke angekommen war, hieß es auch wieder möglichst sicher runterkommen. Gar nicht mal so leicht bei strömendem Regen und entsprechend rutschigem Untergrund. Dieser Streckenabschnitt war sehr anspruchsvoll, hat aber auch unglaublich viel Spaß gemacht. Gerade weil auf diesem Abschnitt auch sehr viele Menschen wandernd unterwegs waren und leidenschaftlich angefeuert haben.
Regel Nummer fünf: Vergiss die Pace!
Diesen Ratschlag habe ich sehr ernst genommen. Ich bin nämlich erst nach 7 Stunden und 28 Minuten im Ziel angekommen. Teilweise weil ich stehen geblieben bin, um die wunderschöne Aussicht über die Bergspitzen zu genießen, teilweise weil alles in mir ab Kilometer 22 einfach nur aufgeben wollte. Gerade auf den letzten Kilometern ist der Trail zu einer mentalen Herausforderung geworden. Es war kalt, nass, rutschig und die Ziellinie noch etwas zu weit weg, um sich zu einem letzten Endspurt zu motivieren. Es waren diese sechs Kilometer, die ich mich durchgebissen habe, bei denen ich die größte Stärke aufbringen musste. Aber am Ende durch die Zielgerade zu laufen und von allen schon angekommenen Teilnehmenden empfangen zu werden, war es Wert.

Trailrunnig - Ein Muss für Alle?
„Irgendwann wirft man seine Road-Schuhe weg“, witzelt das Team des Schnalstal Alpine Trails im Interview. Und zum Teil stimmt es, Trailrunning ist eine andere Art von Laufen, die anderes Training und viel mehr Spontanität in Bezug auf die Reaktion auf Wetter- und Geländebedingungen verlangt. Viele Stunden im Wald oder in den Bergen zu verbringen, schafft auch eine ganz andere Art von Verbundenheit mit der Natur, von der jedes Stadtkind profitieren kann.
Der Schnalstal Alpine Trail ist kein Event zum Reinschnuppern, sondern ein Event zum Verlieben. Er kombiniert sehr anspruchsvolle Strecken, atemberaubende Natur und eine herzliche, familiäre Atmosphäre in einem Event. Zeigt aber auch, dass Sicherheitskonzepte durchgesetzt werden können und im Notfall harte Entscheidungen gefällt werden müssen. Die Kulisse der Südtiroler Alpen schafft eine einzigartige Atmosphäre, besonders vor dem Hintergrund, dass schon Menschen wie Ötzi vor Jahrtausenden hier unterwegs waren.