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Neue Erkenntnisse
Warum die Achillessehne oft schmerzt – und was du dagegen tun kannst

| Text: Dr. Stefan Graf | Fotos: Adobe Stock

Sie ist die stärkste ihrer Art, bei jedem Schritt gefordert und bereitet Läuferinnen und Läufern oft Probleme: die Achillessehne. Wie hält man sie fit? Spannendes aus der Forschung.

Auch die kräftigste Beinmuskulatur ließe uns kaum einen Fuß vor den anderen setzen, wenn nicht die Achillessehne wie die Antriebswelle eines Formel-1-Boliden die Kraft von der Wadenmuskulatur auf das Fersenbein des Fußes übertrüge. Das Abrollen über den Fußballen wäre nicht möglich – eine Erfahrung, von der alle zu berichten wissen, denen die Achillessehne schon einmal gerissen ist.

Warum die Achillessehne im Vergleich zu anderen Körpersehnen ungewöhnlich stabil ist, gibt der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Nun aber scheint ein Münchner Forschungsteam dank feingeweblicher Analysen der Lösung des Rätsels etwas näher gerückt zu sein.

Achillessehne hält mehr als das Zehnfache des Körpergewichts aus

Bei jedem Schritt zieht die kontrahierende Wadenmuskulatur die Ferse unter Vermittlung der Achillessehne nach oben. Je nach Umfang der Abrollbewegung geht das bis in den Zehenstand. Dabei kann die etwa fingerdicke und 20 bis 25 Zentimeter lange Achillessehne mehr als das Zehnfache des Körpergewichts aushalten.

Das muss sie auch. Denn bei jedem, mit einer Flugphase verbundenem Laufschritt wird sie mit dem Mehrfachen des Körperwichts belastet. Grundsätzlich gelten Sehnen als sensible Elemente, da sie deutlich schlechter trainierbar sind als ihre Muskelpartner. Zu schneller Muskelaufbau und zu hohe oder umfangreiche muskuläre Belastungen machen Sehnen verletzungsanfällig.

Verschiedene Gründe für Achillessehnenprobleme

Grundsätzlich gilt das auch für die Achillessehnen, die aber hinsichtlich ihrer Widerstandskraft und einer besonderen Verletzungscharakteristik eine Ausnahmestellung einnehmen. Zwar sind Achillessehnenprobleme in der Laufszene verbreitet, doch meist die Folge eines deutlich zu hohem Trainings- und, oder Wettkampfpensums, oft in Kombination mit ungünstigem Schuhmaterial sowie Lauftechnikfehlern.

Sehnen sind aus verschiedenen Faserproteinen aufgebaut. Mit einem Anteil von etwa 98 Prozent dominiert das äußerst zugfeste und dehnungsresistente Kollagen Typ-1. Auf wiederholte mechanische Belastungen, wie sie beim Laufen auftreten, reagieren Sehnen mit charakteristischen strukturellen Anpassungen:

• Erhöhung des Kollagengehaltes
• Quervernetzung der Fasern
• Zunahme des Sehnendurchmessers

Anpassung erfolgt nur langsam

Wie erwähnt laufen diese Anpassungsprozesse im Vergleich zum Kraftzuwachs der zugehörigen Muskulatur sehr langsam ab. Überdies sind Trainingsreize für das Muskelwachstum nicht automatisch auch Stimuli für Anpassungen der Sehnen. Daraus kann ein Muskel-Sehnen-Ungleichgewicht resultieren, das vor allem in intensiven bzw. umfangsstarken Belastungsphasen die Verletzungsgefahr erhöht.

In der Funktionsgemeinschaft mit Knochen und Muskeln bilden die Sehnen die Schwachstelle. Muskeln reagieren durch ihre gute Blutgefäß- und Nervenversorgung vergleichsweise schnell auf Trainingsreize mit Kraftzuwachs, Volumenzunahme und Stoffwechselanpassungen. Und auch in den Knochen sorgt ein aktiver Stoffwechsel für stabilisierende Anbauprozesse.

Sehnen sind schlechter versorgt als Muskeln und Knochen

Die Versorgungssituation der Sehnen ist deutlich schlechter. Nur wenige Nerven und Blutgefäße erlauben keine hohe Stoffwechselrate, was Anpassungsprozessen Grenzen setzt. Fachsprachlich werden Sehnen als „bradytrophes“ („langsam ernährtes“) Gewebe bezeichnet, das durch Reaktionsträgheit gegenüber Trainingsreizen und eine niedrige Regenerationsfähigkeit charakterisiert ist.

Sehnen haben also einige Makel. Aber unter den Sehnen sorgt die Achillessehne dann immerhin für einen Lichtblick. Denn mit einer Belastbarkeit von etwa einer Tonne (1000 kg!) weist sie eine bemerkenswerte Stabilität auf.

Langsamer Stoffwechsel, schlechte Ansprechbarkeit auf Trainingsreize und niedrige Regenerationsfähigkeit – bei den Sehnen hat die Evolution nicht perfekt gearbeitet.

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Mehr als 15.000 Achillessehnenrisse jedes Jahr in Deutschland

Dennoch erleiden jedes Jahr in Deutschland über 15.000 Personen – mehr Männer als Frauen – einen Achillessehnenriss. Trotz umfangreicher Behandlungserfahrungen ist noch immer wenig über den Sehnenfeinbau, die Biochemie und -mechanik bekannt. Auf der Suche nach einer schlüssigen Erklärung für die hohe Reißfestigkeit scheinen Forschungen an der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie der TU München etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben.

In einem biophysikalische, -mechanische und -chemische Fachdisziplinen einschließenden Gemeinschaftsprojekt, bei dem neueste bildgebende Verfahren zum Einsatz kamen, konzentrierten sich die Forschungen besonders auf die Verbindungsregion zwischen Sehne und Knochen. Wenn Achillessehnen reißen, reißen sie in aller Regel nicht vom Knochen ab, sondern irgendwo in der Mitte. Das ist ungewöhnlich, da sonst der Sehne-Knochen-Übergang als besonders sensibel bekannt ist.

Obwohl tagtäglich Patienten mit Sehnenverletzungen behandelt werden, wissen wir noch immer sehr wenig über den genauen feingeweblichen Aufbau am Übergang von der Sehne zum Knochen: Die biochemischen Vorgänge, die Mikromechanik und die Mikrostruktur des Gewebes sind bisher kaum erforscht

Prof. Dr. Rainer Burgkart – Forschungsleiter Orthopädie und Sportorthopädie TU München

Studie bringt unerwartete Ergebnisse

Die Hightech-Bilder aus Elektronenmikroskop und Computertomografen förderten Unerwartbares zutage. Entgegen der bisherigen Ansicht, dass Sehnen ohne besondere Strukturanpassungen am Knochen ansetzen, zeigte die hoch auflösende Bildgebung, dass sich das Achillessehnengewebe im Übergangsbereich zum Knochen in Dutzende feinster Fasern aufgliedert. Dadurch vergrößert sich die Gesamtoberfläche, sodass pro Flächeneinheit weniger Kraft einwirkt und zudem Zugkräfte aus verschiedenen Richtungen besser toleriert werden.

Neben dieser feingeweblichen Besonderheit bescherte die biochemische Analyse der Achillessehnenfasern den Forschern ein weiteres „Aha-Erlebnis“. Am Sehne-Knochen-Übergang wiesen die feinen Fasern eine einzigartige, von den anderen Sehnenbereichen abweichende Proteinzusammensetzung auf, die offensichtlich ihren Beitrag zur Stabilitätserhöhung liefert.

Die wissenschaftliche Seriosität gebietet es zu betonen, dass die invasiven Analysen den ethischen Kodizes folgend nicht an Menschen, sondern an Achillessehnen frischer Schweinehaxen erfolgten, für die aber keine Tiere extra geschlachtet wurden. Da die anatomischen Strukturen von Schwein und Mensch sehr ähnlich sind, wird die Aussagekraft der Studien als hoch eingestuft.

Achillessehnenprobleme gehören zu den häufigsten Beschwerden

Wenngleich die spezielle Übergangsstruktur am Knochenansatz unseren Achillessehnen höhere Stabilität verleiht, bleiben sie dennoch schlecht nährstoffversorgte und pflegebedürftige Strukturen. Nicht von ungefähr zählen Achillessehnenprobleme zu den häufigsten Beschwerden im Laufsport.

Wer schon länger die Laufschuhe schnürt, wird vermutlich über eigene Erfahrungen verfügen. Achillessehnenprobleme zu ignorieren oder längerfristig mit Schmerzmitteln zu betäuben, zeugt von Unvernunft. Achillessehnenrisse betreffen überwiegend vorgeschädigtes Gewebe! Bei wiederholten oder andauernden Schmerzen und/oder Schwellungen gilt es, das Training auf die häufigsten Fehlerquellen hin abzuklopfen:

1. Chronische Überlastung: zu intensives oder zu umfangreiches Training ohne ausreichende Regeneration
2. Fehler im Trainingsaufbau: zu schnelle Erhöhung des Pensums
3. „Kaltes“ aktives Dehnen ohne vorherige Mobilisierung
4. Unpassendes Schuhwerk: ungünstige Sprengung und/oder Dämpfungselemente

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Zu schnelle Steigerung des Trainingspensums oft ein Problem

Besonders oft liegt die Ursache für Sehnenverletzungen in der zu schnellen Steigerung der Trainingsbelastung. Das betrifft keineswegs nur Laufanfänger. Wenn ambitionierte und erfahrene Läuferinnen und Läufer auf der Jagd nach Rekorden übertreiben und nach vielen Trainings- und Wettkampfjahren bereits Vorschäden bestehen, steigt das Verletzungsrisiko erheblich. Durch zu drastische Steigerungen der Kraft-/Schnellkraftbelastungen im Intervalltraining und übertriebene Erhöhung von Trainingsfrequenz und Streckenlängen kommen die anabolen Stabilisierungsprozesse in den Sehnen nicht mehr hinterher.

Das resultierende Missverhältnis zwischen Sehnenstabilität und den auf sie einwirkenden Zugkräften lässt die Gefahr für Zerrungen und Risse ansteigen. Zwar ist dieses Risiko in reinen Kraft- und Schnellkraftsportarten höher. Doch auch beim ausdauernden Laufen ist die zunehmende Verletzungsgefahr nicht zu vernachlässigen. Hier fallen die flotten Stoffwechselanpassungen der Muskeln, die keine Entsprechung im nur träge nachkommenden Sehnenmetabolismus finden, stärker ins Gewicht.

Über den möglichen Nutzen verschiedener Arten und Zeitpunkte des Dehnens gibt es wenig belastbare Empfehlungen. Eines aber ist Konsens: Intensives Dehnen ohne vorheriges Aufwärmen durch behutsame Mobilisation ist ein No-Go. Das noch immer zu beobachtende Bild des aus dem Auto steigenden Hobbyläufers, der sein Training mit intensiven Dehnübungen beginnt, ist ein Vabanquespiel nach dem Prinzip: Halten Sehne und Muskel oder halten sie nicht?

Grundregel: Erst kommt die aufwärmende Mobilisierung, dann das individuelle Dehnen – niemals umgekehrt!

Individuell passende Laufschuhe sind wichtig

Die zu den eigenen Körperproportionen, zum persönlichen Laufstil, zu bevorzugten Untergründen und Distanzen passenden Laufschuhe zu finden, erfordert mitunter eine eigene Ausdauer. Die seit Jahren währende Diskussion um das Für und Wider verschiedenster Dämpfungselemente spielen hier hinein.

In Bezug auf die Achillessehne gilt es besonders, die Sprengung eines Schuhs zu beachten. Das ist der Höhenunterschied der Sohle zwischen Ferse und Vorfuß. Dieser Faktor bestimmt maßgebend die Vorspannung der Achillessehne. Sowohl eine zu straff gespannte (Ferse/Sprengung zu niedrig) als auch eine zu wenig vorgespannte Sehne (Ferse/Sprengung zu hoch) kann Beschwerden generieren.

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So kannst du die Achillessehne trainieren

Der Trainierbarkeit und Regenerationsfähigkeit bradytropher (langsam ernährter) Gewebe wie Sehnen und Knorpel sind deutliche Grenzen besetzt. Zur behutsamen Gewöhnung an steigende Belastungen ist ein „bradytrophes Kraftausdauertraining“ zu empfehlen, das sich durch eine verlängerte Muskelanspannung bei nur leichter Gewichtsbelastung auszeichnet. Für die Achillessehnen ist das mehrfach wiederholte langsame Heben, Halten und Wiederabsenken der Fersen bis in den Zehenstand eine solche Übungsform.

Bei bereits bestehenden Achillessehnenbeschwerden werden oft spezielle Trainingsprogramme empfohlen, die exzentrische oder konzentrische Kraftübungen beinhalten. Allerdings ergab eine 2018 am Trinity College Dublin durchgeführte Vergleichsananlyse („Meta-Analyse“) von 22 kontrollierten Studien, dass es keine wirklich überzeugenden Krafttrainingsregimes für die Linderung von Achillessehnenproblemen gibt.

Eine besondere Mikroanatomie und Proteinzusammensetzung im Übergangbereich zwischen Achillessehne und Knochen scheinen uns die Bewältigung langer Laufdistanzen zu ermöglichen, ohne uns einem großen Risiko für einen Abriss auszusetzen. Doch gehören Warnsignale wie Schmerzen oder Schwellungen ernstgenommen, da Vorschäden die Gefahren für Rupturen oder chronische Beschwerden deutlich erhöhen. Mit den neuen Erkenntnissen sind die Antworten auf Fragen zur Achillessehnenstabilität und zu effizienten Therapieoptionen zwar noch nicht gefunden – aber wir sind ihnen auf den Fersen!